Licht und Schatten
Autobiographie
Edle Astrup Hubay
ISBN: 978-3-85252-534-1
21 x 15 cm, 236 S., Ill.
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Kurzbeschreibung
[Medaljen har to sider, dt. Aus d. Norweg. übers. von Alexia Gerhardus]
Helle Jahre
Das Leben ist eine Herausforderung. Wenn man alt und schwerfällig geworden ist, muss man versuchen die letzte Phase seines Lebens möglichst auszunützen. Als Kind, als Jugendlicher, empfand man das Gute im Leben als eine Selbstverständlichkeit. Als älterer Mensch versteht man, - sollte man jedenfalls verstehen, - dass jeder gute Tag ein Geschenk ist. Diese Zeilen sind also die Einführung zu dem, was ich hier vorhabe:
Meine eigene Lebensgeschichte niederschreiben. Nichts ist so anmaßend wie der Anspruch »über das eigene Leben zu richten«. Mir geht es hier um eine Freudes- und Liebeshymne an das Glück, das zwei Menschen verbindet. Nun denke ich an jene Zeit zurück, in der ich, wenn ich meiner Erinnerung trauen kann, erstmals zu einem bewussten Ich, das heißt zu einem selbstständigen und reflektierenden kleinen Wesen erwacht bin.
Das war wohl 1908. Wir wohnten damals außerhalb von Christiania, unser Gutshof hieß Hamang: Ein weiß bemaltes Holzhaus oben auf einem Hügel, unterhalb standen die Nebengebäude, die rote Scheune und die Viehställe. Ich muss an jenem Tag etwa drei Jahre alt gewesen sein. Es war Winter, klirrende Kälte, und alles lag, weiß in weiß, im Schnee verhüllt. Ich war unten beim Stall gewesen und hatte beim Melken und bei der abendlichen Stallarbeit »mitgeholfen«. Ich sollte dann den Eimer mit der noch warmen Milch in die Küche bringen und stapfte den Hügel empor, jeder Schritt knisterte im Schnee und die Kälte biss in meine Wangen. Es war nicht weit, oben stand das Haus, dessen Lichter mir freundlich entgegenleuchteten. Im Haus waren Mutter, Vater und die Geschwister, Nils und Lisbeth.
Ich setzte den Eimer im Schnee ab, schaute zum Haus hinauf, dann weiter zum dunklen Nachmittagshimmel, der mir ebenso freundlich und herzerwärmend entgegenleuchtete. Ich wusste ja, dass die Sterne der Engel Augen sind. An dem Nachmittag war alles wunderschön und voller Liebe. Mit all meinen Sinnen sog ich das auf, griff entschlossen nach dem Eimer, stapfte weiter, hinein ins warme Nest, wo ich mich meinem Vater an den Hals warf. »Was gibt es denn meine Kleine?«, fragte er. Nichts gab es, es war nur so schön zu leben und es so gut zu haben.
Diese Dankbarkeit für alles Gute, Glückliche und für die Wärme eines Zuhauses hat mich mein Leben lang begleitet. Jedoch musste ich wohl auch schmerzvolle und schwierige Zeiten erleben, bevor ich das Gute im Leben wirklich schätzen konnte.
Die Zeit verstrich langsam. Nils und Lisbeth waren schon in der Schule, nur ich nicht. Unser Kutscher, Hans, war mein bester Freund. Als er die Wagen putzte, - damals gab es noch keine Autos - durfte ich, splitternackt in der Sommerwärme, mithelfen. Im Frühling und im Sommer gingen wir mit Mutter und Vater durch Wälder und Felder. Wir lernten viel über Blumen, Vögel und Bienen, brockten Beeren und Schwammerln. Als ich, die Kleinste, zu müde wurde, trug mich Vater auf seinem Rücken, wo ich sicher und ruhig einschlief.
Die Familie wuchs, drei kleine Brüder wurden geboren. Die Geburten fanden zu Hause statt, wir Kinder wurden in der Zwischenzeit zu den Nachbarn geschickt. Als wir dann nach Hause kamen, lag Mutter im Bett und der Storch war mit einem kleinen Bruder da gewesen. So ein Storch schien ein eigenartiger Vogel zu sein, ich hielt ständig Ausschau nach dem Märchenvogel. Der älteste der Storchenbrüder starb. Das muss meine erste Begegnung mit dem Schmerz gewesen sein. Ich, kleines Ding, verstand wohl nicht, was der Tod war, die Trauer meiner Eltern nahm ich aber wahr. Dann verliebte ich mich, er hieß Gunnar. Die große Liebe überwältigte mich, als mein neuer Held einen fetten Regenwurm in die Hand nahm und sagte: »Jetzt wirst du den verschwinden sehen.« Er streckte die Zunge raus, legte den Regenwurm darauf und, siehe da, der Wurm kroch und verschwand in seinem Rachen. Kein minderer Held konnte meiner Liebe je würdig sein. Später dann konnte ich mich eigentlich weder für Würmer noch für Helden wirklich begeistern - die Zeiten ändern sich.
Wir übersiedelten nach Christiania, und jetzt ging auch ich zur Schule. Ich besuchte dieselbe Mädchenschule wie Lisbeth. Nils ging in die Bubenschule, Ordnung musste damals noch sein…