Strohpferde
Roman
Franz Rieger
ISBN: 978-3-85252-259-3
21 x 15 cm, 274 S., Hardcover
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Kurzbeschreibung
Sie rechtfertigte die täglichen Ausfahrten mit dem Rat des Knechtes, Pferde gehörten jeden Tag an die frische Luft, sie zog das Leit seil scharf beim Verlassen des Hofes, verschärfte den Zug und lockerte ihn auf freier Straße. Die Pferde kannten die Richtung. Für Ella war es Prinzip auszufahren; es bestätigte und zeigte, wie überlegen man war.
Und es war Glück, fast gewaltsam demonstriert. Passanten traten zur Seite, sahen dem Gespann entgegen; respektvoll nahmen sie die Gewohnheit hin von Ella, der Tochter des Fabrikanten Hans Meyer, – Namen spielten eine Rolle bei dem täglichen Anblick der gewohnten Extravaganz zur Zeit der Autos.
Ella liebte Pferde. Vater hatte beizeiten ein Auto, ein Fordmöbel, und es stand noch etwas davon im hinteren Hof. Doch seine erste Anschaffung waren die Pferde gewesen – Ella war noch ein kleines Mädchen; damals gab es die Händler, einen Gustav Mandl und andere, die gute Exemplare zu Fuß weither trieben. Das Auto hatte die Pferde nicht abgelöst, es blieb aber eine Laune, die den nachhaltenden Ton entbehrt, den Pferde haben, ein Schrottstück, niedlich, grasüberwuchert. Der Krieg hatte eine Neuanschaffung ausgeschlossen. Die Zeit nachher bestätigte das Pferd. Neunzehnhundertundfünfundvierzig fing man von vorne an.
Es waren zwei Fuchstuten. Der Knecht hatte ihr damals das Fahren beigebracht, mit dem Gig, mit der leichten Kutsche, mit dem Schlitten, Viersitzer, Kutscher am Bock. Der Knecht, das Faktotum, war halb taub und las ihr die Wünsche aus dem Gesicht ab, gegen den Willen des Vaters, der selbst den Ehrgeiz hatte, ihr etwas beizubringen. Von Anton lernst du nichts, sagte er und fuchtelte mit der Zigarre vor ihr herum, – auch dann noch, als sie sich dem Knecht und ihm entzog, eine erwachsene Frau, Mutter zweier Kinder, im Krieg zur Witwe geworden, gewohnt, selbstständig zu handeln, was er, der Vater, nicht ganz wahrhaben wollte, als sie wieder in seinem Hause wohnte und, wie er sagte, sein Brot aß. Sie war jetzt groß und stattlich, und er erinnerte sich, als sie als Kind schon kehrt machte vor ihm, im Reitkostüm, das Blondhaar unter dem roten Käppchen, und im Stall verschwand. Auch ihre Erinnerungen flössen ineinander – sie vertrat sich die Füße auf dem gepflasterten Hof, Vaters Erlaubnis abwartend.
Und sie hielt genau die Reihenfolge der Vorbereitungen ein als Kind –, und die Erregung war geblieben. Damals gab es zwei Rappen. In Breeches, in den eigens für sie angefertigten Stiefeln, winters im gefütterten Kapuzenmäntelchen, sommers in weißer Spitzenbluse, wartete sie oben in der Diele, neben dem großen Spiegel. War sie allein, drehte sie sich vor dem Spiegel, verrenkte die Hüfte, lockerte die Beine; was wußte Papa schon von Vortraining, das die Haltung im Sattel, die Führung der Trense beeinflußte! Hier oben war sie allein, horchte auf die Geräusche unten, Tritte lösten eine Stimme ab, Männerbaß, erstaunte Frauenrufe, Ausdrücke aus Geschäft und Küche, oder es handelte sich um Hunde und Pferde, oder Vater diktierte im Büro. Frau Marianne tippte, und es dauerte nicht lange, so grollte er unsachgemäß oder lachte breit, ein wenig in die Zigarre verliebt.
Sie konnte aus der Stimme wahrsagen, dem Gärtner oder Knecht voraussagen, was Vater in den nächsten Minuten genehm war und was nicht; nur für Frau Marianne konnte sie das nicht; ihr gegenüber war er unsicher, und das gab seiner Stimme einen zwiespältigen Ton. Deshalb mochte sie diese Marianne nicht, war ihr die Gewalt über den Vater leid; denn daß es Gewalt war, das erfaßte sie mit ihren zwölf oder dreizehn Jahren, und: eine schnöde Angelegenheit, versicherte sie ihrem Bild da im Spiegel, Männer beherrschen sei eine schnöde Angelegenheit, – man lacht höchstens über sie, wenn sie vor einem auftrumpfen, blasen wie Pfaue und im Geschoß der Blicke sich verirren.
Aber Marianne sprach ja kaum, dafür Vater um so mehr, und sie lauerte auf den Ton, der dieser Marianne entsprach, sie verriet. Dazwischen das Hämmern der Schreibmaschine oder das kurze Schleifgeräusch, wenn ein Ordner aus dem Schrank gezogen wurde und das Klicken beim Öffnen der Sperre, und immer wieder Vater, jovial, und ungehalten nur, wenn ein Name fiel, säumiger Lieferer oder Gläubiger, die kräftige Stimme aus dem gemütlichen Ton ausbrechend und verstummend beim Zug an der Zigarre.
Und um hinter das Geheimnis dieser Verhältnisse zu kommen, schlich sie sonntags ins Büro, öffnete die Schreibmaschine und strich über die Tasten, langte Ordner heraus, sah sich um, versuchte Beziehungen herzustellen, fand den Aschenbecher mit den Zigarrenstummeln, den Regenschirm, der Marianne gehörte, die Hausschuhe, die sie im Büro abstellte (nicht trug, das wußte sie), Filzschuhe, eine hausbackene Form, sie fand Kleinigkeiten in Tischladen, Kamm, Haarspange, ungebrauchten Lippenstift, und dann erschien ihr alles lächerlich.
Sie setzte sich mit einer Gesäßbacke auf den Tisch, legte die ausgestreckten Beine übereinander und betrachtete sie. In dieser ungewohnten Umgebung hatte sie ihr eigenes Spiegelbild vor sich: die Hose, eng in der Taille, den langen Zopf als Schnecke im Nacken, aus dem Spitzenbund der Ärmel die Hände, schlank, der große Mund mit den kräftigen Zähnen; sie öffnete ihn rasch hintereinander, blitzte mit den Zähnen, lachte gefällig und boshaft. Damit besiegte sie die anderen, oder mit dem rührigen Handgelenk, aus den Spitzen kommend, mit dem Handteller, mit den Fingern, die sie bewegte, als hingen Marionetten an Fäden daran; sie war sich der Wirkungen sicher, auch die der enganliegenden Hosen; auf den Zungenschlag der Arbeiter (es waren vier und noch sehr jung) hinhorchend, lief sie Spießruten, auch im Entrüsten der Frauen, von der Küche bis zur Fabrik, von dort in den Stall und heraus in den Hof, das Pferd am Zügel, der Mops hinterdrein (oder war es der Boxer?).
Sträubte der das steingraue Fell?, nein, der zeigte die immer gleiche Melancholie im schwarzen, stumpfen Gesicht und blieb an der Gartentür zurück. Und ebenso ungerührt machte sie jetzt die Probe im Büro, um Marianne, die stolze Jungfer, herauszufordern, schlüpfte in die Rolle des Vaters, breit und jovial, agierte vor dem gedachten Forum: auf der Tischkante sitzend schlug sie mit der Reitpeitsche auf den Stiefelschaft, steckte trotzig Vaters Gerede ein, bot dem despotischen Duft der Zigarren, der im ganzen Haus steckte, die Stirn.