Krems – Das Ende der Verdrängung
Robert Streibel
ISBN: 978-3-99126-206-0
24,5×17 cm, 512 Seiten, zahlr. z.T. farb. Abb., graph. Darst., Kt., Hardcover m. Lesebändchen
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Kurzbeschreibung
Wer sich der Geschichte einer Stadt nähert, der muss zu einer Erkundung aufbrechen. Der genius loci ist jedoch ein stummer Geist. Es braucht HistorikerInnen, die diesen Geist zum Sprechen bringen.
Im Fall der Stadt Krems hat Robert Streibel die Rolle des Einflüsterers übernommen, um die Geschichte in Geschichten aufzulösen und so den Menschen dieser Stadt ihre Geschichte zurückzugeben. Nicht alle Geschichten waren immer erwünscht und es dauerte Jahrzehnte, bis alle Geschichten erzählt wurden und gehört werden wollten.
EINE ANDERE GESCHICHTE VON KREMS
Krems hat viele Besonderheiten zu bieten, ausnahmsweise sind hier nicht die Altstadt, die Kirchen und Kapellen und der Wein gemeint. Krems hat das Privileg, einem würzigen Senf den Namen zu geben. Krems ist auch ein historischer Boden, nicht nur für die Grenze zwischen den Römern und den Germanen, nicht nur als Durchzugsort der Nibelungen, sondern auch als nationale Stadt. Hier fand Georg Ritter von Schönerer nicht umsonst Zuflucht nach der Freilassung aus dem Gefängnis, hier wurde bei einem Gauturnfest zum ersten Mal der sogenannte „Arierparagraph“ zur Anwendung gebracht und der Erfinder der Turner und „Forscher“ Franz Xaver Kießling starb hier, nicht nur vom „Völkischen Beobachter“ als Vorkämpfer betrauert. Er hatte auch bis weit in die Gegenwart (bis 2019) ein Ehrengrab.
Krems war 1932 die erste Stadt mit einem nationalsozialistischen Bürgermeister. Nach einem Bombenanschlag am 19. Juni 1933 auf eine Hilfspolizeieinheit aus christlich-deutschen Turnern wurde die NSDAP in ganz Österreich verboten. Krems stellte mit Hauptmann Josef Leopold für einige Jahre den Gauleiter der illegalen NSDAP in Österreich. Krems wurde zur Gauhauptstadt von Niederdonau ernannt. In Krems-Stein befand sich das größte Zuchthaus auf dem Gebiet der Ostmark und in Gneixendorf in der Nähe von Krems befand sich das größte Kriegsgefangenenlager STALAG XVIIB mit drei Mal so vielen Inhaftierten als Krems Einwohner zählte. In Krems waren SS, SA und Wehrmacht für das größte sogenannte „Endzeitverbrechen“ am 6. April 1945 an Häftlingen des Zuchthauses Stein verantwortlich.
Am 6. Mai 1945 fand in Krems das letzte Gedenken an Adolf Hitler im großdeutschen Reich statt. Krems ist auch eine Stadt der Gegensätze, denn es gibt nur wenige Städte und Orte, wo es in Kontinuität seit 1945 immer zumindest einen kommunistischen Gemeinderat gab. Die lange Zeit verdrängte und verschwiegene Geschichte der Stadt möchte dieses Buch einladen zu entdecken.
Rezensionen
Robert Streibel: Robert Streibel zum Themenweg „Krems macht Geschichte“Seit 40 Jahren bin ich mit der Geschichte der Stadt beschäftigt. Ich habe mein erstes Interview 1984 gemacht, mit Franz Ehrenleitner aus dem Traisental, einem Überlebenden des Massakers von Stein vom 6. April 1945. Durch Jahrzehnte hat sich niemand darum gerissen sich mit der NS-Geschichte und den Opfern zu beschäftigen. Die Erforschung der Geschichte und das Bemühen, jenen eine Stimme zu geben, die lange nicht gehört werden wollten, war für mich immer ein Antrieb so lange durchzuhalten. Um die notwendige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erreichen hätte es nicht gereicht, sich nur auf die wissenschaftlich Dokumentation zu beschränken. Wissenschaft muss auch wahrgenommen werden, es braucht parallel dazu immer eine Volksbildung, sonst ist alles Forschen sinnlos.
Bei diesem Bemühen war es durch Jahrzehnte immer so, dass Gemeinden, Städte und Vereine immer bloß reagiert haben. Nur wenn Druck ausgeübt wurde, ist etwas passiert. Verantwortung zu übernehmen für die Geschichte, das war die Ausnahme, Erich Grabner der Altbürgermeister war so eine Ausnahme, Unter seiner Ägide war zum ersten Mal eine gewisse Bereitschaft spürbar. Aber wenn auch der Bürgermeister weltoffen ist, so gab es in der Hierarchie darunter viele Bremser, im Archiv und im Kulturamt und wo auch immer.
Wenn jetzt die Geschichte in Krems mit diesem Themenweg sichtbar wird, so ist das ohne dem Wollen der Stadt und der Einsicht, dass wir uns der Geschichte stellen müssen, nicht möglich.
Wenn zwei tollen Projektteams mit dem von mir gesammelten Material einen Rundgang durch die Stadt ermöglichen, so ist das etwas ganz Besonderes. Die Geschichte wird nicht ins Museum verbannt wird, sondern bekommt einen Platz im Alltag.
Davon habe ich wirklich immer geträumt.
Meine Forschungsergebnisse habe ich in verschiedenen Büchern und Artikel präsentiert. Das letzte Buch, das vorgestern aus der Druckerei kam, heißt schlicht und einfach: „Krems: Das Ende der Verdrängung“. Der Titel fasst alles in einem Satz zusammen. Hoffen wir, dass diese neue Situation lange andauern möge.
Es hat lange gedauert, nicht nur in Krems, aber jetzt wird man nicht so schnell eine Stadt finden, wo die Geschichte mit allen Brüchen, den Fehlern und den Morden, so vorbehaltlos in der Öffentlichkeit präsentiert wird.
Krems hat eines der beeindruckendsten Denkmäler für die Opfer der Shoa auf dem jüdischen Friedhof, ein Kunstwerk an der Außenmauer des Gefängnisses Stein, mehrere Straßen, die nach mutigen Frauen benannt sind, eines der wenigen Erinnerungszeichen für ZwangsarbeiterInnen in der NS-Zeit in Österreich und jetzt hat die Stadt einen markierten Weg durch die Zeitgeschichte. Krems macht Geschichte.
All das wird hoffentlich dazu führen, dass wenn der Nationalsozialismus in den Schulen der Stadt und in der Umgebung behandelt wird, keine Schülerin und kein Schüler mehr den Eindruck hat, dass alles irgendwo im Osten passiert ist, aber nichts mit uns hier zu tun hat. Denn alles begann hier. Nebenan. Danke an allen, die dies möglich gemacht haben.
Buchpräsentation
Das Buch „Krems: Das Ende der Verdrängung“ wird am Freitag 7. Juni 18:30 im Goldenen Kreuz, Langenloiser Straße 4 präsentiert werden. Begrüßung durch Bürgermeister Mag. Peter Molnar, Moderation GR Elisabeth Kreuzhuber.
Der Schriftsteller Erich Hackl über den Autor Robert Streibel
„Robert Streibel ist ein Sonderfall unter den Historikern, und ein Sonderfall auch unter den Geschichtspublizisten: akribisch genau in seinen Recherchen; originell in der Art, wie er seine Stoffe ergründet; unbeirrt in seiner Beständigkeit; leidenschaftlich in der Zuneigung zu den Verfolgten. Er reibt sich an der Geschichte, zeigt, wie gegenwärtig sie noch ist, und zwar so, dass diese Gegenwärtig anderen einleuchtet. Er ist also nicht nur Forscher und Chronist, sondern auch ein Geschichtsaktivist, der den Propagandisten des Vergessens und Verharmlosens heimleuchtet.
Sein herausragendes, immens spannendes Werk über Krems in der Nazizeit ist zum Teil schon vor Jahren entstanden, hat aber nichts von seiner Aktualität eingebüßt. In ihm steht der Satz: ‚Das Beispiel Krems zeigt, dass Erfolg in der Gedenkarbeit nur möglich ist, wenn man einen langen Atem besitzt.‘ Weil er diesen Atem hat, ist Robert Streibel einer der erfolgreichsten Gedenkarbeiter.“
(Artikel online auf MeinBezirk.at am 6. Mai 2024 veröffentlicht, in gekürzter Fassung und leicht veränderter Form auch erschienen in den Bezirksblättern Niederösterreich, Ausgabe Krems #20/24 vom 15./16. Mai 2024, S. 9)
https://www.meinbezirk.at/krems/c-regionauten-community/robert-streibel-zum-themenweg-krems-macht-geschichte_a6676305
Eva Riebler: [Rezension]
Erinnerungskultur pur! Robert Streibel, geb. 1959 in Krems, ist ein großartiger Journalist und Autor. Er recherchiert nicht nur in allen öffentlichen Stellen, sondern fährt seit 1986 von England bis …Stalingrad …bis Jerusalem und … um Fotos wie Berichte noch lebender Zeitzeugen zu bekommen. Sein Interesse gilt stets der Zeit des Nationalsozialismus, worüber er im Zuge seines Germanistik und Geschichtsstudiums dissertierte. Ohne seine Werke Krems 1939–45. Eine Geschichte von Anpassung, Verrat und Widerstand, 2014 oder April in Stein 2015 usw., müsste dieses Buch mehr als 512 Seiten aufweisen.
Er ist ein Unbeirrter, ein leidenschaftlicher Wiederholungstäter in Sachen Erinnerungskultur: Ist die Erinnerung nicht unser Gedächtnis? Ist sie Anlass zur Schande oder zum Wundern und Wegsehen? Er recherchiert genau, nennt alle Namen und exakte Ort und belegt sorgfältig – und das macht die Sache für viele so ungemütlich! Dabei klagt er nicht an, sondern bringt, oft mit Ironie, alles, was beweisbar ist. Und das macht seine Bücher so wertvoll und lesbar, ohne sich einen giftigen Dorn einzupflanzen!
Streibel findet auch außerhalb von Anfeindungen, Vertreibung und Mord, sei es im KZ oder bei der Öffnung des Gefängnisses Stein seine Themen in Krems. S. 182 ist er auf der Suche nach einem 1938 im Göttweiger Konvent gestohlenen, nunmehr quasi „entliehenen“ Barockgitter im Hotel Post und „umstellt das Gerücht mit Fotos.” In der guten Stube nun zum „barocken Gerücht” eine einfache Frage zur Nachspeise an den Wirt. „Die Antwort war Erinnerungsbarock, doch nicht stilecht, sondern aus verschiedenen Versatzstücken zusammengesetzt.”
Streibel weiß immer den Täter und nicht nur das. Er ist Spezialist in Sachen Verdrängung von Nutznießern in einer Stadt, die bereits 1930 die meisten Hitler-Sympathisanten, den ersten Nazi-Bürgermeister 1932 und 1946 die wenigsten (1,1%!, NÖ 9,6%) belasteten Nazi hatte.
Empfehlung unbedingt und naturgemäß!
(Eva Riebler, Rezension in etcetera. Literaturzeitschrift der LitGes, №96 / Juni 2024, S. 71)
https://litges.at/kritik/buch/eva-riebler/robert-streibel-krems-das-ende-der-verdraengung
Martin Kalchhauser: Robert Streibel: „Es gibt nur die eine Kremser Geschichte“
Kremser Historiker im Gespräch über sein Werk „Krems – Das Ende der Verdrängung“, für ihn „eines meiner schönsten Bücher“.
Das neue Buch des Kremser Historikers Robert Streibel ist ein Schmöker mit über 500 Seiten. Ist es eine Zusammenfassung seiner vielen Werke über die Stadt Krems in der NS-Zeit?
Lesefreundliches Buch lädt zum Blättern ein
„Es ist fast alles drinnen, aber noch immer nicht alles,“ schmunzelt der Autor im Gespräch mit der NÖN. „Das Werk ist sicher eines meiner schönsten, mit vielen Fotos, und es lädt zum Blättern ein.“ Außerdem sei es lesefreundlich, „weil man in jedem Kapitel einsteigen kann“. Das Buch sei nach Straßen und Plätzen gegliedert, der Blick aber teilweise auch über die Nazi-Zeit gerichtet, bis hin zum Ersten Weltkrieg.
Parteiheim der Nazis an Adresse Judengasse
Auch mit einigen Besonderheiten wartet das Werk auf. So wundert sich Streibel, dass das Handgranatenattentat vom 19. Juni 1933 im Alauntal bisher so wenig erforscht war, obwohl es weitreichende Folgen hatte, weil danach die NSDAP in ganz Österreich verboten wurde. „Das war noch wenig aufgearbeitet, das hat sich noch kein Historiker näher angeschaut.“ Kurioses Detail am Rande: Die Nazis hatten damals ihr Parteiheim ausgerechnet in der Judengasse. Daher wurde die Adresse nie angegeben. Streibel fand aber heraus, dass einer der Attentäter dort gewohnt hatte. „Da waren auch ,Sozialwohnungen‘ für arbeitslose Männer untergebracht.“
Zeitzeugen, die man fragen könnte, werden rarer
Was ist für den Historiker Robert Streibel heute anders als früher? „Die Zeit ist einfach reif für vernünftige Dialoge. Es ist immer ein Gespräch möglich, auch wenn man an unterschiedlichen Enden der politischen Skala steht.“ Auf die Frage, ob das vielleicht sei, weil Streibel anerkannt sei? Streibel: „Unabhängig davon, dass jemand findet, dass ich übertreibe – man kommt nicht drum herum. Es gibt nur die eine Geschichte. Zugegeben, der Wunsch, sich mit der NS-Zeit in Krems auseinanderzusetzen, war in den 1980er-Jahren enden wollend. Es hat sich keiner drum gerissen, darüber zu schreiben.“ Was Streibel bedauert: Es gibt immer weniger Menschen, mit denen man über damalige Erlebnisse reden kann.
Streibel: „Ich habe heute viel mehr Gelassenheit!“
Könnte der Historiker die Zeit seines Schaffens zurückdrehen, was wäre anders? „Ich habe heute viel mehr Gelassenheit“, meint der Autor. „Vielleicht würde ich auch versuchen, den Menschen, die damals die NS-Ideologie vertreten haben, besser und genauer zuzuhören.“ Herausgekommen, davon ist er überzeugt, wäre aber auf jeden Fall dasselbe.
Antisemitismus mit Muttermilch weitergegeben
Machen aktuelle Entwicklungen (FPÖ, AfD, …) Angst? „Es ist erschreckend, dass sich manches zu wiederholen scheint“, spricht Streibel wachsenden Antisemitismus an. „Da hat es sicher lange eine Blauäugigkeit gegeben. Man hat nicht gesehen, dass ein Teil der Zuwanderer aus einem Raum kommt, wo der Antisemitismus schon mit der Muttermilch weitergegeben wird.“ Mit Polizeimethoden sei dem nicht beizukommen. Man müsse den Zuwanderern, aber auch manchen schon hier Geborenen, deutlich machen: „Ihr seid Teil unserer Gesellschaft, und wir haben gewisse Spielregeln.“ Leider sei eine Lösung („Packen wir sie und schmeißen wir sie raus!“) nicht so einfach, wie sich das manche vorstellen.
(Martin Kalchhauser, Rezension in der NÖN Ausgabe Krems, online veröffentlicht am 7. Juni 2024)
https://www.noen.at/krems/buchpraesentation-robert-streibel-es-gibt-nur-die-eine-kremser-geschichte-425206961