
Gazelle
Heinz Janisch, Michaela Weiss
ISBN: 978-3-99126-106-3
22,5×18,5 cm, 32 Seiten, zahlr. farb. Abb., fadengeheftetes Hardcover
18,00 €
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Kurzbeschreibung
Heinz Janischs und Michaela Weiss’ „Gazelle“ wurde aufgenommen in die KOLLEKTION ZUM ÖSTERREICHISCHEN KINDER- UND JUGENDBUCHPREIS 2025 (☞)
Wenn Lioba traurig ist, verwandelt sie sich manchmal in eine Gazelle.
Ihre Traurigkeit fällt dann von ihr ab, mit einer Bewegung, wie ein Mantel aus dunklem Staub.
„Schau, eine Gazelle“, rufen die Kinder.
Sie staunen, freuen sich und gehen weiter.
Manche winken.
Einige versuchen einen Gazellenschritt.
Eine Gazelle zu sehen – das verändert Vieles.
Die Menschen gehen leise, wie auf Zehenspitzen.
Die Tiere bleiben katzenstill.
Der Wind lässt die Bäume und Häuser in Ruhe.
Lioba, die Gazelle, springt über alle Schatten.
Sie fühlt sich gut.
Die Wege sind anders, wenn das Herz leichter ist.
Mit eleganten Schritten durchquert sie die Stadt.
Alle begrüßen sie.
Die Vögel am Himmel, die Blätter auf den Bäumen, die freundliche Abendluft.
Lioba, die Gazelle, liebt das Leben …
[Text: Heinz Janisch |
Illustrationen: Michaela Weiss]
Rezensionen
Heidi Lexe: Emotionale Suchbewegungen„Wenn Lioba traurig ist, verwandelt sie sich manchmal in eine Gazelle.“ Diesen scheinbar so schlichten Satz setzt Heinz Janisch an den Beginn eines poetischen Textes, der in knappen, versartigen Passagen dem Gefühlsleben eines Kindes folgt. Natürlich hätte dieser Satz auch der Beginn eines phantastischen Romans sein können. Doch wer den heuer mit dem (als Nobelpreis der Kinder- und Jugendliteratur geltenden) Hans Christian Andersen Award ausgezeichneten Autor kennt, weiß, dass sein Metier die kleinen Formen sind. Dafür aber lässt Heinz Janisch das Phantastische zum Fantastischen werden – zu einem Spiel mit der kindlichen Vorstellungskraft; zu einem literarischen Ausloten kindlicher Erfahrungshorizonte, die vom magischen Denken mitbestimmt werden. Und wer die stets lyrisch beeinflussten Textminiaturen von Heinz Janisch kennt, weiß auch, dass hier ein Autor die Kraft seiner Texte stets intensiviert, indem er sie in Korrespondenz mit den Illustrationen namhafter (österreichischer) Künstlerinnen und Künstler treten lässt.
Im Fall von „Gazelle“ (erschienen im Verlag Bibliothek der Provinz) sind es die hauchzarten Radierungen der Buchkünstlerin Michaela Weiss, in denen Mädchen und Gazelle zu Beginn des Bilderbuches übereinandergeschoben werden. Das Mädchen bleibt zurück; die zartgliedrige Gazelle hingegen übernimmt in ihrer „katzenstillen“ Art und mittels eleganter Sprünge das nächste Stück Weg ins Leben. Zurück bleibt damit auch die Traurigkeit, sodass die handkolorierten Farbakzente schmetterlingsartig aufgefaltet werden, denn: „Lioba, die Gazelle, liebt das Leben.“
Erst dieses Vexierbild, mit dem die kindliche Gefühlswelt an- und ausgesprochen wird, ermöglicht es Lioba, wieder zu sich selbst zu finden: „Aus der Gazelle wird wieder Lioba. / Einfach so. / So einfach. / Mit einem Gedanken.“ Michaela Weiss holt das Bild des Mädchens wieder hinter jenem der Gazelle hervor und zeigt Lioba still und selbstversunken in jener Lesesituation, in der sich Liobas eigene Geschichte spiegelt. Kinderliteratur, so wird im Miteinander von Bild und Text deutlich, vermag mehr, als nur mimetisches Abbild kindlicher Realität zu sein. Sie vermag mehr, als evasorische Welten zu etablieren. Sie vermag, innere und äußere Wirklichkeiten in Schwebe zu halten.
Liobas wortwörtliches Ankommen bei sich selbst zeigt die Bedeutung des künstlerisch ausgestalteten Bilderbuchraumes – insbesondere dort, wo kindlichen Emotionen nachgegangen wird. […]
(Heidi Lexe, Rezension in der Furche-Literaturbeilage „booklet“ № 83 vom 21. November 2024, S. 14)
https://www.furche.at/kritik/literatur/booklet/emotionale-suchbewegungen-in-buechern-fuer-kinder-14697571
Marion Klötzer: Was tun, wenn die Traurigkeit kommt?
Tierwandler sind nicht nur im Kinderbuch mächtig angesagt, auch das Bilderbuch spielt mit fantastischen Mutationen, bei denen Kind und Totem verschmelzen, tierische Eigenschaften inklusive.
»Wenn Lioba traurig ist, verwandelt sie sich manchmal in eine Gazelle. Ihre Traurigkeit fällt dann von ihr ab, mit einer Bewegung, wie ein Mantel aus dunklem Staub« – solch Unglaubliches erzählt der vielfach ausgezeichnete Kinderbuchautor Heinz Janisch, dessen 2022 erschienener »Schneelöwe« (Bilder: Michael Roher) schon einmal die Macht der Fantasie beschwor. Dieses Mal setzt die Wiener Illustratorin und Tierspezialistin Michaela Weiss den Gestaltwechsel zauberhaft in Szene: Sie kreiert filigrane Radierungen, koloriert mit Aquarell und schafft so stimmungsvolle Traumszenen. In zartem Tintenblau kauert so schon die Gazelle hinter der sitzenden Lioba, während sich beider Umrisslinien kreuzen. Elegant, grazil und schnell, so springt Lioba leichtherzig durch den Tag und über alle Schatten – bei ihrem Anblick freuen sich die Menschen und »gehen leise, wie auf Zehenspitzen«. Die Vögel, der Wind, die Blätter – alle begrüßen sie … Dann wird es Abend – »Soll sie eine Gazelle bleiben? Oder soll sie lieber als Mädchen heimkommen?« Janisch lässt Lioba sich zurück verwandeln: »Einfach so. So einfach. Mit einem Gedanken.«
Eine poetische Geschichte zum Abtauchen und Wegträumen, ein inspirierendes Spiel mit Identitäten und Wünschen, das Räume für Magie und Selbstermächtigung öffnet: Welches Tier möchtest du gerne sein? Welche Verwandlung hilft gegen deine Traurigkeit?
(Marion Klötzer, Rezension in 1001 Buch Aug. 04/2024, S. 63)
Heinz Wagner: Wie eine zarte Gazelle der traurigen Lioba hilft
Traumhaftes Bilderbuch von Heinz Janisch und Michaela Weiss als Lese- und Schauvergnügen und möglicher Mutmacher.
Welches Tier steckt in dir? Was ist dein Krafttier? Einfache Online-Tests, ausgefeiltere psychologische und / oder therapeutische Gespräche arbeiten mit diesen Bildern. In unterschiedlichster Form kommen sie (nicht nur) in Kinderbüchern oft vor. Zum einen werden häufig ganze menschliche Geschichten in tierische Welten versetzt, zum anderen finden in manchen Verwandlungen von Menschen in Tiere und umgekehrt statt.
Der vielseitige und vielfach ausgezeichnete Autor Heinz Janisch – im Vorjahr mit dem sogenannten Nobelpreis der Kinderliteratur, dem Hans-Christian-Andersen-Preis (ohne Geldpreis übrigens) ge„adelt“ – hat schon vor drei Jahren in „Schneelöwe“ die inneren Werte eines Kindes in Wortbilder eines Tieres verwandelt (illustriert von Michael Roher).
Verwandlung
In „Gazelle“ (illustriert von Michaela Weiss) ist es in gewisser Weise umgekehrt. „Wenn Lioba traurig ist, verwandelt sie sich manchmal in eine Gazelle. Ihre Traurigkeit fällt dann von ihr ab, mit einer Bewegung wie ein Mantel aus dunklem Staub.“
Auf der ersten Doppelseite, auf der die beiden zitierten Sätze stehen, lässt die Illustratorin das Mädchen hinter einer fast durchsichtig zarten Gazelle mit dieser zu einer kuscheligen, Sicherheit gebenden fast wolkigen Einheit verschmelzen. Um auf der folgenden Doppelseite selbstbewusst und aufrecht zu tanzen, in der Folge zu schweben, bunt und „flatterhaft“ wie ein Schmetterling entpuppt sich die sich nun sicher und stark fühlende Lioba voller teils ausgelassener Lebensfreude. Verliert aber nie ihre Feinfühligkeit, sozusagen die Gazelle in ihr wie spätestens das Schlussbild sehr deutlich zeigt.
Fast poetischer Text und ebensolche Bilder können vielleicht neben Lese-, Schau-, und Nachdenkvergnügen vielleicht auch Anstoß sein, sich für Momente der Schwäche eigene gedankliche, verträumte Hilfstiere oder -mittel auszudenken.
([KiJuKU-heinz], Rezension für KiJuKU online veröffentlicht am 1. März 2025)
https://kijuku.at/buecher/wie-eine-zarte-gazelle-der-traurigen-lioba-hilft/
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Eisenstadt
Gesang um den Schlaf gefügig zu machen
Lobreden auf Dinge
Nach Lissabon
Schon nähert sich das Meer