Um ihn herum
Erzählungen
Franz Rieger
ISBN: 978-3-85252-061-2
21 x 15 cm, 212 S., Hardcover
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Kurzbeschreibung
Das Pferd und das Mädchen
Als kleines Mädchen wollte Manna immer aus dem Haus laufen, wenn sie hörte, daß der Onkel am Morgen das Tor zur Garage öffnete; die Garage diente als Pferdestall, und das Öffnen war mit einmaligen Geräuschen verbunden, das Schnappen der Verriegelung, ein im Hof weithin hörbar scharfer Ton, der überging in ein hartes Rollen, wenn der Onkel das Tor hob. Marina hörte den Ton bis in den Schlaf hinein. Sie wußte bald, was er bedeutete am Morgen, wenn sie in ihrem Bett lag, dann abends, noch vor Dunkelwerden zur letzten Fütterung und zu einer Zeit, da sie ins Haus mußte. Der Onkel schloß das Tor, das beim Schließen dieselben Geräusche machte wie am Morgen, nur in umgekehrter Reihenfolge. Später verlängerte sich ihr Verbleiben im Hof, weil sie die Mutter bat, bis zum Schließen des Pferdestalls noch im Hof bleiben zu dürfen.
Die Erlaubnis erhielt sie wortlos, Bitte und Erfüllung waren nur Formsache, während aufzustehen am Morgen, sobald sie das Geräusch hörte, ihr lange nicht erlaubt wurde. Sie war wach, schlummerte vielleicht ein wenig, doch je älter sie wurde, umso schwerer fand sie den Schlummer. Dieser floh sie dann ganz. Sie stieg aus dem Bett, ging zum Fenster und hörte hinaus, denn sehen konnte sie das Garagentor nicht, das an der abgewandten Stirnseite des Hauses lag.
Die Garage hatte nicht lange als solche gedient. Der Onkel, der sehr früh als Pferdepfleger in einem Reitstall arbeitete, hatte im Umgang mit dem Reitstallbesitzer und einem Händler sich ein Pferd zu einem erschwinglichen Preis eingehandelt, schon mit dem Gedanken spielend, für das Pferd die fast unbenutzte Garage im Haus der Großmutter, in dem er seit dem Tode seines Vaters wieder wohnte, einzurichten. Er träumte von der Aufzucht von Pferden und von einem eigenen Reitstall.
Doch es blieb bei diesen Anfängen mit geringen Abweichungen, sobald ein zweites oder drittes Pferd dazukamen. Das dritte war eine trächtige Stute, die er in einem Raum neben der Garage, der als Abstelle diente, unterbrachte. Der Raum hatte ein normales Fenster, das zur Belüftung offen war, und die Stute stand oft am Fenster und streckte den Kopf nach draußen. Leute, die vorüber kamen, erschraken beim ersten Mal, als sie den Pferdekopfim Fenster sahen. Auf Drängen der Großmutter mußte der Onkel die Stute verkaufen; wo er da hindenke, sagte sie, das Fohlen brauche Raum und Bewegung. Die beiden Wallache, ein Schimmel und ein Brauner, blieben in der Garage. Der Onkel stand früh auf, um sie zu rüttern und zu striegeln, ehe er zur Arbeit ging, um dort im Reitstall mit der Arbeit an Pferden weiterzumachen, und wenn er einmal in der Woche nachmittags frei hatte, spannte er das eine oder andere Pferd vor den zweirädrigen Wagen, den Gig, und führ aus.
Marina stand dabei, wenn sie früher aus der Schule kam, und sah zu. Der Schimmel ließ sich geduldig vorspannen, der Braune war widerspenstig, konnte kaum ruhig stehen und lief sofort los, kaum daß der Onkel aufgestiegen war. Einmal rannte er mit dem leeren Gig davon, das zwei Männer beschädigt zurück brachten, weil der Braune querfeldein gelaufen war. Das Pferd, im Geschirr und mit abgerissenen Leinen, wurde später eingefangen. Es zitterte am ganzen Körper.
Marina beobachtete alles, lief aus dem Haus, sobald sie den Onkel im Stall hörte, bekam Antwort, und schmeichelte dem Onkel, weil sie sich für die Pferde interessierte. Er gab ihr gerne Antwort, trug ihr kleine Handgriffe auf, die mit der Pflege der Pferde zusam¬men hingen, erklärte ihr das Striegeln, hob sie auf den Rücken des Schimmels und hielt sie fest, während Marina sich in der Mähne festkrallte. Später ließ er sie los, Marina bekam weder Angst, noch machte sie Anstalten, vom Pferderücken zu rutschen, während der Schimmel ruhig fraß. Der Onkel tat, als habe er sie vergessen, bemerkte, flüchtig nach ihr sehend, daß sie ruhig saß, weder verkrampft noch ängstlich, und als er einmal im Sattel saß, um auszureiten, beugte er sich hinab, forderte sie auf, ihm die Hand zu geben, hob sie hinauf und setzte sie vor sich hin zwischen Sattel und Pferdehals. Dann ritt er ein paar Runden mit ihr im Hof …