Wenn der Fisch im Wasser weint …
Begegnungen, Reisen, Abenteuer · nach Tagebuchaufzeichnungen
Helmut Buchegger
ISBN: 978-3-99028-995-2
21,5×15 cm, 456 Seiten, zahlr. vierfärbige Abb., Kt., Hardcover m. Lesebändchen
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Kurzbeschreibung
Tonga na sussu a toto na ya ti ngu, mo ba ngu-le ti lo pepe –
Wenn der Fisch im Wasser weint, sieht man seine Tränen nicht.
AFRIKA – Sieben Reisen führten auf diesen faszinierenden Kontinent: auf dem Wasser, zu Lande und in der Luft. Die einzigartige Schönheit dieses Erdteils, der Reichtum und die spürbare Lebensfreude sind ein eklatanter Widerspruch zu den dunklen Bildern der Berichterstattung. Düster ist auch der Einblick in die gegenwärtige Lage Afrikas. Früher ausgebeutet durch Sklaverei und Kolonialisierung, herrscht weiterhin wirtschaftliche, finanzielle und politische Abhängigkeit im globalen Machtgefüge.
Helmut Buchegger berichtet von Erlebnissen aus 23 Jahren Missionarszeit in Zentralafrika, von seinen Reisen und pastoraler Tätigkeit in Krems. Grundton ist die Konfrontation mit der Vielfalt des menschlichen Lebens und Glaubens.
[Mit e. Vorwort von Hubert Gaisbauer u. e. Einführung von Cyr-Nestor Yapaupa |
Umschlagbild: Original des Künstlers Willi Pernerstorfer aus der Pfarrkirche Mobaye (ZAR), »Der reiche Fischfang«, bearbeiteter Ausschnitt]
Rezensionen
Niederösterreichische Nachrichten: Helmut Buchegger: Brückenbauer zwischen Lebenswelten23 Jahren Missionsarbeit in der Republik Zentralafrika flossen in das Buch des ehemaligen Kremser Stadtpfarrers Helmut Buchegger ein.
Mehr als 23 Jahre war das langjährige Kuratoriumsmitglied der MIVA (Missions-Verkehrs-Arbeitsgemeinschaft der katholischen Kirche), Helmut Buchegger, als Priester und Missionar in der Zentralafrikanischen Republik tätig. Sowohl an Land, als auch in der Luft war der heute 82-Jährige als Brückenbauer zwischen den „Lebenswelten“ unterwegs, um Menschen zu helfen. Aufgrund seiner jahrzehntelangen Tätigkeit und vieler hautnaher Erfahrungen weiß der pensionierte Priester der Stadtpfarre Krems-St. Veit den hohen Stellenwert der Mobilität zu schätzen.
In seinem soeben im Waldviertler Verlag Bibliothek der Provinz erschienenen Buch „Wenn der Fisch im Wasser weint …“ gibt er dazu Einblicke in sein abwechslungsreiches Leben.
Sie waren ein knappes Vierteljahrhundert auf Mission. Welche Herausforderungen sind Ihnen noch in besonderer Erinnerung?
Helmut Buchegger: So eigenartig es klingen mag, die Straßenverhältnisse sind bei der Ankunft meist das erste Thema. Hunderte Kilometer von einer Stadt in die andere gibt es unbefestigte und schlechte Straßen, in der Regenzeit zusätzlich mit tiefen Löchern und lehmiger, rutschiger Fahrbahn. Zu den Buschdörfern gibt es oft überhaupt nur Wege, verwachsen und mit unsicheren Brücken. Als Gegensatz dazu ist überall die Herzlichkeit der Menschen zu spüren, die einen auch in fordernden Zeiten ermutigt und viel Kraft gibt.
Wie unterscheidet sich die Zentralafrikanische Republik von Österreich?
Buchegger: Gleich vorweg: Der Kulturschock ist größer, wenn man nach einiger Zeit wieder zurück in die Heimat kommt. Es gibt bis heute weder eine flächendeckende Strom- oder Telefonversorgung noch einen Zugang zum Internet oder zu fließendem Wasser – mit Ausnahme einiger größerer Städte. Das Land ist ungefähr siebeneinhalb Mal so groß wie Österreich und zählt nur 4 Millionen Einwohner. Es sind große Entfernungen zurückzulegen, wobei es nur rund 650 Kilometer asphaltierte Straßen gibt. Für einen Einkauf in der Hauptstadt ist man oft mehrere Tage unterwegs – nicht viel für afrikanische Verhältnisse, für uns in Niederösterreich jedoch völlig unvorstellbar.
Wie kam es dazu, dass Sie Missionar wurden?
Buchegger: Das Interesse dafür wurde in meiner Kinder- und Jugendzeit geweckt. Fremde Länder, vor allem Afrika, haben mich schon immer fasziniert. Nach dem Abschluss des Priesterseminars und fünfjähriger Tätigkeit als Kaplan in der Diözese St. Pölten erhielt ich 1972 vom damaligen Bischof Franz Žak die gewünschte Freistellung für die Mission. Schon in der Zeit der Vorbereitung hatte ich Kontakt mit Bischof Maanicus in Zentralafrika, der mich bat, wenn möglich ein Fahrzeug mitzubringen. Bei der Finanzierung half auch die Diözese St. Pölten mit, sodass ich bereits ein Jahr später mit dem auf ein Schiff verladenen MIVA-Fahrzeug nach Douala aufbrechen konnte. Dieses Auto war später in der Diözese Bangassou im Einsatz.
Es sollten insgesamt fast 24 Jahre in Zentralafrika werden …
Buchegger: Ich war in zwei Etappen in der Zentralafrikanischen Republik. Nach dem ersten Einsatz kehrte ich 1982 nach Österreich zurück, war 13 Jahre Pfarrer in Krems-St. Veit und entschied mich 1997 zu einem zweiten Einsatz für 14 Jahre. Es waren glückliche und erfüllte Jahre, geprägt von pastoraler Tätigkeit aber auch konkreter Hilfe für die Bevölkerung durch Bauten für den öffentlichen und kirchlichen Dienst.
Sie waren auch mit dem Flieger unterwegs. Warum?
Buchegger: Trotz einiger Bedenken leistete ich mir 1993 den Luxus und machte den Pilotenschein. Im Rückblick war es eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Als ich dem afrikanischen Bischof davon erzählte, war er begeistert, weil die Diözesen Bambari und Bangassou (ca. 300.000 km² Ausdehnung) ein Flugzeug gekauft hatten, das von holländischen „Piloten ohne Grenzen“ geflogen wurde. Natürlich waren sie manchmal krank, machten Urlaub, oder wurden bei politisch unsicherer Lage abgezogen, sodass der Flieger am Boden blieb. Als zusätzlicher Pilot konnte ich diese Ausfälle kompensieren. So packe ich mit 57 Jahren und nach dreizehnjähriger Priestertätigkeit meine Koffer und startete in der „dritten Jugendphase“ zum zweiten Missionseinsatz. Mit dem Flieger sollte ich fast 2000 Stunden in der Luft sein.
Liegt Ihnen die Mobilität in den ärmsten Regionen unserer Welt generell am Herzen?
Buchegger: Ja, weil ich erlebt habe, wie wichtig Mobilität in armen Ländern ist. Wird der Kontakt mit den Gemeinden, die oft weit voneinander entfernt sind, aufrecht erhalten, dann dient dies der Seelsorge, der Gesundheit und der konkreten Hilfe. Bei uns haben wir einen Überfluss an Straßenverkehr. Geben wir als Dank und aus Solidarität einen Beitrag und helfen wir so den Ärmsten in anderen Ländern. Im Juli, zum Festtag des Schutzpatrons der Reisenden, des heiligen Christophorus, bittet die MIVA jährlich alle Autofahrer um einen „Zehntel Cent“ pro unfallfrei gefahrenem Kilometer, damit für die Arbeit in armen Ländern Fahrzeuge gekauft werden können. In meinem gesamten Missionsdienst konnte ich in Summe fünf Überstellungsfahrten von Österreich nach Zentralafrika durchführen. Die Übergabe am Zielort war jedes Mal ein Fest voll Freude und Dankbarkeit, denn ein MIVA-Auto ist eine Hilfe für alle.
(Helmut Buchegger im Interview mit Martin Kalchhauser und Bernhard Bruckbauer, erschienen in der NÖN Ausgabe Bezirk Krems, online veröffentlicht am 23. Juli 2021)
https://www.noen.at/krems/begegnungen-abenteuer-helmut-buchegger-brueckenbauer-zwischen-lebenswelten-krems-helmut-buchegger-interview-print-282241645
MIVA-Brief: Gewalt im Herzen Afrikas
MIVA-Kuratoriumsmitglied Helmut Buchegger im Gespräch
Helmut Buchegger ist 82 Jahre alt, aber das sieht man ihm nicht an. Zwei Mal, für insgesamt fast 24 Jahre, war er in der Zentralfrikanischen Republik als Missionar im Einsatz: von 1973 bis 1982 und von 1997 bis 2011. Ein Seelsorger, aber auch ein Abenteurer: Vor Sahara-Durchquerungen im Lastwagen schreckte er ebenso wenig zurück wie vor selbst gesteuerten Flügen im riesigen Missionsgebiet. Die MIVA war für ihn von Anfang an eine wichtige Partnerin.
Vor zehn Jahren kehrte er nach Österreich zurück. Er wollte nicht bis ins hohe Alter in Afrika bleiben, sondern auch seiner Heimatdiözese noch einmal dienen. Buchegger lebt in Krems und stellt sich dort als Aushilfspriester zur Verfügung. Nach wie vor ist er ein gesuchter Gesprächspartner und Seelsorger.
Nein, sagt er, Heimweh nach Zentralafrika kennt er keines. Dennoch träumt er davon, noch einmal aufzubrechen und zurückzukehren in das Land im Herzen des Kontinents, das ihm so ans Herz gewachsen ist. Mit einem Auto ist es nicht mehr möglich, weil heute für eine Saharareise kein Visum mehr zu erhalten ist. Aufgrund der großen Zahl an marodierenden Banden sei die Sicherheit von Touristen und Besuchern nicht zu gewährleisten, heißt es. Auch von einer Flugreise nach Zentralafrika raten ihm seine Gewährsleute ab. Ein Besuch in der Hauptstadt Bangui, sagen sie, wäre kein großes Problem. Aber eine Reise über Land, zu den Pfarren und Missionsstationen in Alindao und Mobaye, wo er als Missionar gearbeitet hat, ist gegenwärtig zu gefährlich.
Kein Krieg der Bürger
Zum Gespräch über das Land, dem er so viel Zeit und Energie geschenkt hat, erscheint Helmut Buchegger mit einem dicken Packen Papier. Was er an Nachrichten über Zentralafrika finden kann, sammelt er, um sich ein Bild zu machen. Er ist hervorragend informiert, weiß nicht nur über die großen Linien Bescheid, sondern auch über viele Details. In den hiesigen Medien liegt Zentralafrika deutlich abseits; nur sehr schwerwiegende Ereignisse schaffen es in den einen oder anderen Bericht. In der französischsprachigen Welt ist das anders. Bei den ehemaligen Kolonialherren verfolgt man das Geschehen genauer. Auch für den Missionar steht „sein“ Zentralafrika ganz oben auf der Interessen-Skala.
Er sei im Land sehr gut integriert gewesen, erzählt Buchegger. Mit den Leuten habe er nie Probleme gehabt. Mit der Administration oder der Polizei schon eher. Es war vor allem seine Tätigkeit als Pilot, die bisweilen Argwohn erregte. „Man steht mit einem Fuß im Kriminal, wenn man jemanden transportiert, den man nicht transportieren sollte“, sagt er lachend.
2012 – ein Jahr, nachdem Helmut Buchegger das Land verlassen hatte – begann das große Drama. Vom Norden her drangen im Dezember sogenannte „Séléka“-Rebellen Richtung Bangui vor. Hierzulande wurde der Konflikt, der damit seinen Ausgang nahm, als Bürgerkrieg aufgrund religiöser Identitäten, also zwischen Muslimen und Christen, beschrieben. Helmut Buchegger hält davon nichts. Erstens habe es sich bei dem Konflikt um einen „vom Ausland inszenierten Aufstand“ gehandelt. Das „Volk“ habe sich nicht erhoben. Zweitens sei es in dem Streit, dessen Folgen bis heute nicht beseitigt sind, nicht in erster Linie um einen religiösen Konflikt gegangen, sondern um Erdöl.
Es gibt nur einen Gott
Er selbst habe in Zentralafrika nie einen Konflikt unter Religionen erlebt, erzählt Buchegger. Zwar habe es immer wieder Spannungen zwischen einzelnen Volksgruppen gegeben, aber die unterschiedlichen Glaubensbekenntnisse seien dafür nicht die Ursache gewesen. „Zentralafrikaner sagen ganz schlicht: Es gibt nur einen Gott. Muslime und Christen, sie haben alle denselben.“ Buchegger korrigiert bei dieser Gelegenheit auch die Zahlen, die häufig zu lesen sind. Es könne keine Rede davon sein, dass 80 Prozent der Bevölkerung Christen seien. Intensive Recherchen eines französischen Professors haben ergeben, dass etwa 30 Prozent Katholiken sind, zehn Prozent gehören Freikirchen an, etwa sechs bis 10 Prozent seien Muslime, der Rest sind Animisten, also Angehörige indigener Religionen. Gerne denkt Helmut Buchegger zurück an seine Zeit in Alindao und Mobaye. Zum Ramadan schenkten die Christen den Muslimen ein Lamm. Die wieder revanchierten sich zu Weihnachten mit Geschenken. Gar nicht selten waren Animisten und selbst Muslime auch bei Gottesdiensten dabei. Als im Zuge der Kampfhandlungen aus Bangui erste Zerstörungen gemeldet wurden, gab der Bischof die Devise aus: „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren.“
Das Öl und die Macht
Wenn es also nicht die Religion war, die zu Krieg und Gewalt geführt hat: was dann? Zu diesem Thema holt Helmut Buchegger gern etwas weiter aus. Eine zentrale Ursache sieht er im Kampf um Öl. Vor allem im Nordosten um den Ort Boromata nahe bei Birao, gibt es große Erdölvorkommen, die bis dahin noch nicht erschlossen worden waren. Präsident François Bozizé, der sich 2003 an die Macht geputscht hatte, vergab 2012 die Förderrechte überraschender Weise nicht an eine französische, sondern an eine chinesische Firma – als Dank dafür, dass China dem Land Geld zum Bau von Spitälern und Schulen gegeben hatte. Das widersprach aber nicht nur den Interessen Frankreichs, sondern auch des Tschad, dessen Präsident Idriss Déby mit den Franzosen bereits eine Pipeline von Doba nach Kribi in Kamerun gebaut hatte. Der französische „Total“-Konzern habe Anfang der Nullerjahre die bis dahin staatlich organisierte Kraftstoffversorgung übernommen, erzählt Helmut Buchegger. Für ihn, den Piloten, wurde das spürbar, weil sich die private Firma weigerte, die wichtigeren Flugplätze in der Provinz, Berberati, Bria und Bangassou, weiterhin mit Flugbenzin zu beliefern. Jeder Pilot und natürlich auch das Missionsflugzeug mussten von nun an für den Rückflug Benzin selbst mitnehmen. Durch das zusätzliche Gewicht war weniger Platz für Personen oder Güter vorhanden. Das Öl war also ein zentraler Grund, gegen Präsident Bozizé vorzugehen, vermutet Buchegger. Bewaffnete Truppen waren schnell gefunden. Mehrere Rebellengruppen schlossen sich zu einer Allianz (auf Sango: „Séléka“) zusammen. Junge Kämpfer, die im Bürgerkrieg von Darfur Erfahrung gesammelt hatten, stellten die Mehrheit. Dazu kamen desertierte Soldaten der zentralafrikanischen Armee oder Kämpfer aus dem Tschad, die nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten und ihr Leben mit Überfällen auf Transporte zwischen Kamerun und Zentralafrika finanzierten. Sie alle schlossen sich dem Zug von Norden in Richtung Hauptstadt, nach Bangui, an. Das alles sollte wie ein Volksaufstand aussehen.
Der Marsch auf Bangui
Plündernd und brandschatzend war die „Séléka“ unterwegs. Staatliche Einrichtungen, weiß Helmut Buchegger zu berichten, seien zerstört worden, ebenso die Zettelkästen, in denen wichtige Verwaltungsdaten gesammelt waren. „Teilweise haben sie auch Kirchen demoliert“, sagt der ehemalige Missionar, „aber die Moscheen haben sie belassen.“ Auch kleine religiöse Gemeinschaften, Freikirchen zum Beispiel, seien zum Handkuss gekommen. „Sie haben sämtliche Autos gestohlen: Hunderte.“
Präsident Bozizé bat Frankreich um Unterstützung, stieß aber auf taube Ohren. Zunächst entsandte die Afrikanische Union (AU) Soldaten nach Zentralafrika: Gabun, Kamerun und Kongo-Brazzaville. Auch der südafrikanische Präsident Jacob Zuma beorderte Soldaten nach Zentralafrika. Die Séléka-Truppen verzichteten daraufhin vorerst auf einen Einmarsch in Bangui. Verhandlungen in Libreville, der Hauptstadt Gabuns, sollten einen Ausweg bringen. Man einigte sich auf einen Waffenstillstand. Präsident Bozizé sollte im Amt bleiben, die Regierung umbilden und Gefangene freilassen, aber dahinter stand kein ernster Wille zum Frieden. Als Bozizé zögerte, wie vereinbart Gefangene freizulassen, setzten die Rebellen ihren Vormarsch fort.
Am Palmsonntag 2013 marschierten die Kämpfer mit ihren Kalaschnikows in Bangui ein. Vor allem südafrikanische Truppen leisteten hinhaltenden Widerstand. Präsident Bozizé flüchtete nach Kamerun. An seiner Stelle beanspruchte Michel Djotodia, ein Mann, laut Helmut Buchegger ein „Möchte-gern-Politiker“, das Präsidentenamt für sich. Djotodia war früher mit seinen politischen Ambitionen in Zentralafrika nicht zum Zug gekommen und nach Nyala im Darfur ausgewichen. Dort war er zum Islam konvertiert. Nach dem Einzug in Bangui rief er sich selbst zum neuen Präsidenten aus, war aber nicht imstande die Séléka-Truppen am weiteren Plündern zu hindern. Der Hexenmeister-Lehrling wurde seine Geister nicht mehr los. Sie blieben und begannen mit Waffengewalt, in die Häuser der Hauptstadt einzudringen – unter dem Vorwand, nach Flüchtlingen, Rebellen, Waffen und ehemaligen Soldaten zu suchen. „In Wirklichkeit“, sagt Helmut Buchegger, „haben sie alles mitgenommen, was sie gefunden haben: Fernseher, Laptops – alles, was sie brauchen konnten.“
Der Lockruf der Diamanten
Der Konflikt trat in ein neues Stadium, als die Séléka-Truppen in den bislang von den Auseinandersetzungen unberührten Westen zogen, um sich den reichen Diamantenvorkommen und sonstigen Bodenschätzen zuzuwenden. Erst Monate nach dem Fall Banguis, nahm der bewaffnete Widerstand gegen die neuen Herrscher Gestalt an. „Anti-Balaka“ nannte sich die Truppe, die aus bewaffnetem Widerstand gegen Straßenräuber hervorging. Schon früher hatten sich Jugendliche in den Dörfern dagegen gewehrt, dass Lastwägen überfallen wurden. „Sie waren zwar nicht sehr wirksam“, sagt Buchegger, „aber ab und zu konnten sie etwas verhindern.“ Schließlich schlossen sich ihnen desertierte Soldaten aus dem Regime von Bozizés an, und gemeinsam nahmen sie den Kampf gegen die ehemaligen Séléka-Rebellen auf. Sie handelten aber ebenso grausam, wie die Rebellen selbst. In Bossangoa wurden an die 60 Muslime Opfer eines Überfalls. Die Rebellen ließen daraufhin viele Dörfer niederbrennen. Der Kreislauf der Gewalt war nicht mehr zu stoppen.
Wieder wurde die Afrikanisiche Union aktiv. Da die entsandten Soldaten das Land nicht befrieden konnten, kam es im Jänner 2014 in N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad, zu einem Gipfeltreffen. Der nie anerkannte Präsident Djotodia musste sein Amt räumen, und Catherine Samba-Panza, eine ehemalige Geschäftsfrau und Anwältin, wurde zur Interimspräsidentin ernannt. „Sie hat einigermaßen gut gewirkt“, sagt Helmut Buchegger, „aber auch sie brachte dem Land keinen Frieden.“
Ein Gast aus Rom
Mit großer Hochachtung spricht der Zentralafrikaerfahrene von Papst Franziskus, der 2015 im Zuge einer Afrikareise auch in die Republik Zentralafrika gekommen ist: „Dieser Papstbesuch ist ein kleines Wunder gewesen.“ Diplomaten, wie auch die französische Vertretung im Land, und andere Kenner der Situation hatten dem Papst von dieser Reise abgeraten. „Es gibt keinen gewählten Präsidenten im Land, keine offizielle Regierung – was machst du dort?“ Einige empfahlen ihm, bestenfalls auf dem Flughafen eine Ansprache zu halten und dann weiterzufliegen, weil hier französische Soldaten die Sicherheit garantieren können. Aber Bischöfe und Gläubige des Landes waren einhellig der Meinung: „Wenn er nicht mit uns isst und nicht bei uns schläft, braucht er gar nicht zu kommen.“ Der Papst selbst, weiß Buchegger, habe schmunzelnd gesagt: „Wenn sie mich nicht hinunterlassen, springe ich mit dem Fallschirm ab.“ Als Franziskus dann tatsächlich in das zerrüttete Land kam, sorgten Pfadfinder für seine Sicherheit. Sie bildeten einen menschlichen Kordon vom Flughafen bis zum Stadion und hielten Wache vor der Nuntiatur, wo der Papst übernachtete. Ausgerechnet in Bangui eröffnete der Papst das „Jahr der Barmherzigkeit“ – ein visionärer Schritt im von Gewalt gebeutelten Land. In Bangui lebten Muslime auf engstem Raum, in großer Angst vor Kämpfern der Anti-Balaka. Der Papst ging hin. Ein Foto zeigt ihn, wie er mit Muslimen auf einer Bank sitzt. „Er hat nur gesagt: Mit dem Frieden gewinnen wir alles, mit dem Krieg verlieren wir alles.“
Die Bedeutung der Religionen
Von Österreich aus bemühte sich das „König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog“ um eine Verbesserung der Lage in Zentralafrika. Christliche und muslimische Vertreter wurden auch nach Wien eingeladen. Buchegger hält solche Initiativen für äußerst positiv. Obwohl der Konflikt keine religiösen Ursachen hat, könnten die Unruhen doch auf lange Sicht das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen verschlechtern. Das Einvernehmen zwischen den Religionen wird aber auch in Zukunft sehr wichtig sein. Oft schon wurde dieses Einvernehmen unter Beweis gestellt. Bischof Juan José Aguirre von Bangassou ließ kurzerhand Muslime, die von Anti-Balaka bedroht wurden, mit Lastwagen evakuieren. Er quartierte sie nahe der Kirche, im kleinen Seminar, ein. Dass man ihn dafür mit dem Tod bedrohte, nahm er gelassen hin.
Der Imam von Bangui, Omar Kobine Layama, weigerte sich, dem Ruf radikaler Muslime zu folgen und den Dschihad so auszulegen, dass ein Muslim jeden Andersgläubigen ohne Konsequenzen töten dürfe. Stattdessen propagierte er den „Großen Dschihad“, also den Kampf gegen die eigenen schlechten Neigungen. Der Dschihad sei kein Kampf gegen Andere, sondern gegen sich selbst. Daraufhin erhielt auch er Morddrohungen. Er trug sich mit dem Gedanken, zu fliehen. Aber der Erzbischof nahm ihn mit seiner Familie kurzerhand in sein Haus auf, wo er Monate lang lebte.
Ein trauriger Höhepunkt
Während der Friedensverhandlungen, am 15. November 2018, griffen ehemalige Séléka-Kämpfer in Alindao ein Flüchtlingslager an. Helmut Buchegger war in der betroffenen Kirche neun Jahre lang Pfarrer. „Ich kenne jeden Winkel“, sagt er. Für ihn ist das Massaker ein trauriger Höhepunkt einer traurigen Entwicklung. Im Bereich um die Kirche hatte sich ein Lager von etwa 25.000 Binnenflüchtlingen gebildet. In den Dörfern hatten sie sich bedroht gefühlt; nah ihrem Bischof hofften sie auf Sicherheit. Um acht Uhr früh eröffneten die Angreifer das Feuer; sie schossen mit Granatwerfern und brannten die Unterkünfte nieder. Buchegger, dem Bischof Cyr-Nestor Yapaupa aus erster Hand berichtet hat, weiß von 82 Toten, darunter zwei Priester. Unter den Opfern waren viele Behinderte und alte Menschen, die dem Feuer nicht entfliehen konnten. Seit 2014 waren auch an die 12.000 UNO-Soldaten im Land, die aber bei solchen Ereignissen nicht immer eingreifen. In Alindao waren zum Zeitpunkt des Angriffs 50 aus Mauretanien vor Ort. Sie zogen sich zurück, gaben nicht einmal Warnschüsse ab und leisteten keine Hilfe. Die abscheuliche Tat gilt als Rache für einen Vorfall, bei dem zwei muslimische Männer auf einem Motorrad getötet worden waren. Die Täter wurden unter Bewohnern des Flüchtlingslagers vermutet; den Angreifern schien das Grund genug für einen Massenmord an unschuldigen Menschen.
Kirche und Staat
Alindao ist nicht der einzige Ort, an dem es zu Gewaltausbrüchen dieser Art gekommen ist – allerdings mit weniger Toten, sodass die Weltöffentlichkeit davon kaum Notiz nahm. Der Erzbischof von Bangui, Kardinal Dieudonné Nzapalainga – Helmut Buchegger kennt ihn gut –, verkündete daraufhin, dass man in diesem Jahr darauf verzichten werde, zum Staatsfeiertag am 1. Dezember wie üblich ein Fest auszurichten. Eher werde man Trauergottesdienste abhalten, im Gedanken an die schwierige Situation der Christen im Land. Das führte nach Einschätzung Bucheggers zu einer Trübung des Verhältnisses von Kirche und Staat. Präsident Touadéra hielt an den Feierlichkeiten fest, musste aber feststellen, dass auch bei Muslimen und Freikirchen die Beteiligung in diesem Jahr sehr gering war. „Viele waren solidarisch mit der katholischen Kirche“, vermutet Buchegger.
Ein Spielball der Interessen
Je länger sich der Konflikt hinzieht, je länger auch Friedensabkommen keine verlässlichen Ergebnisse bringen, desto labiler wird die Situation. Längst ist Zentralafrika zum Aufmarschgebiet islamistischer Extremisten geworden. Russland ist mit seiner bis an die Zähne bewaffneten Söldnerarmee, der „Gruppe Wagner“ präsent. Frankreich, UNO und afrikanische Nachbarstaaten haben Truppen im Land und beobachten die Entwicklung mit Argusaugen. China hält sich militärisch zurück, ist aber weiterhin auf seine wirtschaftlichen Vorteile bedacht.
Mobilität im Herzen
Als „Brückenbauer“ zwischen den Lebenswelten liegt Buchegger auch die Mobilität in den ärmsten Ländern unserer Welt besonders am Herzen. „Ich habe hautnah erfahren, wie wichtig Mobilität in armen Ländern ist. Wird der Kontakt mit den Gemeinden – die oft weit voneinander entfernt sind – aufrechterhalten, dann dient dies der Seelsorge, der Gesundheit und der konkreten Hilfe. Bei uns haben wir einen Überfluss an Straßenverkehr, denn Mobilität ist in Europa absolut normal und selbst für kürzere Strecken nehmen wir ein Fahrzeug. Geben wir als Dank und aus Solidarität einen Beitrag und helfen wir so den Ärmsten in anderen Ländern“, so sein Appell. In seinem gesamten Missionsdienst konnte Helmut Buchegger in Summe fünf Überstellungsfahrten von Österreich nach Zentralafrika durchführen. Die Übergabe am Zielort war jedes Mal ein Fest voll Freude und Dankbarkeit. Denn ein MIVA-Auto ist eine Hilfe für alle.
Worauf es ankommt
Helmut Buchegger liebt das Land und seine Menschen. Die schlechten Nachrichten aus Zentralafrika tun ihm weh. War alles umsonst? Manche Entwicklungshelfer und Entwicklungshelferinnen, denen er manchmal begegnet, fragen ihn, ob verbaute Quellen, errichtete Häuser oder Kapellen noch stehen und verwendet werden? Funktioniert es noch? Dann erzählt er gern folgende Geschichte: In den letzten Jahren seines Aufenthaltes in Mobaye kam ein gut gekleideter Herr mittleren Alters auf ihn zu und fragte: „Pater, kennst du mich noch?“ Zunächst musste Buchegger passen; erst langsam dämmerte es ihm. Der Mann, stellte sich heraus, arbeitete im Unterrichtsministerium. Vor 30 Jahren, als Student, hatte er den Missionar in Alindao aufgesucht. Buchegger war damals allein auf der Station und lud den jungen Gast ohne Umstände ein: „Setz dich her, trinken wir ein Bier.“ Sie tranken, sie redeten. „Ich habe ihm auch das Schachspielen gezeigt“. Von dieser Erfahrung ist Buchegger bis heute berührt: Dreißig Jahre später erinnert sich dieser Besucher an damals und spricht ihn darauf an. „Dass ich die Kirche restauriert habe, dass ich Häuser gebaut habe, das hat er nicht mehr gewusst. Aber dass ich ihn ernstgenommen habe, hat er nicht vergessen.“
(Erschienen in: MIVA-Brief, 69. Jg.: 2021, S. 4 f.)