Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach
Episoden aus einer Jugend mit Querschnittlähmung
Andreas Nastl
ISBN: 978-3-85252-590-7
21×15 cm, 360 Seiten, Hardcover | 2. Aufl.
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Kurzbeschreibung
„Nastl kann wunderbar erzählen. Er beherrscht die Kunst der Lakonik, der weisen Verknappung; er kann andererseits auch mit Augenzwinkern schwadronieren, er hat Witz und er berührt. So ist diese Autobiografie eines 1965 auf dem Land geborenen Nachzüglers, der in Folge eines Tumors querschnittgelähmt ist, eine seltene Gelegenheit, die Lebensumstände eines schwerbehinderten Menschen in den Jahren des Wirtschaftswunders nachzuverfolgen.“
(Die Presse)
[Dieses Buch wurde 2004 mit dem Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich – Sparte Literatur – ausgezeichnet.]
HANDREICHUNG
Seit Geburt bin ich querschnittgelähmt. Ich habe einige Merk-Würdigkeiten aus meiner Jugend aufgeschrieben – nicht zuletzt, um anderen Menschen in ähnlichen Situationen Mut zu geben und ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Problemen und Problemchen. Schließlich sind Behinderte auch nur Menschen – mit Stärken und Schwächen, wie alle anderen auch!
Die Geschichte, die ich erzähle, basiert auf tatsächlichen Begebenheiten. Dennoch soll dies weniger »die Wahrheit« über das sein, WAS ich erlebt habe, als vielmehr der Versuch zu beschreiben, WIE ich das Erlebte empfunden habe. Jede Medaille hat zwei Seiten – und die Wahrheit eben viele Gesichter.
Letztlich bemühe ich mich bloß einem Satz von Stan Nadolny zu folgen: Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!
(Die Namen der handelnden Personen sowie die Ortsbezeichnungen wurden überwiegend geändert.)
Hinweis zur leichteren Lesbarkeit:
Im Anhang befindet sich eine kleine Übersetzungshilfe vom Österreichischen ins Deutsche für jene, welche gewisse Besonderheiten der österreichischen Sprache erkunden möchten – denn wie heißt es so schön: »Nichts unterscheidet die Österreicher mehr von den Deutschen als die gemeinsame Sprache!«
Rezensionen
Erwin Riess: Tagein, tagaus ein Bild des NichtgenügensQuerschnittgelähmt: Andreas Nastl über seine Jugend
Wer Literatur für Minderheiten schreibt, hat es schwer. Zum einen werden die Texte mehr als Sachbuch denn als literarische Arbeit gelesen, zum anderen vermeiden viele, hier schreibe sich jemand bloß die Frustration über Demütigungen vom Leib. Zwar sind die Abwehr einer verletzenden Welt und die Selbstbehauptung des Individuums bei vielen bedeutenden Autorinnen und Autoren immer vorhanden, ja sie werden als Beweis von Authentizität genommen; bei Angehörigen von Minderheiten gilt das jedoch nicht. Was den einen als Vorzug zugemessen wird, schlägt bei den anderen als Malus zu Buche. Vom Verdikt der Betroffenheitsliteratur bis zum Kitschvorwurf ist es dann nicht mehr weit. Literatur von behinderten Menschen steht solcherart von vornherein unter Generalverdacht.
Texte, die ein realistischen Bild vom Leben Behinderter zeichnen, müssen schon besonders gut sein, wollen sie sich gegen diese Stereotypen behaupten. Umso erfreulicher, wenn man auf eine dieser Arbeiten stößt. Die Aufzeichnungen Andreas Nastls über eine „Jugend mit Querschnittlähmung“ stellen einen solchen Glücksfall dar. Die Lektüre des 340 Seiten starken Bandes macht von der ersten bis zur letzten Seite große Freude.
Dafür gibt es einen guten Grund: Nastl kann wunderbar erzählen. Er beherrscht die Kunst der Lakonie, der weisen Verknappung; er kann andererseits auch mit Augenzwinkern schwadronieren, er hat Witz und er berührt. So ist diese Autobiografie eines 1965 auf dem Land geborenen Nachzüglers, der in Folge eines Tumors querschnittgelähmt ist, eine seltene Gelegenheit, die Lebensumstände eines schwerbehinderten Menschen in den Jahren des Wirtschaftswunders nachzuverfolgen.
In den 60er Jahren stand das mechanische Denken bei Medizinern hoch im Kurs. Körperbehinderte Menschen wurden für Monate in Gips gelegt, in Stützschienen gesteckt, in Gestelle gepfercht – der schiefe Körper sollte gefälligst wieder gerade werden.
Angstfrei anders sein zu können, war unmöglich. Es waren diese Praktiken, welche vielen behinderten Menschen die Jugend vergällten. In der Doppelmühle von Aussonderung und Zwangsintegration schlugen sie sich durchs junge Leben, monatelang von Familie und Freunden getrennt. Drei Jahre lang versucht der berühmte Mediziner Rett, den querschnittgelähmten Buben zum Gehen zu bringen, das Kind muss schmerzhafte Schienen tragen, liegt ein Jahr im Spital und bekommt tagein, tagaus ein Bild des Nichtgenügens vermittelt. Andere Psychen wären daran zerbrochen. Nicht so die des Autors.
Er reagiert mit Subversion und List. Autoritäten durchschaut er früh, Trotzsprüchlein der Religion empfindet er als Betrug. Lieber befasst er sich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens: Initiationsriten und Mädchen. Er macht einige großartige und viele bittere Erfahrungen und reift zum Mann. Wenn es Zeit und Geld erlauben, reist er oder sucht bei der Krankenkasse um einen Kuraufenthalt im All an. „Denn das Hauptproblem meiner Wirbelsäule ist die Schwerkraft. Die Aufhebung derselben würde meine Beschwerden beseitigen.“ Wie die Kasse reagiert hat? Nachlesen! Unbedingt bei Nastl nachlesen!
(Erwin Riess, Rezension im Presse-Spectrum vom 16. Juli 2005)
https://www.diepresse.com/155274/tagein-tagaus-ein-bild-des-nichtgenuegens
Manfred Chobot: Scheiß an Paula
Erinnerungen eines 1965 geborenen Autors
„Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach“ ist das erste Buch von Andreas Nastl. Eine Autobiographie? Ein „Entwicklungsroman“? Weder das eine noch das andere und dennoch ein Buch, das beide Elemente in sich trägt und miteinander vereint. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zu anderen Büchern, die sich mit der Thematisierung von Jugend und Kindheit auseinandersetzen. Man denkt an Franz Innerhofer, der seine bäuerliche Umgebung beschreibt, an Gernot Wolfgruber, der aus einer ähnlichen Gegend wie Andreas Nastl seine Erfahrungen schöpft, oder an Margit Schreiner, die sich mit Verwandtschaft und Familie auseinandersetzt. Noch etliche Beispiele könnten genannt werden.
Seit seiner Geburt ist Andreas Nastl querschnittgelähmt. Bereits im Alter von zwei Wochen wurde er zum ersten Mal operiert. Diese Operation hat ihm wahrscheinlich das Überleben erst ermöglicht.
„Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit: Gewissermaßen in der Mitte quer durchgeschnitten. Meine untere Hälfte ist gelähmt. Sie spürt nichts, die Beine sind gefühllos. Ich könnte mit einem Messer in meine Beine stechen und würde es nicht spüren. Man hat mir sogar schon ein Geschwür groß wie ein Hühnerei ohne Narkose aus der linken Arschbacke geschnitten!“
Auch davon berichtet Andreas Nastl in seinem Buch. Nicht Erfindungen, sondern Erinnerungen werden erzählt. Die zentrale Figur des Textes – der „Held“ – ist der Autor selbst. Bemerkenswert ist allerdings, auf welche Art dies geschieht.
„Die obere Hälfte muss sich immer um die untere kümmern. Sie besteht hauptsächlich aus einem Kopf, der mit Hirn versucht das auszugleichen, was das Rückenmark nicht leistet. Manchmal klappt das, oft auch nicht. Dann ist die obere Hälfte traurig, wütend, enttäuscht. Franz Kafka hat das folgendermaßen beschrieben: Mein Körper ist eine Falle, in die ich bei meiner Geburt geraten bin. – Manchmal fühle ich mich genau so. Doch ich bin kein lebloses Stück Holz, das sich einfach treiben lässt. Ich bin wie ein Fisch und freue mich, dass ich schwimmen kann – auch wenn manchmal die Strömung stark und das Wasser kalt ist.“
Tatsächlich hat Andreas Nastl schwimmen gelernt. – Und er hat auch gehen gelernt. „Zwei Monate zuvor sind ein paar Menschen auf dem Mond gelandet und haben so bedeutende Worte gesagt wie: Ein kleiner Schritt für einen Menschen, doch ein großer Schritt für die Menschheit – auf Englisch, weil es ja Amerikaner waren. In Liebenbach hingegen gelingt zwar nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für einen kleinen Menschen. Und bei uns zuhause verblassen angesichts meiner zaghaften, kleinen Schritte sogar die großen Schritte auf dem Erdtrabanten.“
Die Krücken und der Stützapparat für die Beine sind Andreas Nastl zwar behinderlich, dennoch zwingend erforderlich. Gelähmt sind die Beine, die Blase, der Mastdarm. Um mit dem Verdauungsapparat eine ausgewogene Symbiose einzugehen, bedarf es Abführmittel sowie eine entsprechende Rücksicht auf die Nahrungszufuhr. Eigene Strategien werden entwickelt, wie der Körper ausgetrickst werden kann. Dennoch scheut sich der Erzähler nicht, an Saufgelagen teilzunehmen und seinem Körper eine extreme Belastung zuzumuten. Allemal gilt es, die Grenzen auszuloten. Schon als Kind galt in der Familie die Maxime: Dieses Kind ist wie jedes andere. Die Behinderung einfach ignorieren. Ohne Rücksicht auf Verluste. Indem sich die Verluste als Bonus für einen eigenen Weg erwiesen.
Keine Herausforderung ist gewagt genug, was beim Indianer-Spiel beginnt, abwegige Kletterpartien, um den Mädchen zu imponieren, sich mit dem Rollstuhl vom Moped eines Freundes ins Schlepptau nehmen lassen, dass die Räder an die Grenze ihrer Belastbarkeit gelangen, an einer Schlauchbootfahrt teilnehmen. Und vieles mehr. Nach dem Motto: „No risk – no fun. Live hard – die young.“ Dennoch überleben und die Behinderung scheinbar nicht zur Kenntnis nehmen.
„Denn obwohl das Leben auch eine Menge komischer Seiten hat, ist es doch in letzter Konsequenz bloß der erfolglose Versuch, das eigene Sterben zu verhindern.“
Andreas Nastl nennt die Dinge beim Namen, nimmt sich kein Blatt vor den Mund, beschönigt nicht, beobachtet vielmehr präzis und detailgenau. Überaus exakt sind die Wahrnehmungen. Und ebenso zynisch wie selbstironisch. Dieser Ton dominiert den gesamten Text.
Aufgewachsen im niederösterreichischen Weinviertel, wird Nastl konfrontiert mit der Brutalität des Landlebens. „Beim Saustechen herrscht immer große Aufregung in Haus … Als Henkersmahlzeit gibts frischen Sautrank aus Gerstenschrot und gekochten Erdäpfeln, warm, dampfend und für eine Sau unwiderstehlich wohlriechend und wohlschmeckend. Auf das genüssliche Schnauben, Schmatzen und Grunzen folgt jäh ein dumpfer Knall aus dem Schussapparat.“ Die zum Verzehr gezüchteten Hasen schlachtet der Vater selbst. Der Bub stochert mit einem Stecken im Hasenblut. „Graust dir vor gar nichts?“, sagt der Vater. Mit der Schwiegermutter ist er bis an sein Lebensende per Sie. Was ihn keineswegs hindert, sie ganz gemein zu beschimpfen. Der Vater säuft sich zu Tode. Seine Ideale sind im Krieg und in der Zeit danach zu Bruch gegangen. Der Sohn scheint die Distanz zu wahren. Dennoch erliegt er eine Zeitlang dem Dunst der Neo-Nazis. Den Idealen von Männlichkeit und Stärke. Bis er erkennt, dass er in diesem System keine Chance des Überlebens gehabt hätte.
Und er will leben, den anderen zeigen, was in ihm steckt, sich selbst beweisen. Schulabschluss und Führerschein, ein eigenes Auto lenken. Einen Beruf ergreifen, selbst wenn er nicht Rad fahren kann. Jahrelang Pendler und immer wieder Operationen.
Die Wohnsituation daheim lässt zu wünschen übrig, es gibt kein Badezimmer, gebadet wird in der Küche, wozu eine verzinkte Badewanne aus dem Presshaus geholt wird, das Wasser wird auf dem Herd erwärmt und mit einem Kübel in die Wanne gefüllt.
Der Tod einer Wespe findet ebenso Erwähnung wie die Ausgestaltung für ein lokales Faschingsfest. Der Maler hinterlässt auf dem Monumentalgemälde die Abdrücke seiner Krückenstoppel. Von der Ferne sieht sie ohnedies niemand.
Am heftigsten erscheint ihm seine Behinderung, wenn er wegen der Krücken nicht gleichzeitig etwas tragen kann. Die oftmals deftige Sprache kennt kein Pardon. Die Umgangssprache ist jene Sprache, mit der sich umgehen lässt, die aus dem Alltag resultiert. Man nimmt Belangloses und Wichtiges gleichermaßen zur Kenntnis, weil es in jedem Fall pointiert geschrieben ist, manche Episoden mehr, andere weniger. Einige sind philosophisch, sogar metaphysisch: „Aber, sagt der Krankenhauspfarrer, wir sollen demütig unsere Prüfungen bestehen! Habe ich davon nicht schon in der Schule genug gehabt? Hat Gott bei mir auch bloß geprüft, ob ein Mensch mit Querschnittlähmung doch noch irgendwie gehen kann? Verkrüppelt, mit Krücken, Schienen, einer Blasen- und Darmlähmung, dazu eine hypersensible Psyche mit daraus resultierenden Magenproblemen und sieben Dioptrien Kurzsichtigkeit auf beiden Augen – wahrscheinlich, damit ich nicht so genau sehe, was um mich so alles vorgeht. Damit ich all den Wahnsinn dieser Welt nicht mitkriege? … Als Antwort auf die großen Fragen des Lebens erhalten wir letztlich nur lautes Schweigen. Lieber lebe ich in einem sinn- und zwecklosen Kosmos, als zu einem Gott zu beten, der all das Übel zulässt.“
Die katholische Erziehung steht im Widerspruch zu der erlebten Realität. „Scheiß an Paula“, hatte der Vater immer gesagt, wie andere Väter seiner Generation ebenfalls. „Was ich gebetet habe! … Bei der Beterei muss man ja Gott immer für alles danken: für die Sonne, für den Regen, für das tägliche Brot und für die Eltern. Auch wenn der Vater die Familie tyrannisiert und sich zu Tode gesoffen hat. Und für alles andere auch.“
Nastl vermittelt das poetische Bild eines Schmetterlings, der immer wieder während der Sonntagsmesse gegen die bunten Glasscheiben der Kirche anfliegt. Im Glas der Scheiben ist kein Nektar zu finden. – Der Autor hat ihn gefunden, indem er dieses Buch geschrieben hat.
Die Frage ist, was danach kommt – nach diesem Buch? Die Frage ist eine Hoffnung.
(Manfred Chobot, Rezension in: Literatur und Kritik)
https://www.biblio.at/rezonline/ajax.php?action=rezension&medid=17398&rezid=20460
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