Land und Glas
Leben und Arbeiten im Oberen Waldviertel | 350 Jahre Brand-Nagelberg
Harald Winkler
ISBN: 978-3-99028-592-3
22 x 25 cm, 288 Seiten, zahlr. vierfärbige Abb., graph. Darst., Kt., Hardcover
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Kurzbeschreibung
Nur wenige Regionen in Niederösterreich weisen eine so bewegende und spannende Geschichte auf wie das Obere Waldviertel. Die Menschen dieser Region standen vor allem in den vergangenen 150 Jahren stets im Spannungsfeld vieler Faktoren. So waren etwa die Entwicklung der Industrie, die Grenzziehungen und die infrastrukturelle Erschließung durch die Eröffnung der Franz-Josefs-Bahn von bedeutendem Einfluss.
Im Bereich der Glaserzeugung kannte die Welt seit 1850 einen großen Namen: Stölzle mit den Hauptstandorten in Alt- und Neu-Nagelberg. Die harte Arbeit in den Glasfabriken hat die Menschen hier geformt und geprägt, aber auch zu einem Selbstbewusstsein geführt, das auf der Identifikation mit dem täglichen Schaffen der Bewohnerinnen und Bewohner gründet.
„Land und Glas“: ein Streifzug zum Jubiläum „350 Jahre Marktgemeinde Brand-Nagelberg“ durch die spannende Geschichte einer Region, die von Glasbläsern, Industriemagnaten und dem Leben der „kleinen“ und „großen“ Leute erzählt.
Rezensionen
Josef Haidvogl: [Rezension]Wie überall im Nordwald, vom Bayerischen Wald, durch den Böhmerwald bis ins Waldviertel, war die Glasindustrie ein wichtiger Wirtschaftszweig. Mit der Geschichte der 1600-Einwohner-Marktgemeinde Brand-Nagelberg, die 2016 ihr 350-jähriges Bestehen feiert, und dem mit ihr untrennbar verbundenen Unternehmen Stölzle beschäftigt sich der Journalist Harald Winkler im vorliegenden Buch. Im Vorwort bezeichnet er es als einen „Versuch eines historischen Streifzugs durch die […] Geschichte der weiteren Umgebung“. Er möchte sein Werk in der Gesamtheit bisher veröffentlichter Literatur gesehen haben, liegen doch – wie in den meisten Ortschroniken – vielfach Passagen aus Nachschlagewerken oder Literatur zur Region, aber auch bisher unveröffentlichte Arbeiten, z.B. des Heimatforschers Matthias Zaubek und anderen prominenten Lokalhistorikern, zugrunde. Aufgrund dieses Aufbaus kommt es öfters zu Wiederholungen, die für das Verständnis notwendig sind und niemals langweilig wirken.
Von der Natur- und Urgeschichte des Neolithikums und der Besiedelung des Gebietes kommt er rasch zur Entstehung der Ortschaften im nördlichen Waldviertel. Schließlich auch zu dem ab 10. Juni 1666 wütenden Brand im Heidenreichsteiner Wald, auf dessen Brandstätte böhmische Ansiedler die Ortschaft Brand gründeten.
Erschütternd die Beschreibungen, wie die ansässige Bevölkerung unter den französischen Soldaten 1809, oder der Lasten und Nöte im Ersten Weltkrieg zu leiden hatte. Bewegend die Berichte über die Ereignisse der Zwischenkriegszeit wie Inflation, Bürgerkrieg, Verbotszeit und Ständestaat. Auch Brand-Nagelberg wurde von den Gräueln des Zweiten Weltkrieges nicht verschont, bestürzend der Bericht über die jüdischen Zwangsarbeiter. Die Nachkriegszeit wird mit einem Auszug aus dem Wachbuch der Gemeinde belegt.
Die Ländergrenze, bis Mitte des 19. Jahrhunderts kaum von Bedeutung, wurde erst mit Aufleben des Nationalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Hürde. 1967 wurde der Grenzübergang zur damaligen CSSR erleichtert, sie blieb aber bis 1989 eine tote Grenze, mit allen Benachteiligungen für das österreichische Gebiet. In diversen Berichten aus dieser Zeit und Erklärungen wie die der tatsächlichen Entstehung des Begriffs „Eiserner Vorhang“ wird diese Periode anschaulich illustriert.
Wie in der örtlichen gewerblichen Wirtschaft, nimmt auch in dem Buch die Glasindustrie breitesten Raum ein. Der Autor umreißt kurz, warum das Waldviertel für die Glaserzeugung so geeignet war und liefert eine kurze Geschichte der Glaserzeugung und einen ausführlicheren zur Glaserzeugung und zur Herstellung von Tafelglas, Hohlglas, Überfangglas, Hyalitglas und Pressglas. Aus aktuellem Anlass interessant ist der Hinweis, dass die Glasmacherpfeife in Syrien erfunden wurde. Er setzt sich mit der Unterscheidung „Was ist Arbeit, was ist Industrie?“ auseinander, welche Einflüsse zur Entstehung der Glasindustrie, speziell natürlich der in Nagelberg, geführt haben und wie die Verbesserungen der Infrastruktur zu ihrem Aufstieg beigetragen hat.
Mit der Glasindustrie und der Gemeinde Brand-Nagelberg auf das engste verbunden ist die Stölzle-Dynastie. Ihre mannigfach dokumentierte Historie wird in dem Buch übersichtlich zusammengefasst. Beginnend mit einer Auflistung der Besitzer der Glashütte Brand-Nagelberg, über den „Contract“ mit der Herrschaft Weitra zu den Glashütten in Joachimstal und Schwarzau, bis hin zur Pacht der Glashütten in Alt-Nagelberg und Neu-Nagelberg im Jahr 1846 durch Carl Stölzle, führt der Autor biografisch detailliert hin zur „C. Stölzle-'s Söhne Actiengesellschaft für Glasfabrikation“. Damit zusammenhängend erfährt man vieles über die Ausstattung der Hütte, wie das Leben und die Arbeit in den Betrieben ablief, die Entlohnung oder über das Hüttenbrauchtum. Wenn auch patriarchalisch geführt, gab es eine durchgängige enge Hüttengemeinschaft, in der man sich gegenseitig mit großem Respekt begegnete. Stölzle's soziales Unternehmertum wird durch beigefügte zeitgenössische Zeitungsberichte bestätigt.
Nach der Expansion des Unternehmens in Österreich und Tschechien und ihre Ausweitung auf andere technologische Gebiete wie z.B. Brauereien und Sägewerke kommt der Niedergang. In einzelnen Abschnitten werden die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Leben der Arbeiter und des Zerfalls der Monarchie und die Krisenzeit der Zwanzigerjahre auf die Stölzle-Betriebe beschrieben. In der folgenden Darstellung der NS- und Kriegszeit sind die auf Rassismus beruhenden und kriegsbedingten Probleme geschildert. Auch erfährt man, wie das Unternehmen mit neuen Erzeugnissen und Technologien in der Nachkriegszeit Fahrt aufzunehmen versucht und nach der Fusion zu „Stölzle-Oberglas“ und dem Kauf durch Swarowski Ende der 1980er Jahre Konkurs anmeldet und 2001 endgültig schließt.
Natürlich dürfen in einer umfassenden Beschreibung auch die erzeugten Waren nicht fehlen. Aus damaligen Tafeln und Musterentwürfen wird auch die Verschiedenartigkeit des Sortiments dargestellt. Abschließend zum Thema Glas wird auf die heutige Bedeutung des Ortes als Glaskunstdorf, welcher das größte private Glasmuseum Österreichs beherbergt, sowie die heute noch bestehenden Glasbetriebe hingewiesen.
Erschreckend, wenn man in einem Exkurs über Kinderarbeit erfährt, dass diese in Österreich erst 1918 verboten wurde! In Tafeln sind die Anzahl der arbeitenden unter 14-Jährigen und ihre Tätigkeiten mit Schwerpunkt Glaserzeugung dargestellt.
Ab etwa der Hälfte des Buches wird mit Gerichtsgeschichten aus der Vergangenheit und Sagen aus der Region wieder in das Gemeindegebiet von Brand-Nagelberg übergeleitet. Im Abschnitt über das kirchliche Leben erfährt der Unkundige neben dem Geschichtlichen Überraschendes über die örtliche kirchliche Kunst, dann über das seit 1793 bestehende Schulwesen mit den Besonderheiten der Volksschule Brand-Nagelberg.
Nach einer Vorstellung lokaler Persönlichkeiten kommt man zu den Charakteristika der Gemeinde. Bevölkerungsentwicklung, Landwirtschaft oder Pechsieden wird ebenso beschrieben wie die Landschaft mit ihrer Fauna und Flora und ihren Naturdenkmälern und Institutionen wie der Gendarmerieposten, die Postämter, Kino und Banken. Aus der Geschichte der Mitte der 50er Jahre eingestellte Brauerei erfahren wir, dass es auch damals schon Skandale um die Qualität der Produkte gab.
In „Streiflichtern zur politischen Geschichte“ werden die parteipolitischen und personellen Zusammensetzungen der Gemeinderatsperioden und ihre wichtigsten Aktivitäten verzeichnet, ebenso eine chronologische Auflistung der Ehrenbürger und Träger verschiedener lokaler Auszeichnungen. Die Gemeindezusammenlegung Brand-Nagelberg, Finsterau und Steinbach beschließt den Bericht über die Gemeinde.
Am Ende des Buches findet man Fotos aus dem Gemeindeleben der jüngsten Vergangenheit. Eine Chronologie der Ereignisse von 1369 bis 2013 beschließt die umfangreiche Darstellung der Heimatgeschichte.
Das Werk ist reichlich mit Zitaten aus älteren Aufzeichnungen und Tagebüchern, Urkunden, aber auch einigen Gedichten, Liedern und zahlreichen Abbildungen, Zeichnungen und Faksimiles ausgestattet. Alle Quellenangaben sind sorgfältig auf derselben Seite verzeichnet, was die Zuordnung erleichtert. So manche Person, deren Wurzeln nach Brand-Nagelberg reichen, wird Geschichten über Vorfahren oder Bilder von ihnen, vielleicht sogar von sich selbst, in diesem Buch wiederfinden.
(Josef Haidvogl, Rezension in: Das Waldviertel. Zeitschrift für Heimat- und Regionalkunde des Waldviertels und der Wachau, #65/4, 2016, S. 509 f.)