STATION BERLIN
Texte österreichischer Autoren
Gumpert | Tucai
ISBN: 978-3-85252-112-1
21 x 13 cm, 284 Seiten, 50 schw.-w. Abb., Hardcover
24,00 €
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Kurzbeschreibung
[Hrsg. von Gumpert | Tucai.
Mit Texten von: Friedrich Achleitner, H. C. Artmann, Ingeborg Bachmann, Hermann Bahr, Vicki Baum, Konrad Bayer, Gerald Bisinger, Ferdinand Bruckner, Günter Brus, Elfriede Czurda, Albert Ehrenstein, Helmut Eisendle, Elfriede Gerstl, Franz Grillparzer, Albert Paris Gütersloh, Peter Handke, Raoul Hausmann, Wolfgang Hermann, Arthur Holitscher, Ödön von Horváth, Ernst Jandl, Elfriede Jelinek, Andreas Jungwirth, Franz Kain, Kurt Klinger, Oskar Kokoschka, Fritz Mauthner, Friederike Mayröcker, Birgit Müller-Wieland, Robert Musil, Florian Neuner, Alfred Polgar, Wolfdietrich Rasch, Josef Roth, Gerhard Rühm, Robert Schindel, Hermann Schürrer, Waltraud Seidlhofer, Hilde Spiel, Marlene Streeruwitz, Franz Tumler, Peter Turrini, Oswald Wiener, Stefan Zweig.]
Das Buch: Was führt österreichische Autorinnen und Autoren nach Berlin? Wie erleben sie die Stadt, was zieht sie an und was stößt sie ab? In »Station Berlin« haben die Herausgeber, wie bereits in ihrer Anthologie »Linz literarisch« (Weitra, 2007), besonderes Gewicht auf die Literatur seit 1945 gelegt. Dabei erweisen sich vor allem die 1960er und 1970er Jahre als interessant. Bedeutende österreichische Autorinnen und Autoren leben zu dieser Zeit in Berlin, im Westteil der Stadt. Die Reihe reicht von Ingeborg Bachmann, die 1963 mit einem Stipendium der Ford-Foundation nach Berlin kommt, bis zu Schriftstellern wie Elfriede Jelinek und Peter Handke.
Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert, vor jeden literarischen Text sind kurze einführende Bemerkungen gestellt, die über die Person der Autorin oder des Autors, über deren Schaffen oder den ausgewählten Text orientieren. Mit Fotografien von Ewald Tucai.
Die Herausgeber:
Gregor Gumpert, geb. 1962. Literaturwissenschaftler. Lebt in Berlin.
Ewald Tucai, geb. 1963. Architekt und Fotograf. Lebt in Berlin.
Rezensionen
Kai Agthe: Ankunft in der InselstadtBerlin zog österreichische Autoren spätestens seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts magisch an. Scheinbar haben alle irgendwann einmal in Berlin Station gemacht. Eine Anthologie mit Texten von Schriftstellern aus Österreich in Berlin war also überfällig. „Station Berlin“ ist weder chronologisch noch alphabetisch, sondern thematisch und sehr assoziativ in die Rubriken „Kontraste“, „Großstadt“, „Psychogramme“, „Männer“, „Teilung“, „Fassade“ und „Schnappschüsse“ geordnet. Jede Autorin, jeder Autor wird vor seinem Text über die Stadt kurz vorgestellt. Der nachtschwarze Band mit dunkelgrüner Etikett-Prägung und knallrotem Lesebändchen ist sehr geschmackvoll gestaltet und erinnert an die schlichte Buch-Ästhetik, die der Kurt Wolff-Verlag in Leipzig Anfang des 20. Jahrhunderts pflegte. Das Geleitwort zu dem Band steuerte Christian Prosl bei, der zwischen 2003 und 2009 zwar nicht als Schriftsteller, wohl aber als Botschafter der Republik Österreich in Berlin lebte und damit einer von sage und schreibe 8000 Österreichern in der gesamt-deutschen Hauptstadt war.
Wie die Herausgeber Gregor Gumpert und Ewald Tucai in ihrer Einleitung betonen, haben österreichische Autoren seit jeher Berlin geschätzt „als Ort intellektueller und lebensweltlicher Freiheit (begreiflicherweise wird die Hauptstadt der Unfreiheit in den Jahren 1933 bis 1945 gemieden), als Ort des künstlerischen Experiments, als politischer Ort, an dem die Folgen weltgeschichtlicher Ereignisse bis in den Alltag hinein spürbar sind“. Die Texte von 42 Autorinnen und Autoren machen das exemplarisch deutlich. Es handelt sich vor allem um Prosa, d.h. um Miniaturen, Essay- und Romanauszüge. Auch Gedichte (u.a. Albert Ehrenstein, Birgit Müller-Wieland, Elfriede Gerstl, Ernst Jandl) haben Eingang gefunden und in zwei Fällen auch Passagen aus Dramen (Ferdinand Bruckner, Peter Turrini).
„Ich lernte das alte Berlin kennen, als es Abschied von sich nahm“, erinnert sich Hermann Bahr 1923 in „Selbstbildnis“ an die gründerzeitlich prosperierende Reichshauptstadt der 1880-er Jahre. Stefan Zweig erklärt in „Die Welt von gestern“ (1944), dass er in Berlin „eine höhere und noch vollkommenere Art der Freiheit“ suchte. „Nachts eine Mondlandschaft der Krater und Häusergerippe, tags eine Ninive, ein Sodom und Gomorrha nach der Zerstörung, in dem Neuem ein atemloses, hektisches Leben pulsiert“, so die Journalistin Hilde Spiel über den 1. Juli 1948 in der Viersektorenstadt. Drei Jahre später notierte Alfred Polgar bei Gelegenheit eines Beesuchs in der geteilten Stadt: „Wenn den Berlinern ganz miserabel zumute ist, gehen sie ans Brandenburger Tor, gucken in ihre andere Hälfte (getrennt, aber nicht geschieden) hinüber und fühlen ihre Nöte um eine Nuance erträglicher.“ Wolfgang Hermann, der von 1987 bis 1990 in West-Berlin lebte, erlebte die „Frontstadt“ vor dem Mauerfall so: „Nirgendwo sonst habe ich so sehr die Leere, die Abwesenheit des Lebens gefühlt wie in der künstlich am Leben erhaltenen inselstadt Berlin.“
Friederike Mayröcker hingegen versichert, dass sie während eines Stipendium-Aufenthaltes in West-Berlin nicht habe arbeiten können und an den Wochenenden stets nach Wien zurückflog, um in vertrauter Umgebung zu schreiben: „In Berlin habe ich dann höchstens kkorrigiert.“ Diese Erkenntnis Mayröckers deckt sich mit einer Auskunft der 1936 in Berlin geborenen und 2010 in Weimar gestorbenen Dichterin Gisela Kraft, die ihren 1997 erfolgten Umzug in die Goethe-Stadt mit dem Hinweis zu erklären pflegte, dass Berlin eine Stadt der Kritik, Weimar aber eine Stadt der Poesie sei.
„Station Berlin“ bietet einen überaus facettenreichen Blick auf die Stadt, die seit 1990 wieder sein darf, was Wien, ganz ohne Zäsuren, seit Jahrhunderten ist: eine europäische Metropole.
(Kai Agthe, Rezension in Neues Deutschland, 17. Februar 2011)
https://www.nd-aktuell.de/artikel/191119.ankunft-in-der-inselstadt.html