Klaus Ludwig Kerstinger – Manege Leben
Klaus Ludwig Kerstinger
ISBN: 978-3-99028-988-4
21 x 26,5 cm, 80 Seiten, zahlr. farb. Abb., Broschur; Text dt., burgenländisch-kroatisch u. engl.
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Kurzbeschreibung
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[artedition | Verlag Bibliothek der Provinz]
[Texte: Hamed Abboud, Hannes Etzlstorfer, Martin Hochleitner, Vitus H. Weh.]
Kritzeleien von Bedeutung
Du schließt die Augen, um in einen tiefen Schlaf zu sinken, der dich in seine Irrgärten entführt, überlässt aber gleichzeitig den Augen deines Herzens die freie Wahl, ob sie in deine Vergangenheit blicken oder sich mit dir verlieren und dich in den Garten deines Unbewussten führen, wo sie dir Botschaften offenbaren, die du im Wachsein nicht wahrnimmst. Denn im Wachsein bist du in höchstem Maße aufmerksam und mit Farben, Geräuschen und allen anderen Erscheinungsformen beschäftigt, die deinen Tag erfüllen.
Du wunderst dich über einen Traum, von dem du nicht weißt, wie du hineingeraten bist oder wie du ihn wieder verlassen sollst. Aber du weißt, dass es dein Traum ist, und versuchst, die Schlüssel des Verständnisses mit großer Umsicht zu umfassen, als würdest du dich auf eine Szene nach der anderen einlassen, um die rätselhaften Gesichter zu erkennen und zu erfahren, warum sie hier sind oder warum die Raubtiere dich nicht verschlingen, wenngleich sie neben dir liegen. Wie ein erfahrener Regisseur versuchst du, jede Szene, die du siehst, eingehend zu betrachten. Mit den Daumen und Zeigefingern deiner beiden Hände bildest du einen Kreis, um Details voneinander zu isolieren und Antworten zu finden, die im Hintergrund der handelnden Personen verborgen sind. Die befinden sich am Rand der Szene oder gruppieren sich um ein Schachbrett, unbekümmert darüber, wer gewinnen oder verlieren wird. Vielleicht sind es auch bloß Puppen, die jemand mit kaum sichtbaren Fäden bewegt.
Für gewöhnlich eilen Kinder zu den Eltern, um von ihren Träumen zu erzählen. Die mögen eine Erklärung für die seltsamen Welten bereithaben, in die sie eingedrungen sind, so die Hoffnung. Doch keine Regel ohne Ausnahme: wenn etwa ein Maler einen bunten Traum auf der Leinwand festhält und bei seinen Kindern nach einer Erklärung dafür sucht. Vielleicht sagen sie ihm »Morgen ist heute«, sodass die Verunsicherung des einzigen Pferdes zu einer Rechtfertigung wird. Oder sie lachen über die dort liegenden Tiger, ohne zu wissen, ob die miteinander kämpfen oder spielen, und raten dem Vater zu springen.
Wir werden älter und unsere Stimmen tiefer, doch unsere Träume bleiben so bizarr wie die des Kindes, das durch die Irrgärten seines Unbewussten läuft. Wir brauchen eine weiße, unbeschriebene Fläche, um darüber nachzudenken, wie wir die Welt sehen und wie die Kinder sie sehen. Kinder geben der Welt mit ihrer Spontaneität eine neue Bedeutung und fügen ihr auf der Leinwand unserer Gedanken eine neue Dimension hinzu. Sie eröffnen uns eine neue Perspektive, die die Augen unserer Herzen leuchten und lächeln lässt, und sei es nur durch bunte Kritzeleien an den Rändern eines Bildes oder an der Wand, an der das Bild verbleibt, gespannt und in geduldiger Erwartung, bis wir daran vorbeigehen.
(Hamed Abboud, Autor. Aus dem Arabischen von Larissa Bender)