Wieland Schmied – Gegen den Strom
Bilder und Texte
Erika Schmied, Wieland Schmied
ISBN: 978-3-99028-448-3
24×22 cm, 296 Seiten, zahlr. vierfärbige Abb., Hardcover m. Schutzumschl.
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Kurzbeschreibung
Schmied war kein einfacher Institutsdirektor. Keiner dieser beamteten Kulturmanager, mit denen es die wirklichen Kunstfreunde heute so schwer und die kommunalen Kulturadministratoren so leicht haben. Schmied, für die Öffentlichkeit nicht berechenbar, alles andere als anpasserisch, gelang es immer wieder, mit seinem breiten und doch speziellen Interesse zu überraschen.
(Friedhelm Mennekes)
[Hrsg. u. gestaltet von Erika Schmied]
Rezensionen
Evelyne Polt-Heinzl: Der Bild-Erzähler, der für die Kunst lebteÜber 50 kunsthistorische Untersuchungen und Künstler-Monografien hat Wieland Schmied hinterlassen, hunderte Ausstellungen kuratiert, hunderte Katalogbeiträge verfasst und dazu noch literarische Bände. Nun ist ihm selbst ein Text-Bild-Band gewidmet.
Die Fotografin Erika Schmied setzt ihrem 2014 verstorbenen Gatten mit dem umfangreichen Bildband „Wieland Schmied – gegen den Strom" ein würdiges Denkmal. Es ist zu hoffen, dass für sie einmal ein Gleiches getan wird, stand ihr eigenes berufliches Leben doch lange zurück hinter seiner Karriere und der Vorsorge für sein Wohlbefinden und das der beiden gemeinsamen Töchter. Dass sie mit einigen eingestreuten Familienfotos das Bild eines präsenten Familienvaters andeutet, ist wohl als nachgetragener Liebesdienst zu werten.
Denn zweifellos ist Wieland Schmied zeit Lebens in seiner Arbeit aufgegangen. Über 50 kunsthistorische Untersuchungen und Künstler-Monograflen – ein Binnen-I ist hier nicht nötig, es sind tatsächlich ausschließlich Künstler – hat er hinterlassen, hunderte Ausstellungen kuratiert, hunderte Katalogbeiträge verfasst und dazu noch eine Reihe von literarischen Bänden: Lyrik, Prosa, Autobiografisches.
Wieland Schmied, geboren 1929 in Frankfurt am Main, kam als Jugendlicher nach Mödling, studierte Jus in Wien und begann seine Karriere als Journalist beim vergessenen Studentenmagazin Morgen und als Kunstkritiker der Furche. Viele Akteure der damaligen jungen Szene in Wien waren mit Schmied befreundet und profitierten späterhin von seiner beruflichen Karriere, mit der er ihnen oft einen Schritt voraus war. So vermittelte er als Lektor beim Insel Verlag noch rasch vor seinem Abgang die Publikation von Thomas Bernhards erstem Roman „Frost" (1963). Als Direktor der Kestner-Gesellschaft in Hannover organisierte er dann bis 1974 genau 99 Ausstellungen, mit denen er immer wieder Neuland betrat. Es war die Zeit eines doppelten Aufbruchs: Es galt die im Nationalsozialismus vertriebene und verbotene Kunst wieder zu entdecken und gleichzeitig die nachfolgende Generation neu zu positionieren.
Kunstkritiker, Lektor, Direktor
1973 wurde Schmied Kurator der Nationalgalerie Berlin, von 1978 bis 1986 war er Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Berlin und lud in dieser Funktion immer wieder österreichische Autorinnen und Autoren ein wie Ernst Jandl, Friederike Mayröcker oder Gerald Bisinger. 1981 bis 1999 war er zudem Präsident der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst in Salzburg, ab 1986 Professor für Kunstgeschichte an der Akademie für Bildende Kunst in München, dann Rektor bis 1993, und seit 1988 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste München.
Der Band zeichnet Schmieds Biografie mit vielen Fotos und Abbildungen jener Schriftsteller und Künstler nach, die sein Leben begleiteten, und ordnet ihnen immer wieder Ausschnitte aus seinen Essays und Erinnerungstexten zu. Das ergibt ein vielstimmiges Bilderbuch „Mein Leben mit berühmten Künstlern", das zahlreiche Trouvaillen aus der Privatkorrespondenz Wieland Schmieds zugänglich macht. Dass die handgeschriebenen und oft illustrierte Poststücke der Künstler-Freunde nicht immer in Umschrift wiedergegeben werden, erhöht die Spannung der Lektüre: Man muss sich die Texte mitunter lesend erarbeiten, wie etwa jene auf den Postkarten von H. C. Artmann. Wunderschön – und transkribiert – ist die fortlaufende Postkartenserie aus Venedig, auf der Thomas Bernhard am 20. Oktober 1962 einen Brief auf zwölf fortlaufend nummerierte Ansichtskarten portionierte, jede der Karten sorgfältig in Blockbuchstaben adressierte und mit identen Briefmarken auf den Weg brachte. Interessant ist Schmieds Interpretation von Helmuth Baars Foto, das Bernhard mit dem Ehepaar Lampersberg zeigt und an heutige Plakate der Vöslauer-Werbung denken lässt, oder Bernhards Karte, auf der er Schmieds 1964/65 in der Kestner-Gesellschaft organisierte „100 aqua" [Hundertwasser]-AusstelIung lobt. Briefe von Christine Lavant und „Venetie Canetti" – bebildert mit einem ganzseitigen Porträt des Gatten Elias – finden sich ebenso wie zahlreiche, oft liebevoll illustrierte Karten und Grußadressen der Künstler, mit deren Werk Schmied verbunden war.
Was sein eigenes produktives Changieren zwischen Kunst und Literatur, seine Qualität als „Kunstschriftsteller" (Friedhelm Mennekes) anschaulich demonstriert, sind die abgedruckten lyrischen Kommentare zu einzelnen Künstlern aus seinem Band „Schach mit Marcel Duchamp" (1980). Auch in seiner Kunstbetrachtung, so Friedrich Kurrent, war Schmied vor allem „Bild-Erzähler", den „das Existentielle mehr bewegt als der Formgedanke und das Strukturprinzip".
Interesse an Außenseitern
„Lust am Widerspruch" nannte Schmied einen 2008 erschienenen Memoirenband und meinte damit seine Intention, sich „für Außenseiter einzusetzen". Das hat er immer wieder getan, vielen Künstlern hielt er ein Leben lang die Treue wie Werner Berg, Giorgio de Chirico, Richard Oelze, Mark Tobey oder auch dem Schriftsteller Ezra Pound, und manche Namen konnte er erfolgreich in den Kunstbetrieb (wieder) einspielen.
Verborgenes und Unterschätztes auszugraben inkludierte für Schmied allerdings noch nicht den Blick auf Künstlerinnen. Maria Lassnig und – dank Schmieds Freundschaft mit Paul Celan – Gisele Celan-Lestrange gehören zu den wenigen Ausnahmen. Gegen Ende des Bandes finden sich auf Gruppenfotos einige Damen wie Kiki Kogelnik oder Valie Export, und ein „Besuch bei Agnes Martin in New Mexico, 1980" ist mit Fotos dokumentiert – ohne jeden Kommentar zum Werk dieser kanadischen Künstlerin.
Überwiegend aber zeigen die Fotos den Kunstbetrieb als reine Männergesellschaft, allfällig abgebildete Frauen sind meist Ehegattinnen und/oder Sekretärinnen. Das macht auf eindrückliche Weise sichtbar, wie sehr Kunstgeschichte für diese Generation Männersache war und es wird wohl noch einige Zeit dauern, die dadurch weiß gebliebenen Flecken auf der Landkarte der Kunstgeschichte zu füllen.
Kunstgeschichte als Männersache
Natürlich bedeuten bildliche Fixierungen alleine nichts. Hilda Polsterer etwa ist auf dem bekannten und im vorliegenden Band reproduzierten Gruppenfoto des Art Club deutlich zu sehen. Sie war dessen Gründungsmitglied und zwischen 1949 und 1952 an sieben Ausstellungen dieser Künstler-Vereinigung beteiligt. Schmied hat die Geschichte seiner Erlebnisse im Art Club als der „großen Kennenlernzeit" seines Lebens wiederholt erzählt, an Hilda Polsterer, so antwortete er 2009 auf eine Anfrage, habe er „leider keine Erinnerungen".
In die Bildstrecken eingebaut sind einige Essays: Wendelin Schmidt-Denglers Aufsatz „Dichter, Dichterfreund, Kunsthistoriker", Petra Kipphoffs Laudatio zur Verleihung des Friedrich Märker-Preises (übrigens benannt nach einem nicht unbedenklichen Rassentheoretiker), eine Hommage des kunstsinnigen Priesters Friedhelm Mennekes und eine Geburtstagsrede des Architekten Friedrich Kurrent. Welchen Publikationen diese Texte entstammen, wird nicht nachgewiesen. Das ist urheberrechtlich problematisch und auch bedauerlich, besonders vielleicht bei Schmidt-Dengler. Sein hier ohne Kennzeichnung um einige Absätze gekürzter Beitrag erschien in voller Länge und samt Anmerkungen in einem Band, der die Beiträge des Symposiums zu Schmieds 75. Geburtstag versammelt.
Auch wenn sein besonderes Interesse immer wieder Fragen des Religiösen oder Transzendenten galt, hat sich Schmied nie einer bestimmten Kunst-Richtung verschrieben. Ästhetisch bewahrte er sich ein Leben lang eine große Offenheit, die alles, was man als klassische Moderne bezeichnen könnte, potentiell inkludierte. Freilich, so Petra Kipphoff, fühlte er sich vor einem Bild zweifellos glücklicher als in einem Environment oder bei einem Happening, denn Kunst war für ihn „zwar ein Thema voller Fragen, aber kein Thema, das zur Disposition steht,ein Spiel mit vielen Facetten, aber kein Endspiel".
(Evelyn Polt-Heinzl, Rezension in der Furche #04/2017)
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Das zweite Gesicht
Thomas Bernhard und der Tierpräparator Höller