Böhmen hin und zurück
Wolftraud de Concini
ISBN: 978-3-99028-281-6
21 x 24 cm, 80 Seiten, zahlr. Abb., Kt., Notenbeisp., Hardcover
18,00 €
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Kurzbeschreibung
[ARUNDA 84 | Verlag Bibliothek der Provinz.
Mit Beiträgen von Milan Novák.]
Der Zweite Weltkrieg geht am 8. Mai 1945 zu Ende. In den darauf folgenden Monaten werden die Angehörigen der deutschsprachigen Minderheit aus ihrer böhmischen Heimat, nun teil der neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik, vertrieben. Dies der historische Hintergrund, vor dem sich ein entscheidendes Kapitel im Leben der Autorin abspielt. Denn Wolftraud de Concini ist eine von den drei Millionen „sudetendeutschen“ Heimatvertriebenen.
Jahrzehnte nach der Vertreibung kehrt sie in ihr Geburtsland Böhmen zurück: Anstoß zu einer Suche nach ihren Wurzeln, zur Suche nach Antworten auf die Frage, ob dieses Böhmen/Tschechien heute (wieder/noch) ihre Heimat ist, ob sie die Tschechen als Landsleute empfindet, ob sie von ihnen als Landsmännin empfunden wird. Sie beginnt sich zu erinnern, sucht alte Familienfotos und Papiere zusammen, fängt an aufzuschreiben. In knappen, „leisen“, scheinbar leichten Texten geht sie heikle, schwerwiegende Themen an: Vertreibung, Heimatverlust und Entwurzelung, das Flüchtlingsleben und das lebenslange Anderssein, und ein tschechischer Autor, Milan Novák, der sich hier und da einschaltet, bringt neue Gesichtspunkte in ihre Aufzeichnungen. In kleinen, sehr privaten Geschichten klingt die „große“ Geschichte an, zu einem besseren Verständnis zwischen den Völkern.
Siehe auch Eintrag zur Ausgabe bei „Arunda. Rück Ein Aus Blicke (1976–2016)“, Dokumentation im Auftrag des Forschungsinstituts Brenner-Archiv der Universität Innsbruck, herausgegeben von Irene Zanol in Zusammenarbeit mit Christine Riccabona und Erika Wimmer: (☞).
Rezensionen
Markéta Kachlíková: [Rezension zu: Wolftraud de Concini, „Böhmen hin und zurück“]Wolftraud de Concini ist in Böhmen geboren, in Deutschland aufgewachsen und lebt seit 1964 lebt in Italien. Um festzustellen, welche Beziehung sie zu ihrer früheren Heimat hat, besuchte sie Tschechien. Dabei wanderte sie die Strecke ab, die sie und ihre Familie bei der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg gegangen waren. Die Autorin von Texten zu mehr als 30 Reisepublikationen veröffentlichte dann im vergangenen Jahr ihr erstes literarisches Buch: „Böhmen hin und zurück“ heißen ihre Memoiren, in denen sie die Vertreibung und ihre Rückkehr nach Böhmen beschreibt. Radio Prag hat mit Wolftraud de Concini gesprochen.
„Als ich noch nicht einmal zwei Jahre alt war, wurde einer meiner Onkel, ein deutscher Geistlicher, von den Nationalsozialisten wegen ‚Abhörens feindlicher Sender‘ zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Als ich zwei war, wurde mein älterer Bruder an der Ostfront eingesetzt und kam in Stalingrad ums Leben. Als ich drei war, wurde mein zweiter Bruder zum Arbeitsdienst berufen und dann zum Militär eingezogen. Als ich fünf war, wurden wir aus unserer böhmischen Heimat vertrieben.“
Frau de Concini, Sie haben im vergangenen Jahr ihr Erinnerungsbuch mit dem Namen „Böhmen hin und zurück“ herausgegeben. Es sind aber keine üblichen Memoiren, in denen man auf das ganze Leben zurückblickt. Sondern Sie erinnern sich an einen ganz spezifischen Meilenstein, den Sie als kleines Kind erlebt haben. Worum geht es in diesem Buch „Böhmen hin und zurück“?
„Der Meilenstein fängt am 8. Juni 1945 an. Ich muss vielleicht ein bisschen zurückgehen: Ich bin im Jahr 1940 in Trautenau/Trutnov geboren. Mein Vater war Lehrer im Dorf Radovenz/Radvanice, und wir haben dort auch gelebt. Im Juni 1945 sind wir innerhalb von einer Stunde vertrieben worden. Ich war damals fünf Jahre alt. Ich habe vage Erinnerungen und habe einige Sachen wahrscheinlich aus den Erzählungen meiner Eltern zusammengestellt. Es ist also schwer zu sagen, was wirklich meine persönlichen Erinnerungen sind und was nicht. Sehr spät, vor zwei drei Jahren erst, habe ich angefangen, auf diese Zeit wieder etwas zurückzublicken. Ich bin zweimal nach Tschechien gekommen, einmal im Jahr 2011 und dann im Jahr 2013. Ich habe versucht, meine Wurzeln zu orten und auch mein Verhältnis, meine Beziehung zum heutigen Tschechien und zu den heutigen Tschechen auszuloten. Denn es war für mich interessant zu sehen, zu erfahren und zu erleben, wie die Tschechen mich heute sehen und wie ich die Tschechen erlebe.“
Und was haben Sie festgestellt?
„Ich habe zu meiner großen Freude festgestellt, dass ich – wenn ich auf das Thema zu sprechen kam – als Landsmännin akzeptiert wurde. Und das hat mich sehr gefreut.“
Sie haben im Sommer 2013 beschlossen, die Strecke abzuwandern, die Sie damals mit Ihrer Familie gegangen sind – also aus Ihrem Dorf an der Grenze zu Polen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
„Zwei Jahre zuvor bin ich bereits einmal in unser Heimatdorf gefahren. Ich habe dort einen zweisprachigen Ausweisungsbefehl gefunden, auf Tschechisch und auf Deutsch. Und ich habe gedacht, ich möchte mal diese Strecke abwandern. Ich wollte einfach die Straße berühren und genau sehen, wo wir da gegangen waren. Natürlich hat sich viel geändert: Die Dörfer sind sehr viel kleiner geworden. Außerdem hatte ich kaum mehr Erinnerung daran. Ich weiß nicht genau: Aber es war, als ob ich wieder Besitz ergreifen wollte von dieser Gegend, die wir damals verlassen hatten.“
War für Sie diese Rückkehr schwer? Welche Gefühle hatten Sie dabei?
„Nein, schwer war es überhaupt nicht. Es waren große Emotionen, aber es waren sehr schöne Emotionen. Denn ich muss dazu sagen, dass ich persönlich die Vertreibung nicht als tragisch erlebt habe. Meine Eltern wahrscheinlich schon, aber ich nicht. Und sie waren sehr geschickt, mir die Tragik der Vertreibung zu verbergen. Ich habe also während der Vertreibung auch nichts von Tod und von Trauer gespürt. Wir persönlich haben auch nichts Tragisches erlebt, weder meine Familie noch die anderen Familien aus unserem Heimatdorf. Darum war es eine etwas melancholische, aber keine tragische Wanderung. Ich habe unterwegs überlegt, was wir damals wohl gesehen haben, ob wir überhaupt etwas gesehen haben, was vielleicht die Gedanken meiner Eltern waren und so weiter.“
Wohin führte Sie Ihr Weg damals dann weiter? Sie sind zunächst nach Polen gegangen, wie war es weiter?
„Ja wir sind nach Polen gegangen, und da habe ich wieder ein Loch in meinen Erinnerungen. Wir sind irgendwie auf einen Bauernhof in Polen gekommen, zu einem damals deutschsprachigen Bauern in Alt Schönau/Stara Kraśnica. Dort sind wir neun Monate geblieben, mein Vater hat dort auf dem Bauernhof geholfen. Und irgendwann sind wir von dort weggefahren. Das muss eine plötzliche Entscheidung gewesen sein, also die Entscheidung meiner Eltern. Wie wir dann in den Westen, in ein Flüchtlingslager an der Grenze zwischen der englischen und der russischen Besatzungszone gekommen sind, das weiß ich nicht.“
Danach haben Sie in Norddeutschland gelebt…
„Wir haben dann in Niedersachsen in einem Bauerndorf gelebt.“
Sie stellen sich in dem Buch die Frage, was Ihre Heimat ist. Wie lässt sich diese Frage beantworten: Sie wurden in Böhmen geboren, nach dem Krieg sind Sie in Norddeutschland aufgewachsen, und seit den 1960er Jahren leben Sie in Italien. Wo fühlen Sie sich zu Hause?
„Ganz spontan muss ich sagen, für mich ist Böhmen meine Heimat. Durch den langen Aufenthalt in Italien, wo ich seit dem Jahr 1964 lebe, ist auch das für mich eine Heimat geworden. Denn zur Heimat gehören familiäre Affekte, das ganze Milieu, das soziale Umfeld – alles, was man um sich hat. Demnach würde ich sagen, Italien ist meine zweite Heimat. Aber jetzt nach dieser Wanderung und nach meiner Rückkehr nach Böhmen – wenn auch nur für wenige Tage – würde ich absolut spontan antworten, wenn ich jetzt gefragt würde: Böhmen ist meine Heimat.“
Sie haben Böhmen als fünfjähriges Mädchen verlassen. Woran aus der Zeit davor können Sie sich noch erinnern?
„Ich kann mich etwas daran erinnern, wie unsere Wohnung in der Schule aussah, dass da ein riesiger Kachelofen in der Küche stand. Ich kann mich erinnern, dass zu uns Leute zu Besuch kamen. Dann kann ich mich erinnern, dass auf einmal auf der Straße Panzersperren aufgebaut wurden. Ich habe mir nicht erklären können, was das war, und wir konnten nicht mehr ganz frei auf der Straße spielen. Dann habe ich zwei, drei Blitzlichter von der Vertreibung selber. Einmal waren wir schon aus der Schule in ein anderes Haus gekommen, und da mussten wir eben in einer Stunde weg. Ich kann mich erinnern, dass ein junger tschechischer Soldat gekommen ist, ich saß auf einem Stuhl, und er hat mir die Kniestrümpfe angezogen und die Schuhe zugebunden und hat dabei geweint. Das ist eine meiner Erinnerungen. Das werde ich niemals vergessen. Ich wüsste gerne, ob dieser Soldat noch lebt, das könnte theoretisch noch sein. Und dann kann ich mich erinnern, und ich sehe das wie aus einer anderen Perspektive, wie wir vom Dorf die Straße etwas hinauf gehen. Denn von Randvanitz aus geht eine Straße mit einer Kurve etwas in die Höhe, und da sehe ich uns gehen. Was mir auch immer in den Erinnerungen geblieben ist, ist unsere erste Übernachtung: eine Übernachtung unter freiem Himmel. Es war Sommer, es waren sehr schöne Tage, es war Neumond an dem Tag. Ich weiß nicht, wie viele Leute wir waren, wahrscheinlich waren wir sehr viele, denn als Kind hat man andere Vorstellungen und andere Erinnerungen als ein Erwachsener. Es war eine dunkle und sternklare Nacht. Für mich war es eine wunderschöne Nacht.“
Sie beschreiben das sehr schön in Ihrem Buch. Haben Sie in der Zwischenzeit begonnen, sich noch mehr für Tschechien interessiert. Haben Sie zum Beispiel Übersetzungen tschechischer Bücher gelesen, nach Berichten aus Tschechien gesucht und so weiter?
„Ja, natürlich. Als ich vor drei Jahren wusste, dass ich mit einem Fotoauftrag nach Tschechien fahren soll, habe ich mich natürlich etwas mehr damit beschäftigt. Ich habe auch versucht, aber ohne großen Erfolg, ein bisschen Tschechisch zu lernen. Aber ich bin wirklich über dobrý den, dobrý večer und so nicht hinausgekommen. Aber sonst war Tschechien für mich schon immer irgendwie ein Mythos, obwohl ich nicht hingefahren bin. Tschechische Literatur habe ich eigentlich weniger gelesen, das erst in jüngerer Zeit. Aber tschechische Musik hat mich schon immer fasziniert. Und wenn ich irgendwo Gelegenheit hatte, einen Tschechen zufällig zu treffen, dann habe ich immer gleich versucht, ein Gespräch anzuknüpfen. Vielleicht habe ich es mythisiert, und ich hatte vielleicht Angst, wieder nach Tschechien zurückzukehren, weil ich Angst hatte, dass dieser Mythos zerstört würde. Darum habe ich vielleicht so lange gebraucht, bis ich hingefahren bin. Aber der Mythos ist nicht zerstört worden.“
(Markéta Kachlíková im Gespräch mit Wolftraud de Concini für Radio Praha – Český rozhlas ČRo 7, das Auslandsprogramm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Tschechischen Republik, veröffentlicht am 11. Februar 2014)
https://deutsch.radio.cz/wolftraud-de-concini-boehmen-hin-und-zurueck-8539699
Georg Mair: Die Heimatsucherin
Das Leben von Wolftraud Schreiber de Concini steht exemplarisch für das 20. Jahrhundert. Für die neue Ausgabe der Südtiroler Kulturzeitschrift Arunda hat die Autorin ihre Geschichte von Vertreibung und Suche nach den Wurzeln nachgezeichnet.
„Ich bin eine Einzelgängerin. Anders zu sein, gibt einem eine große Freiheit.“ (Wolftraud Schreiber de Concini, Autorin)
Wolftraud Schreiber lebt in dem Tal, in dem ihr Großvater im Ersten Weltkrieg für Kaiser Franz Joseph kämpfte, in Pergine im Valsugana. Ihr Großvater war ein Bürger des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, das 1918 in sich zusammenfiel. Das Böhmen, aus dem ihr Großvater stammte, war Teil des k.u.k.-Imperiums. Wolftraud Schreiber ist 1940 in Böhmen geboren, in einem Dorf namens Radowenz/Radvanice – es liegt heute in der Tschechischen Republik. Deutsch ist ihre Muttersprache.
„Beim grünen Haus links“, hatte sie gesagt, „und dann halten Sie dort, wo der alte rote Volvo steht.“ Wolftraud Schreiber de Concini lebt in einem unauffälligen Reihenhaus am Rande von Pergine (die Südtiroler wissen ja wenig vom Trentino, aber Pergine ist ein Begriff, dort lag die „Irrenanstalt“, in der bis in die Gegenwart herauf die Südtiroler Psychiatriepatienten weggeschlossen wurden). In der Tür steht eine Frau voller Energie.
Das Leben von Wolftraud Schreiber, 73, Autorin, Übersetzerin, Fotografin, ist exemplarisch für das 20. Jahrhundert. Mit 73 Jahren hat sie es in einem höchst bemerkenswerten Buch (erschienen als Nr. 84 der Arunda) aufgeschrieben. Es ist ein Buch über das Anderssein geworden, die erste Auflage ist nahezu vergriffen, der niederösterreichische Verlag „Bibliothek der Provinz“ plant einen Nachdruck. Es ist kein aufregendes Buch, kein larmoyantes Opferbuch, es ist eine tastende Suche nach Heimat, nach den Wurzeln. Nicht selbstgerecht, sondern vorsichtig sucht die Autorin nach den Bildern der Kindheit. Wolftraud Schreiber war fünf Jahre alt, als die Familie aus dem Sudetenland vertrieben wurde. Jetzt lebt sie seit 40 Jahren im Trentino.
„Anders sein“, sagt Wolftraud Schreiber, „gibt Freiheit, wenn man anders ist, braucht man sich nie ganz einzuordnen.“ Sie sagt es so selbstverständlich, als würde das Anderssein auch nicht viel Kraft kosten. „Ich bin eine Einzelgängerin“, sagt sie, „in großen Gesellschaften verstumme ich.“ Sie braucht nicht viel zum Leben, erzählt sie, ein Auto, um wegzufahren, ein paar Schuhe zum Gehen und einen Menschen, der Heimat schafft.
Sie ist eine kantige Frau, hager, klein, gespannt wie eine Feder. „Ich bin überzeugt“, sagt sie, „dass ich nicht alt bin.“ Man spürt bald, dass sie weiß, was sie will, dass wer sie überzeugen will, gute Argumente braucht. Bei Gelegenheit, denkt man sich, kann sie auch ganz schön zornig werden. Wir haben uns noch nicht hingesetzt, da hat sie uns schon eines ihrer Bücher hingelegt, einen Katalog mit ihren Fotografien und den Objekten und der Hinterglasmalerei ihres Lebensgefährten Olimpio Cari. Darin erklärt sie, warum sie nicht fotografiert werden will. „Ich weiß“, sagt sie, „dass Menschen dann anders werden.“ Ausgefragt werden will sie auch nicht, nur nach und nach lässt sie einen Blick hinter die Fassade zu. Sie will sich nicht entblößen, dabei hat sie selber einen scharfen Blick – das zeigt etwa ihr Buch über Minderheiten in Italien, das 2003 erschien. „Sie bohren ganz schön herum“, sagt sie.
Eine Seite braucht es gerade einmal, um lakonisch, aber eindrücklich ihr Leben zu beschreiben. „Als ich zwei war“, heißt es gleich am Anfang von „Böhmen hin und zurück“, „wurde mein älterer Bruder an der Ostfront eingesetzt und kam in Stalingrad ums Leben. … Als ich fünf war, wurden wir aus unserer böhmischen Heimat vertrieben. Als ich sechs war, kamen wir als Flüchtlinge in ein norddeutsches Bauerndorf.“
Ihre Eltern wurden in der Habsburgermonarchie geboren, ihre Brüder als Tschechen, sie selber kam im „Reichsgau Sudetenland“ als Deutsche zur Welt – nachdem die Nazis diesen Teil der Tschechoslowakei besetzt hatten, in dem die deutsche Minderheit lebte. In den Sechzigerjahren studierte Wolftraud Schreiber in München Zeitgeschichte und Romanistik, lebte als Au-pair-Mädchen in Rom, arbeitete für die Nürnberger Zeitung. Im Zug nach Italien lernte sie Luigi de Concini kennen, zog nach Trient, schrieb und übersetzte. Es entstanden an die 30 Kultur- und Reiseführer – über Apulien, Sizilien, die Normandie, die Brenta und auch über Südtirol. „In Bozen“, sagt sie, „habe ich mich immer mehr daheim gefühlt als in Trient.“ Ein Projekt würde sie gerne noch verwirklichen: Sie würde gerne zu Fuß die Etsch abgehen, von der Quelle bis an die Mündung.
„Ich habe dieses Buch schreiben wollen, ja vielleicht schreiben müssen“, sagt sie über ihre Reise nach Böhmen, auf den Spuren der Orte und der Landschaften, die ihr weiteres Leben geprägt haben. Mit den Händen knetet sie die Pfoten ihres Hundes. Es fällt ihr nicht leicht, einfach so zu reden, nicht ganz die Kontrolle über ihre Worte zu haben: „Worte sind für mich sehr kostbar.“
„Böhmen hin und zurück“ ist ein Buch, das aus einer inneren Notwendigkeit heraus entstanden ist. Ein Buch, das alte Wege abgeht, die eigenen Gefühle auf den Prüfstand stellt, die Landschaft wirken lässt, Gerüchen und Farben nachspürt, das sich vorsichtig den Menschen nähert, die jetzt in Radowenz/Radvanice und all den anderen Dörfern leben. Es will nicht Wunden aufreißen, sondern reden, es beschwört keine billige Versöhnung. Die Autorin weiß, dass die Erinnerung nur eine Rekonstruktion ist, denn was bleibt schon von dem im Gedächtnis, was man im Alter von fünf Jahren gesehen, gehört und erlebt hat?
Was geblieben ist: Das Gefühl, in der Minderheit zu sein. Wolftraud Schreiber sagt in akzentfreiem Deutsch, sie könnte es genauso gut in akzentfreiem Italienisch sagen: „Ich glaube, Böhmen ist jetzt wieder meine Heimat geworden.“
(Georg Mair, Rezension in: ff. Das Südtiroler Wochenmagazin, No. 10/14, 6. März 2014, S. 48 f.)