Warenauslagen & Ankündigungen
Aus dem alten Wien
Adalbert Stifter, Peter M. Bauer
ISBN: 978-3-85252-306-4
21 x 15 cm, 40 S., zahlr. Abb., Hardcover m. Schutzumschlag
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Kurzbeschreibung
[Mit Photos von Peter M. Bauer]
Es ist eine ganz einfache Tatsache des Verstandes, daß derjenige, der etwas kaufen, tauschen, erhandeln will, wissen muß, wo er zu kaufen, zu tauschen, zu erhandeln habe, und daß hingegen der andere, der zu verkaufen, zu vertauschen, zu verhandeln hat, sagen müsse, daß und was er zu verschleißen wünsche oder daß er die Sachen selber zur Ansicht auslege: jedoch nicht so ganz einfach scheint es, daß diese Auslagen und Ankündigungen nicht nur den Zweck haben, daß der kaufe, der will, sondern vielmehr und eigentlich den, daß der kaufe, der nicht will. - Die Sache scheint sonderbar - aber ich will vom Anfange an beginnen.
Der erste Geschäftsmann, der einen Artikel durch Ankündigung und erlaubte Herausstreichung geschickt an den Mann brachte, war die Schlange im Paradiese, und Eva ist das Vorbild und die Patronin aller folgenden nichtkaufenwollenden Käuferinnen geworden, deren Zeile seit den etlichen Jahrtausenden ziemlich lange geworden ist und sich in unsern Tagen rasch verlängert. Da damals das Warengewölbe und Obstlager eigentlich der Baum selber war, so kann man nicht sagen, daß die Schlange eine Warenauslage gehabt habe; also ist wohl die Ankündigung die erste Form des Geschäftsbetriebes gewesen.
Wie es später geworden, kann ich nicht sagen, und wenn ich es auch könnte, so täte ich es nicht, da ich den Leser doch nicht durch das ganze Alte und Neue Testament bis zu den Wiener Warenauslagen und Ankündigungen führen kann; aber das ist gewiß, daß schon in den allerältesten Zeiten Waren angepriesen sein mußten, wie ja der Name Marktschreier hinlänglich dartut - wahrscheinlich war er damals ein Ehrenmann und rief nur amtsmäßig aus, was alles auf diesem oder jenem Platze zu haben.
Kauflust ist ohnedem ein altes Erbübel des menschlichen Geschlechtes; daher ist es kein Wunder, daß man bald auch darauf verfiel, diese Kauflust noch mehr dadurch zu locken, daß man die Waren, die unsere Leidenschaft und Begierde reizen, in natura herumbreitete und mitten darunter saß. Und wenn Witterung und Umstände den Verkäufer nötigten, in ein Gemach oder Gewölbe mit seinem Trödel zurückzukriechen, so half er sich doch dadurch, daß er wenigstens ein großes Schild vor seine Bude heraushing, auf dem er die verkäuflichen Gegenstände auf das lockendste konterfeien und symbolisieren ließ. So entstanden die Wappen und Herolde des Krämerstandes: die Aushängeschilde und Firmen.
Ja, gewisse Handwerke und Krämereien bekamen ganz stereotype und stationäre Embleme und Symbole, wie ich mich denn recht gut entsinne, daß auf dem großen Bäckerhause meines Geburtsortes zwei grimmige rote Löwen eine riesenhafte Bretze in den Klauen hielten und daß dasselbe Bild größer oder kleiner bei den Bäckern unzähliger Orte zu sehen war; auch Kerzen und Seife hält gerne der König der vierfüßigen Tiere in den Tatzen. -
So ist der Türke oder wenigstens sein Kopf der stete Wächter und Portier eines Tabakladens, und jeder Reisende weiß, welche Kette von goldenen, silbernen, schwarzen, weißen Adlern er auf den Schildmauern der Wirtshäuser angetroffen, der grünen Tannenreiser und des geschnitzten Bierzeigers gar nicht zu gedenken, die an keiner Kneipe fehlen dürfen.
Das Ding ging endlich so weit, daß selbst Privathäuser, wie es zum Beispiel in Wien der Fall ist, gar nicht existieren zu können glaubten, wenn sie nicht so eine Art Schild und Embleme führten, die oft wunderlich genug sind, wie es zum Beispiel in einer Vorstadt Wiens irgendwo «Zum Flusse Jordan» heißt oder gar «Zur Unmöglichkeit». Auch schöne Kästchen ließen die Kaufherren endlich machen, wo sie unter Glas und Rahmen einige pretiose Sachen aufhängen, um den Vorübergehenden nur einen schwachen Begriff von den Herrlichkeiten zu geben, die erst drinnen zu haben seien. Dieses Aufmalen und Auslegen der Waren war den Kaufleuten vor Erfindung der Buchdruckerkunst um so weniger zu verargen, da sie ja damals nicht durch die Presse der halben Welt sagen konnten, welche solide, vortreffliche und unentbehrliche Sachen bei ihnen bereitliegen.
Als aber die Buchdruckerei endlich erfunden war, da konnten sie es freilich sagen, aber sie behielten die Auslagen und Aushängeschilder dennoch bei und benutzten nebenher die Buchdruckerpresse zur Anpreisung ihrer Waren, was freilich anfangs sehr schwer war, als man nur erst Bibeln und Folianten druckte, aber gegen unsere Zeit her unendlich leicht wurde, da die schreienden Marktschreier und Anzeiger nach und nach abkamen, dafür aber die stummen in Schwung gerieten, nämlich die Zeitungen, die auf gutem Löschpapier alles in die Welt tragen, was geschieht, und auch das, was nicht geschieht, und die weit schneller und ausgebreiteter reisen als jeder Geschäftskommis und überall lesen lassen, was dort und da, bei dem und dem in trefflichster Qualität zu haben sei.
Man sollte fast glauben, daß nun Löwen, Adler, Kamele, Laufer, fliegende Rössel, goldene Ochsen etc. überflüssig wären und die Auslagekästchen ganz verschwinden würden, da ja die Zeitung alles sagt und bis in die innersten und geheimsten Kabinette bringt: aber die Erfahrung lehrt, daß namentlich die Warenauslagkästen immer mehr und mehr werden, so daß an gewissen Plätzen Wiens buchstäblich streckenlang kein einziges Mauerstückchen des Erdgeschosses zu sehen ist, sondern lauter aneinandergereihte elegante, hohe Gläserkästen, in denen das Ausgesuchteste funkelt und lockt. -
Die Sache scheint mir daher zu kommen: der redliche Verkäufer weiß recht gut, daß, wenn er seine außerordentlichen und erlesenen Artikel in den Zeitungen bescheiden anzeige, das hartnäckige Publikum doch noch immer glauben könne, er schneide auf; deshalb geht er hin und läßt die Sache gelassen selber reden: er tut sie nämlich in einen unerhört schönen Glasschrank, stellt selbigen vor seine Bude heraus und denkt: «Jetzt seht».
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