
Barbara Tilg – „He, Obstdiebin!“
Zeichnungen zu Peter Handkes Erzählung „Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere“
Barbara Tilg, Peter Handke
ISBN: 978-3-99126-306-7
21,5×15 cm, 112 Seiten, zahlr. vierfärbig gedr. Abb., fadengeheftetes Hardcover m. Schutzumschlag
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Kurzbeschreibung
Für die Obstdiebin als Figur empfinde ich tiefe Sympathie. Sie ist „das freudige Menschenkind“, selbstbewusst, frech und unangepasst in ihrem Wesen. „Ab und zu bückte sie sich nach einer auf Teer und Schotter verwehten ungeernteten Weizenähre und steckte sie sich hinters Ohr wie eine Zigarette.“ Was für ein Ausdruck menschlicher Individualität! Eine junge Frau, halb noch ein Kind, eigentümlich stolz, die „in der Zeit“ lebt, auf Konventionen pfeift, die mutig unterwegs ist, sich durch sterile Vorstädte und finstere Auwälder schlägt, für die es kein Ankommen gibt und geben kann.
(Barbara Tilg in der Vorbemerkung zu „He, Obstdiebin!“)
Rezensionen
Joachim Leitner: Gestrichelte und gefärbelte Fenster in die Erzählung„Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere“ erschien Ende 2017. Der Text ist – nicht nur wegen seines Umfangs von mehr als 550 Seiten – Peter Handkes bislang letzte „große Erzählung“. Die Landecker Künstlerin Barbara Tilg hat es sich kurz nach Erscheinen besorgt. Parallel zur Lektüre hat sie, zunächst ganz absichtslos, begonnen, Handkes Sprachbilder in eigene „Momentbilder“ zu übersetzen. „Literatur hat mich oft zum Zeichnen inspiriert“, sagt sie. Zu und mit Texten Ingeborg Bachmanns und Franz Kafkas hat sie bereits gearbeitet. Die Idee, ihre Zeichnungen zu ein Bilderbuch zu machen, dem dass Handkes „Obstdiebin“ folgt, reifte mit der Zeit. Zuspruch für das Unterfangen bekam die „zeichnende Leserin“ vom Salzburger Handke-Forscher Hans Höller. Und letztlich auch von Peter Handke selbst, der von Tilgs Zeichnungen „angetan“ sei, wie die Künstlerin sagt.
„Ich habe großen Respekt vor seinem erzählerischen Werk“, sagt sie. Ihre Bilder seien „gestrichelte und gefärbelte“ Fenster hinein in die Erzählung, „Versuche zu verstehen – möglicherweise liege ich in einigen Bilden auch daneben.“ „Ganz texttreu“ seien die Bilder jedenfalls nicht: „Mitunter drehe ich ganz minimal am dichterischen Bild, weil es meine Fantasie beschwingt.“ 80 Bilder hat Barbara Tilg für „He, Obstdiebin“ angefertigt, 45 fanden schließlich den Weg ins Buch. Dort suchen sie das Gespräch mit zentralen Zitaten aus Peter Handkes Erzählung. Entstanden sind die Bilder in der so genannten „Kratztechnik“. Das heißt: Tilg hat mit einem Messer geschwärzte Farbflächen wieder freigelegt. Vordergründig mögen die Bilder naiv wirken. Aber sie fordern zu näherer Betrachtung auf. Spätestens auf den zweiten Blick werden jene immer bedrohte An- und der zauberhafte Übermut sicht-, ja spürbar, die auch Peter Handkes Text auszeichnen.
([jole], Rezension in der Tiroler Tageszeitung №12/25 vom 13. Jänner 2025, S. [?])
https://www.tt.com/artikel/30899755/gestrichelt-und-gefaerbelt-tiroler-kuenstlerin-setzt-peter-handke-ins-bild
Hans Höller: Peter Handkes Obstdiebin weitergezeichnet
Jenseits der Ideologien: Barbara Tilg nähert sich Peter Handkes „Die Obstdiebin“ in Zeichnungen an, die einen Geschmack von der Schönheit der Erzählung geben.
In einer Zeit, in der einem von allen Seiten das Kriegsgeschrei und die Bilder vom Krieg entgegenkommen, schlägt man in diesem Buch eine Gegenwelt auf, die uns an die Kindheit erinnert: einander die Räuberleiter machen, nach einem Apfel über den Zaun langen und ihn „mitgehen“ lassen – dieses andere „mitgehen lassen“ steckt in allen Zeichnungen, man wird von ihnen mitgenommen in eine Welt, wo Frieden ist, wo die Straßen zu Landschaften gehören, wo eine Kebabstube wie eine Herberge erscheint oder die Suche nach einer verlorengegangenen Katze zu einer Rettungsgeschichte wird.
Handkes Erzählung von der Obstdiebin gibt sich zuletzt selbst als Geschichte vom Zusammenfinden einer weit in die Welt verstreuten Familie zu erkennen. Auf abenteuerliche Weise wird das Zusammenfinden im Verborgenen von der seit langem verschwundenen Mutter gesteuert, und es endet, wie oft bei Handke, mit einem gemeinsamen Gastmahl.
Rettende Anmut
Die Zeichnung vom Traumbild der wiedervereinten, im Freien an der Festtafel sitzenden Familie und anderer hinzugekommener Gäste möchte man immer wieder anschauen. Sie sitzen alle unter einem Frühapfelbaum, die weißen Äpfel leuchten wie Festlampen im blätterlosen Geäst des weit ausladenden Baumes, aber der Boden ist ein Schneefeld. Wie jede Zeichnung bezieht sich auch diese auf eine Stelle in Handkes Obstdiebinnen-Erzählung, und diese kurzen ausgewählten Textstellen geben eine Idee von der Schönheit dieses Buches: „Die Familie, viel mehr als bloß sie zu viert, saß da unter diesem an einem gedeckten Tisch in der Sonne bei wolkenlosem weltraumblauem Himmel und hatte die Füße in einem sonst bis zum Traumhorizont unberührten kristallglitzernden Schneefeld, und das war der ganze Traum, der aber länger als bloß nachtlang andauerte.“
Barbara Tilg hat für ihre Zeichnungen eine besondere Technik gewählt. Es sind Kratzbilder, in denen ein Zittern zu spüren ist, ein Wissen um die Bedrohung der Welt. Ihr Vorwort zu den Zeichnungen – „Sie strichelte und färbelte“ – enthält die Lebensgeschichte ihrer eigenen Künstlerschaft, die in die Kindheit, in unser aller Kindheit zurückführt. Ich habe selten eine so schöne, wissende Einführung in die Grundlagen der Kunst gelesen. Die Zeichnungen, in denen die rettende Anmut der Obstdiebin zu spüren ist, erwecken auch die Neugierde auf Peter Handkes Erzählung.
Mutig unterwegs
Aus dem Vorwort von Barbara Tilgs He, Obstdiebin!:
„Für die Obstdiebin als Figur empfinde ich tiefe Sympathie. Sie ist ‚das freudige Menschenkind‘, selbstbewusst, frech und unangepasst in ihrem Wesen. ‚Ab und zu bückte sie sich nach einer auf Teer und Schotter verwehten ungeernteten Weizenähre und steckte sie sich hinters Ohr wie eine Zigarette.‘ Was für ein Ausdruck menschlicher Individualität. Eine junge Frau, halb noch ein Kind, eigentümlich stolz, die ‚in der Zeit‘ lebt, auf Konventionen pfeift, die mutig unterwegs ist, sich durch sterile Vorstädte und finstere Auwälder schlägt, für die es kein Ankommen gibt und geben kann. Das Zusammentreffen der Familie, auf das die Erzählung hinsteuert, scheint sie eher zu langweilen. Ich zeichne die Obstdiebin nicht immer gleich, einmal ist sie blond, einmal hat sie rote Haare, einmal trägt sie kurze Hosen, dann wieder ein Kleid. Die Abweichungen erscheinen mir wichtig, weil sie so zu einer Figur wird, in der viele junge, mutige Menschen abgebildet sind. Im Roman heißt es: ‚Sie war nicht allein. Ihresgleichen gab es, und sie waren, gerade heute, die Vielen, und diese Vielen würden eines Tages, in nicht ferner Zukunft, bald, während sie noch jung wären, jenseits der aktuellen Zwänge, auch jenseits all der ausgedienten ‚Gesellschaftsverträge‘, sprich Ideologien, die ganz andere Gesellschaft bilden.‘“
(Hans Höller, Rezension im Standard-Album vom 18. Jänner 2025, S. A4)
https://www.derstandard.at/story/3000000253359/peter-handkes-obstdiebin-weitergezeichnet
Attila Haidegger: „Ich zeichne, wenn ich lese“
Barbara Tilg aus Landeck veröffentlichte Bildband zu Peter Handkes „Obstdiebin“
Dass ein Bildband zu einem Buch erscheint, kommt schon mal vor. Dass als Grundlage dazu ein Buch von Literaturnobelpreisträger Peter Handke dient und die Künstlerin hinter den Bildern aus Landeck stammt, kann getrost als Seltenheit bezeichnet werden. Barbara Tilg nahm sich der „Obstdiebin“ mit 80 Zeichnungen an.
Ins Buch geschafft haben es schlussendlich 45 Zeichnungen, neben den Bildern sind ein Vorwort der Germanistin und Lehrerin sowie Texte zu den Bildern enthalten. „Ich bin künstlerisch auf beiden Achsen unterwegs“, so Barbara Tilg, die bisher zwei Bücher veröffentlichte, die der Lyrik und Prosa zugeordnet werden können. Zustande kam die ungewöhnliche Kooperation durch ihren ehemaligen Salzburger Hochschullehrer Hans Höller, ein Freund Peter Handkes. Ihm ließ sie die ersten vier Zeichnungen zukommen. Höller machte Handke auf die Zeichnungen aufmerksam, dem wiederum gefielen sie laut Barbara Tilg auf Anhieb. Zusammen wurde ein Verlag gesucht, das Buch erschien schließlich am 9. Dezember 2024.
Fenster in der Erzählung. „Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt ins Landesinnere“ erschien Ende 2017 und dreht sich um die titelgebende Obstdiebin, eine junge Frau namens Alexia, die eine Reise unternimmt. Dabei steht weniger die äußere Handlung im Vordergrund als die detaillierte Beschreibung der Landschaften, der Begegnungen mit Menschen und der Gedankenwelt der Figuren. Das Buch wird oft als ein entschleunigender Versuch gesehen, den Wert und die Schönheit der einfachen, alltäglichen Erfahrungen darzustellen. Für die Landeckerin ist das Buch jedenfalls voll mit „Bildern“, die zum Zeichnen anregen. Die im Bildband enthaltenen Zeichnungen folgen zwar der Chronologie der Handlung, interpretieren sie aber auf ihre eigene Weise. Sie dienen laut Tilg als „Fenster in der Erzählung“. Hans Höller bezeichnete die Zeichnungen als „bunte Fenster“, die den Roman nicht nacherzählen wollen, sondern die Handlung unterbrechen und u.a. „das freudige Schauen lehren“. Peter Handke bezeichnete Barbara Tilg laut eigener Aussage als seine „Mitträumerin“.
Kratztechnik. Für die Bilder verwendete Barbara Tilg eine besondere Zeichentechnik. Ihr wichtigstes Instrument ist ein „Schweizer Messer“, das sie am Dachboden ihres elterlichen Hauses gefunden hat. Zuerst wird das Zeichenblatt mit farbiger Ölkreide grundiert, um nachher eingeschwärzt zu werden. Durch das „Kratzen“ und „Ritzen“ mit dem Taschenmesser werden die Farben, ergo das Bild, nach und nach freigelegt. Als Grundlage dienen Skizzen, die während des Lesens entstehen. Unter den gesammelten Zeichnungen sind auch einige Bilder in Tinte dabei. Die Kratztechnik lässt laut der Künstlerin wenig vorhersehbare, interessante Effekte entstehen: „Diese Offenheit bedeutet Freiheit. Das Bild, wenn es gelungen ist, möchte dastehen als eine Erscheinung der Freiheit – einem zentralen Motiv in der Obstdiebin. Ich wollte, dass die künstlerische Form diesem Motiv gerecht wird“, erklärt Barbara Tilg. In den Medien wurde das Buch bereits ausführlich besprochen, laut Tilg überhäuften sich die Anfragen zu den Bildern. Nachzeichnen werde sie diese nicht, Reproduktionen bzw. Drucke soll es aber geben. Und eine Ausstellung: Im Sommer werden alle 45 Bilder im Alpinarium in Galtür zu sehen sein – die Vernissage mit Lesung findet am 22. August um 19 Uhr statt. […]
(Attila Haidegger, Rezension in der Rundschau. Die führende Wochenzeitung im Oberland und im Außerfern, Ausgabe Landeck, Nr. 6\25 | 5./6. Februar 2025, S. 21; Rezension auch online veröffentlicht am 4. Feber 2025)
https://www.rundschau.at/landeck/kultur/ich-zeichne-wenn-ich-lese