Handgewebe lapisblau
lyrics | artgeredet | vertont
Dine Petrik
ISBN: 978-3-99126-175-9
21×12,5 cm, 88 Seiten, Klappenbroschur
13,00 €
Neuerscheinung
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Kurzbeschreibung
Wieder eine reife und gereifte Leistung, ein Panoptikum mit großer thematischer Breite. Auch hier wird die Landschaft zum Spiegel der Seele. Ein gekonntes Wechselspiel zwischen Sprache und Rhythmus und dazwischen immer wieder Störelemente mit coolen sounds …
Siehe auch Link zu einem deutschsprachigen Beitrag von Rádio Slovakia International (Gestalterin: Kerstin Plaschke-Jakubik) zu Dine Petriks Lesung aus „Handgewebe lapisblau“ im Österreichischen Kulturforum in Bratislava am 19. Jänner 2024 (player embed audio, Dauer 7:35 Min.): www.rtvs.sk/embed/audio/404468
Siehe auch Link zu einem slowakischsprachigen Beitrag von Rádio Devín aus der Reihe „Poetická Európa“ (‚Poetisches Europa‘, Gestalterin: Eva Reiselová), Ankündigungstext: „Die Übersetzerin Elvíra Haugová hat aus [Dine Petriks] Werk ein Gedicht [‚wien lied‘] ausgewählt und übersetzt [‚Viedenská pieseň‘], das Sie in der Interpretation von Zuzana Kyzeková anhören können“ (player embed audio, Dauer 1:38 Min.): www.rtvs.sk/embed/audio/417590
Rezensionen
Petra Ganglbauer: Rasende LyrikPetra Ganglbauer liest Dine Petriks „Handgewebe lapisblau“
Die Signatur der Gedichte von Dine Petrik ist eine unumstößliche. Imaginiert man während der Lektüre die hervorstechende und eigenwillige Lesart der Autorin, entsteht eine Zusammenschau aus Stimmführung, Rhythmus und Geschwindigkeit.
Auch wenn man die Vortragsweise Dine Petriks nicht kennt, stellt sich ein nachdrücklicher Sprachklang während der Lektüre ein. Stets ist den Texten auch eine Art Klage zu eigen; jedoch eine, die auf äußerster Disziplin in der Formäußerung beruht, auf der Entscheidung, es mit den Fährnissen des Lebens aufzunehmen.
ALARM
noch ist nichts ausgetanzt
noch ungesungen alles in
bewegung, bestensfalls
gestaute sätze, artgeredet, luft
gelacht, in reichweite das glück
nichts absolutes, hitze
Straff komponiert sind diese Texte, von einer ungeheuren Wort-Dichte, voll Temperament und bisweilen von einer nachvollziehbaren Aufmüpfigkeit. Ihre Ironie speist sich aus großer Empfindsamkeit der Zerstörung jeglicher Spezies gegenüber.
KEINER HÖRT
viel zu selten noch
lässt er sich hören
der gesang – der walgesang in
den von menschenhand
versauten ozeanen
Zugleich werden die Auswüchse spätkapitalistischer Usancen auf die Spitze getrieben:
ABHEBEN
nicht wirklich was für mich, sagt
ist empirisch nichts erhoben, sagt
prinzipiell nichts unanständiges
pfeift sich nichts, mehr ums
geklapper seiner lackschuhe
beim stehen, genagelt, sagt
Gestanzte Widerrede
Schon die Titel der Gedichte muten wie Prägungen an, gestanzte Wirklichkeitssegmente, Punzierungen: „VERSEHRT“, „UNART“, „ZÄHNIG“ oder „TATTOOS“. Analog dazu und zornig auch, widerständig, laut, die Rede ist vom Verlorenen, Unwiederbringlichen.
WÜSTENSEGEL
(…)
der riss durchs alphabet
nachdem längst schon das lapis
blau der göttin Ischtar leer
geplündert, längst der
letzte zikkurat zertreten
von soldatenstiefeln
platt getreten ist
Dine Petriks Gedichte verkörpern die Gewalt und den Krieg – „fehlt das wort / zerfällt das haus“, heißt es in „BEIRUT“ –, legen offen, was an Resten von Leben noch übriggeblieben ist: das Vergiftete, Zerstörte; erzählen auch davon, was ausgelöscht wurde: „selbst meine asche / : ihr habt sie verstrahlt“, notiert das Gedicht „VERSTRAHLT“.
Heftige, souverän komponierte, virtuose Texte sind das, die mitunter an Gesänge erinnern; überdies verweist Dine Petrik auch immer wieder auf Werke von Komponisten, etwa Johann Sebastian Bach; wie überhaupt Intertextuelles eine Rolle spielt.
Was den Gedichten ebenfalls inhärent ist, ist eine potenzielle Energie, die eine bewusste Unschärfe der Standortbestimmung des „lyrischen Ichs“ erzeugt. In einem unausgesetzten Kräftemessen finden sich das Hier und das Dort, das Noch-Nicht wie das Nicht-Mehr. Es ist kein Austarieren möglich, keine Zentrierung, zu furios, zu gnadenlos verfährt die Welt. Das sagt allein schon der Gedichttitel: „BLEIBEN GEHEN“. Oder das folgende Gedicht:
ANDANTE
(…)
strauchle oft über mich
selbst, oft neben mir
zu nah bei dir
längst nicht mehr da
: was mach ich dort –
Lyrischer Gegenwind
Manche der Sequenzen muten wie Filmszenen an. Die Medien- und Informationsgesellschaft bleibt insgesamt nicht verschont. Dine Petrik verwendet inmitten der poetisch funkelnden Wörter auch immer wieder und ganz bewusst, zynisch mithin, Zeitgeistwörter wie „Hashtag“, „Fake“ oder „Lockdown“. Sie fügen sich in den restlichen Text jeweils so ein, dass sich neue Bedeutungszusammenhänge eröffnen oder das Gesagte noch verstärkt wird, überhöht sozusagen.
Es gibt keinen Stillstand in diesen vitalen Texten, welche die Poetisierung des Gesellschaftsalltags vorantreiben. Kraftvolle lyrische Anläufe sind das: Raffungen, Änderungen des Lautstärkepegels, Retardierungen, Beschleunigungen sind nur einige der Methoden, die die Autorin (nicht nur) in diesem Buch anwendet. Dine Petrik tut es immer und immer wieder, mit jedem Buch ein weiteres Mal. Auch wenn der Gegenwind aus globaler Ignoranz gegenüber dem mutwilligen Zerstören der Erde und all ihrer Bewohner, wie es scheint, stetig zunimmt.
(Petra Ganglbauer, Rezension für die Poesiegalerie, online veröffentlicht am 9. September 2023)
https://www.poesiegalerie.at/wordpress/2023/09/09/ganglbauer-besprechung-rasende-lyrik/
Daniela Strigl: Das lyrische Ich schlägt Alarm
In „Handgewebe lapisblau“ vereint Dine Petrik Gedichte mit drängendem Rhythmus und lässt die Göttin Ischtar auftauchen.
Dine Petrik ist vor allem als Biografin Hertha Kräftners bekannt, für deren einzigartige Gedichte sie seit Jahren die Trommel rührt. Nun hat Petrik mit „Handgewebe lapisblau“ den siebenten Lyrikband aus eigener Produktion vorgelegt. Das Motto aus „Also sprach Zarathustra“ mahnt nicht reife Könnerschaft ein, sondern Aufruhr: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Tatsächlich pulsiert ein drängender Rhythmus in diesen Gedichten, Ungeduld und eine quecksilbrige Beweglichkeit triumphieren über alles Stille und Beschauliche. Gleich zu Beginn gerät das Echo auf „nietzsches nachtlied“ zum Menetekel der ablaufenden Zeit, der das Ich trotzt, „bleich im schein der alten mac / maschine“: „ach, die uhr geht nach / die unruh steigt / kein engel wacht / gib acht in dieser –.“ Ist das schon der befürchtete finale Abbruch? Nicht nur hier bleibt das erlösende Wort am Vers- und Gedichtende aus, das kunstvoll (Binnen-)Gereimte entfaltet seine Magie auch so.
Der erste Abschnitt ist stimmig mit „lyrics“ übertitelt, der dritte mit „vertont“, man kann sich vieles sehr gut gesungen vorstellen, das weltläufige Panorama umfasst nicht zuletzt Musiker, von Tom Waits und David Bowie bis Luigi Nono, Bach und Schubert. Das zu produktivem Scheitern verurteilte Bemühen, die Musik im Gedicht „nachzusingen“, zwingt Lust und Schmerz zusammen, und mitunter verwandelt das Wort im nächsten Vers den Sinn des vorigen – „elegisch“: „dieser zustand glück inside / ein arioso das wort tränen / unterdrücken / tiefe atemzüge.“ Dann schlägt das lyrische Ich wieder „alarm“, weil doch auch ihm das Hemd näher ist als der Rock: „das fest und ausgehaltene leben / immer da und nichts daneben / viel zu nah das hemd / beileibe täglich enger.“
Leibhaftiges und Körperliches, Hand und Haut, Handlesen und Hautbeschriftung wird hier genau in Augenschein genommen, den Abstands- und Maskengeboten der Coronazeit gilt staunende Resignation, der „covid blues“ ist sparsam instrumentiert. Von Textilien, die uns handgewebt angeboten werden, erwarten wir Sorgfalt, Originalität, Kunstsinn – Dine Petrik kombiniert das „Handgewebe“ ihrer Verse mit dem Lapisblau der rätselhaften Göttin lschtar. Dabei dient das mythologische Personal der Autorin nicht zur Verbrämung des Naheliegenden, es geht ihr konkret um die Kriege und die Versehrten von heute. Bei aller Belesenheit ist sie auf der Hut vor zu viel auratischem Weihrauch, wie vor dem „mahagonistaub“ alter Kleiderkästen: „kann nicht mehr gelingen / dieser vers: klebt zuviel staub / hinter der aufgetönten furnier.“ Die Anklänge an Rilke, Benn oder Kleist muten dort ganz natürlich an, wo sie lässig, wie nebenbei, Miseren aufrufen, beim Lokalaugenschein im Heurigen oder im Biergarten: „schaumgekrönte küsse / pisse, flatulenzen, neue / schläuche alte bräuche / ins finale röhren kehlen/ schlecht verdautes.“ Da und dort im zweiten Abschnitt „artgeredet“ hat die Ironie angesichts von Redensart und verquerer Meinungsmache im Blasmusiktaumel etwas Verzweifeltes.
Die Farbe Blau irrlichtert durch den Band, der „schönheitsdunklen emotion“ steht das Metaphernfeld des Brennens gegenüber, erledigt scheint die Llebe, nicht aber die Dichtung, die „ins mark“ trifft. „ausleuchten“ heißt Petriks düster glühendes Gedicht zum Tod Hertha Kräftners am 13. November 1951 durch eigene Hand, man hat sie mit falscher Routine eine Frühvollendete genannt: „atemlos heilt jede wunde jetzt / seit immer – exitus letalis / schräg ein lächeln / augen auf das letzte / wort ist nicht gesagt.“
(Daniela Strigl, Rezension im Presse-Spectrum vom 20. Mai 2023, S. V)
https://www.diepresse.com/6289741/dine-petrik-das-lyrische-ich-schlaegt-alarm
Semier Insayif: [Rezension]
„Handgewebe lapisblau“, so der Titel des neuen Gedichtbandes von Dine Petrik. Es sind 66 Gedichte, die in drei Kapiteln ein rhythmisch-akzentuiertes sowie thematisch vielfärbiges Geflecht ergeben.
Dabei zeigt sich ein intensives und spannungsgeladenes poetisches Gewebe. „… wie ein knall /der riss durchs alphabet / nachdem längst schon das lapis / blau der Göttin Ischtar leer /geplündert …“ Wir befinden uns also in den ältesten Kulturen zwischen Euphrat und Tigris (an anderer Stelle sogar in der Steinzeit), nah an der mythischen Gottheit Ischtar, die für diesen Gedichtband durch ihre Unfassbarkeit und in sich vereinende Gegensätzlichkeit symbolisch stehen könnte. Kulturen und Schriftzeichen, Schönheit und Zerstörung in wilder Abwechslung, die einem beim Lesen den Atem rauben können. „wie im kehrreim lief / durchlief sich dieses auskragende gesangstück leben“.
Liedhaftes wird von Beginn an in Facetten gezeigt und vorgeführt. Von Nietzsches Nachtgesang über Bach, Blasmusik und Luigi Nono zu Joni Mitchell und Tom Wates. Reime, Enjambements und Assonanzen. Dazwischen der Blick eines Kindes, Pandemisches, Maskenhaftes und Maskiertes, Politisches und Gesellschaftskritisches und Stille. Ein lautes, zartes, scharfes und stilles Handgewebe, dieses sprachreflexive Textil zwischen zwei Buchdeckeln. […]
(Semier Insayif, Rezension im Feuilleton der Furche #21/23 vom 25. März 2023)
https://www.furche.at/kritik/literatur/ganz-dicht/semier-insayif-handgewebte-poesie-und-kometenhafte-sprachflugkoerper-11018800
Astrid Nischkauer: [Rezension]
Unter Handgewebe lapisblau stellt man sich einen sehr fein gewirkten Stoff vor, durchscheinend und weich. Wie fein dieser Gedichtband gewebt ist, verrät bereits das Inhaltsverzeichnis, in dem einige der direkt aufeinander folgenden Titel in engem, klanglichen Bezug zueinander stehen – wie kampf und krampf, verwehrt und versehrt, oder meisterhaft und augenhaft.
Die Fäden, welche die Gedichte in Dine Petriks Handgewebe lapisblau zusammenhalten, sind jedoch weniger stofflicher als musikalischer Natur. Denn ihre Gedichte sind mehr komponiert als geschrieben, werden getragen von Musikalität und kreisen oft auch thematisch um Musik:
ELEGISCH
[...]
nahe töne, bogenstriche
tonkontinuen, verwobene
nuancen eng verschlungen
gehen tief entlang der
notenskala
– stille
dieser zustand glück inside
ein arioso das wort tränen
unterdrücken
tiefe atemzüge
ist nicht nachzusingen
: Schuberts streichquintett c-dur
(Seite 22)
Schon Gedichttitel wie schlaflied, wien lied, virtuos, andante, pause, furios, mondlied, oder chorgesang verweisen direkt auf Musik. Diese wird als etwas beschrieben, das bereits in der frühesten Kindheit Halt zu geben und Trost zu spenden vermochte.
TRÄUME
gibt kein reden fragen furien heulen hören
nicht mehr auf im kopf im kinderkopf fiebrige
schleier fest hineingemummelt in die angst
die skala steigt fast bis hinüber rostige zeiger
scharren aus im fahlen schneelicht da und dort
ein baum ein haus das boot das blaue ob es
trägt es tragen wird das blaue boot nach
ziehen nicht besteigen aus dem eismond
schlingern töne klarinettentöne –
erster anhalt für das kind
(S. 52)
Neben Franz Schubert werden unter anderem auch Gustav Mahler, Richard Wagner, Tom Waits, David Bowie, Mick Jagger, Benjamin Britten, Béla Bartók und Luigi Nono in den Gedichten thematisiert. Musik als Teil der Menschheitsgeschichte lässt sich bis zurück in die Steinzeit belegen:
SCHLAFLIED
[...]
klangsteine
trommelstöcke
taktsignale, erste
evidenzen für musiken
(S. 10)
Von musikalischen Äußerungen der Steinzeit zu den sogenannten neuen Medien: Dine Petrik spannt souverän einen weiten Bogen von den Anfängen der Menschheit bis in unsere Gegenwart:
GUTER JOB
[…]
twittert sich tag
täglich hin und her
ins nimmermehr –
(S. 76)
Weltzugewandt sind die Gedichte auch in anderer Hinsicht, wenn sie Worte finden für Krieg, atomare Verstrahlung, oder die Zerstörung von kulturellem Erbe:
WÜSTENSEGEL
[…]
der riss durchs alphabet
nachdem längst schon das lapis
blau der göttin Ischtar leer
geplündert, längst der
letzte zikkurat zertreten
von soldatenstiefeln
platt getreten ist
(S. 13)
Strophen werden auf dem Bahndamm gepflückt und „wilde jamben/ treten grenzen ein“ während in den Gedichten „wortstaub der das nichts bedeckt“ aufgewirbelt wird: „das wunderfieber buch“ ist höchst ansteckend und Handgewebe lapisblau von Dine Petrik überaus lesenswert!
(Astrid Nischkauer, Rezension im Buchmagazin des Literaturhaus Wien, online veröffentlicht am 17. Mai 2023)
https://www.literaturhaus.at/index.php?id=13930
Helmuth Schönauer: Gegenwartsliteratur 3171
Großes Stimmungskino kann in der Literatur oft mit einem Farbton umschrieben werden, man denke an die rosa Brille oder den alle Sinnesorgane umfassenden Blues.
Dine Petrik setzt ihre Gedichte hinter eine Linse aus „lapisblau“, fein assoziierend, dass rare Farben oft herhalten für politische Formationen, man denke nur an die Blauen oder die Türkisen. Das Genre „Handgewebe“ deutet freilich auf manuelle Kunstfertigkeit hin, auf Geduld von Gewebe und fein gegliederter Stofflichkeit. Ein mit der Hand geschriebener Text kann so als Textur von einzigartigen Arbeitsschritten gelesen werden.
Die 66 Gedichte sind im Inhaltsverzeichnis als dreigliedriges Tafelbild ausgeschildert, die Kapitel sind überschrieben mit lyrics (7), artgeredet (31) und vertont (49). Alle Begriffe verweisen auf eine spezielle Art, wie man mit Gedichten umgehen könnte. Auf die musikalische Nuance folgt eine auf Kunst gemachte sublime Form, und der weiteste Schallraum ergibt sich, wenn er als Tonsammelsurium schlechthin auftritt.
Die Härte der Vokalisierung, mit der Friedrich Nietzsche im Nachtlied die Menschheit warnt, steht als Motto für „lyrics“, in denen balladenhaft die Entgleisung der Weltlage zur Sprache kommt. „O Mensch gib acht in tiefer Nacht“ mutiert zu einem Schlaflied der Evolution. Beim Versuch, in Frieden einzuschlafen, ist die Menschheit von Steinzeit an in ein Trommeln verfallen, das vom permanenten Irrsinn berichtet. Alles, was auf uns überkommen ist, ist längst in uns festgeschrieben.
Keine noch so schöne Hand kann aus diesem Desaster hinausführen, wenngleich es schöne Szenen gibt, worin das Kind lernt, was man mit einer offenen Hand alles anstellen kann. Mit dem Handy spielen beispielsweise. (11)
Im Wort-Umfeld von „Beirut“ ist oft Alarmierendes ausgestreut, Blut, Schmerz, Desaster, aber heute ist es nur ein Aquarell, worin diese Apokalypse sich auf dem Papier in Schlieren verlaufen hat. Verschwommen erkennbar sind die Insignien der Machthaber, eingeritzt als Tattoo des Schreckens.
Diese Motivlage schlägt zwischendurch Brücken zur Dichtkunst der Hertha Kräftner, die an anderer Stelle von der Autorin mustergültig im Nachklang betreut wird.
„Ausleuchten // ein kurzer widerhall / der seele noch in dem gesicht / in eine ferne ohnegleichen // […] // schräg ein lächeln / augen auf das letzte / wort ist nicht gesagt // (Tod Hertha Kräftner, 13.11.1951)“ (28) Dieses „Ausleuchten“ ferner Biographien, Poetiken und Lebensentwürfe bedient sich der Farbe „lapisblau“, in der Kälte und Ferne in Wallung verschmelzen. Die Farbe wird während der Meditation zu einer Vibration.
„artgegeredet“ (31) erzählt von Zuständen und Prozessen, welche in den Devotionalien, Artefakten und Alltagsminiaturen eingearbeitet sind. Handlesen, Videos und Fotos sind Verfahrensweisen, die sich erst entfalten, wenn sie wie ein Buch aufgeklappt sind. So braucht es zwei Vorgänge, um aus der Hand „schlau zu werden“, wenn sie das eine Mal Slow Food in die Hand nimmt, und ein andermal Töne aus der Tuba greift. Im nächsten Schritt mutiert die Hand zu einer Grimasse und der Tuba entströmt der Geruch aus verstopftem Klo (34).
Artgeredet werden später Videos und Fotos, man könnte auch schöngeredet dazu sagen. „vielleicht, sage ich, ist das ja alles / hier nicht mehr als eine stufe himmel“ (46)
„vertont“ (49) handelt von Klangflächen und Ton-Bühnen, die einerseits artifiziell installiert sind, andererseits unkalibriert als Alltagsbeiwerk auf die Rezipienten einströmen. Es sind die Eingriffe des beschallten Ichs, welche das Beiläufige bewusst machen. Ein Augenblick kann sich ungestüm wie ein Traum gebärden, wenn in einem Kinderkopf das Erziehungsuniversum zu einem einzigen Sound verklumpt wird, ein Augenblick kann sich aber auch als Schrei Luft machen, der ins Mark zieht. Aufgewühlt gehen selbst Gesänge ins Mark, denn „Literaturen ja / und die Lyrik ist im Grunde alles / mehr ist nicht zu sagen.“ (54)
Talk Radio schiebt Geräusche über Europa, es wird allerhand gesagt dabei, aber das Entscheidende steht zwischen den Zeilen: „wir sind die eingezäunte Fläche“. (57)
Allmählich kommen die Gedichte an ihr Ziel. Ihre Überschriften lassen sich hintereinander gelesen als jenes Meta-Gedicht lesen, auf das es vielleicht ankommt. Der letzte Bogen lautet: Meisterhaft – Augenhaft – Stille. „das genügt / um diese zeile hier / jetzt zu verlassen / : stille“ (79)
Dine Petrik zeiht die Leser mit sanftem Stupfen hinein in das Handgewebe, das sie geflochten hat. Es sind viele Einladungen ausgesprochen, zwischen den Zeilen Platz zu nehmen und sich einzulassen auf diesen mystischen Zustand, der aus der Farbe herauswummert, wenn man sich unvoreingenommen in das Lapisblau fallen lässt.
(Helmuth Schönauer, Rezension veröffentlicht am 15. März 2023)
Petra Ganglbauer: [Rezension]
Einer ungeheuren Spannung sind die jüngsten Gedichte Dine Petriks ausgesetzt, einer Spannung in der Textur dieser ebenso straff wie souverän komponierten Lyrik. Der so gespannte Bogen entsteht nicht nur aus der exakten Architektur und singulären Stimmführung, sondern auch aus dem Inhalt dieser Gedichte.
In einem unausgesetzten Kräftemessen finden sich das „Hier & das Dort“, das „Noch Nicht“ wie das „Nicht Mehr.“ Es gibt somit keinen Stillstand in diesen vitalen, atemlosen Texten, die so aufmüpfig und widerständig anmuten und die Poetisierung des Gesellschaftsalltags vorantreiben.
Was für ein Rhythmus macht die Qualität dieser Gedichte aus! Ein wiederkehrender „Run“, der mittels Interferenzen oftmals gezielt unterbrochen oder gestoppt wird.
„abstand halten von den falten/ rissen an der stirn noch über den/ september jede vorstellbare tat/ die wechselspiele eros-tanatos/bei Britten: cantus firmus“
(VORSTELLBAR)
Sehr empfehlenswert!
(Petra Ganglbauer, Rezension auf der Webseite des BÖS. Berufsverband Österreichischer SchreibpädagogInnen, veröffentlicht am [31. ?] März 2023)
https://www.bös.at/rezensionen/buchtipps-fuer-den-fruehling-2/
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Flucht vor der Nacht
Funken.Klagen
Ich bin wie ein kaltes Reptil
Stahlrosen zur Nacht
Traktate des Windes