Die Erstbesteigung des Mount Chutney
16 subversive Geschichten
Johano Strasser
ISBN: 978-3-99126-022-6
19×12 cm, 174 Seiten, Hardcover
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Kurzbeschreibung
16 subversive Bemühungen, in die Geschichte der Großen und Mächtigen im nachhinein einzuschmuggeln, was ihr so offensichtlich fehlt: ein wenig Nachsicht mit den unvollkommenen Menschen. Natürlich möchte ich mich nicht mit den professionellen Historikern anlegen. Dafür habe ich viel zu viel Hochachtung vor ihnen.
Ihnen verdanken wir, dass wir heute so erstaunlich viel über unsere Ahnen wissen – jedenfalls bedeutend mehr als diese über uns. Und doch, denke ich, muss es uns nicht beschämen, wenn uns immer mal wieder in einer stillen Stunde der Verdacht beschleicht: Es könnte auch ganz anders gewesen sein.
Rezensionen
Antje Weber: Als sich Napoleon aufs falsche Pferd setzteJohano Strasser deutet in „Die Erstbesteigung des Mount Chutney“ die Geschichte spielerisch um. […]
„Seit je gehört der Humor zu den wichtigsten Überlebenstechniken der Menschen.“ Diesen Satz, von Johano Strasser im einleitenden Essay seinen neuen Buches „Die Erstbesteigung des Mount Chutney“ (Verlag Bibliothek der Provinz) formuliert, lässt man sich angesichts der derzeitigen Weltenlage besonders gerne ins Gedächtnis rufen. Das Lachen, so fährt Strasser fort, habe nicht nur eine entlastende Funktion, es ist auch „ein Medium der Kritik und Ausdruck des Widerstands. Es ist die lachende Vernunft, die die Hohlheit der Macht und der angemaßten Würde entlarvt und damit eine Ahnung des immer möglichen Besseren in die Köpfe pflanzt.“
In diesem Sinne will Strasser auch die 16 „subversiven Geschichten“ verstanden wissen, mit denen er die Geschichte, so wie sie in Lehrbüchern vermittelt wird, spielerisch umdeuten will. Der in Berg am Starnberger See lebende Autor und vormalige PEN-Präsident konnte schon als Jugendlicher in den Fünfzigerjahren mit dem Schulunterricht nicht viel anfangen: Immer ging es da um „große Männer und ihre Taten, um Herrschaftshäuser und ihre Allianzen, um Kriege und kriegsentscheidende Schlachten“. Was aber war mit der Perspektive der sogenannten „kleinen Leute“?
Die hat, wie Strasser nicht entgangen ist, inzwischen zwar längst in Form einer erweiterten Sozial-, Kultur- und Mentalitätengeschichte in die Wissenschaft und die Schulbücher Eingang gefunden. Doch den promovierten Philosophen und habilitierten Politikwissenschaftler reizt die Frage: Hätten uns heute unbekannte Menschen nicht in ungeahnter Weise in das Rad der Geschichte eingreifen können? Die wirkt ja nur nachträglich, fein geordnet und erklärt, zwingend logisch. Hätte nicht alles auch ganz anders kommen können?
Wenn Napoleons Reitpferd durchgeht
Selbstverständlich, weshalb sich Strasser ein paar Volten der Geschichte ausgedacht hat. Zur Schlacht von Austerlitz 1805 zum Beispiel: Er erfindet zwei befreundete Stallburschen von Napoleon und Kaiser Franz, denen deren Feindschaft und Krieg herzlich egal ist – sie interessieren sich so sehr und ausschließlich für Pferde, dass sie deren Lieblingspferde mal kurz vertauschen. Das neue Reitpferd von Napoleon aber geht am nächsten Tag mit ihm durch, als es in der Ferne vertrauten Stallgeruch wittert – nur so ist laut Strasser der überraschende, siegreiche berühmte Angriff der Franzosen zu erklären. In der titelgebenden Geschichte wiederum geht es, wie in einigen der Texte, um einen weniger prominenten Fall: Hier erfindet ein Mann, um die Eltern seiner Angebeteten zu beeindrucken und endlich den Segen für die Hochzeit zu erwirken, bei einem Abendessen 1953 die Bezwingung eines angeblichen „Mount Chutney“ im Himalaya – inspiriert durch einen kurzen, hilfesuchenden Blick auf die Speisekarte vor sich.
Die 16 Geschichten sind unterschiedlich originell, auch Frauen finden sich nicht eben viele darin, doch das Gedanken-Experiment hat seinen Reiz. Am meisten Vergnügen jedoch bereitet die Lektüre des 50-seitigen, fröhlich durch die Wissenschaft mäandernden Eingangs-Essays, in dem Strasser auch verschiedene Denkstile gegeneinander abwägt. Ihn selbst kann man wohl als „milden Skeptiker“ einordnen, der die „unleugbare Tatsache des Leids und des Elends nicht zum Anlass nimmt, alles Schöne, alles Beglückende im Leben abzuwerten“. Und dessen Randnotizen zur Geschichte mit einem Augenzwinkern vor allem eines fördern wollen: „ein wenig Nachsicht mit den unvollkommenen Menschen“.
(Antje Weber, Rezension in der Süddeutschen Zeitung, online veröffentlicht am 4. Mai 2022)
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/johano-strasser-lesung-muenchen-literaturhaus-1.5577984