Von den wilden Frauen
Ein Sagenbuch · [Die Sagen der Saligen]
Martin Auer, Linda Wolfsgruber
ISBN: 978-3-85252-382-8
24,5 x 28,5 cm, 72 Seiten, zahlr. vierfärbige Abb., Hardcover
22,00 €
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Kurzbeschreibung
Jetzt loset amal! Der Mensch ischt nicht für dieses Ameisenleben geschaffen, zu Tausenden und Millionen auf einem Haufen. Zehntausende, hunderttausende Jahre haben die Leut zu sechzigt, zu hundert zusammengelebt, haben sich ohne Herrschaft und ohne Regierung ihre Sachen geregelt. Und die Menschen erinnern sich daran. Sie habens nicht wirklich vergessen. Es ischt alles da, in den Sagen, den Märchen, den Gebräuchen. Nur: mir verstehn oft insere eigene Erinnerung nit, so wia mir insere eigenen Träume nit verstehen.
In jeder Kultur gibts Gschichtlan vom Goldenen Zeitalter, vom verlorenen Paradies, vom Schlaraffenland. Es war die Zeit, wo der Mensch nicht hat arbeiten gemisst, wo die Erde alles hergeschenkt hat. Soll ich enk sagen, welche Zeit das war: Es war die Zeit der Sammlerinnen und Jäger!
Ja, lest nach in der Bibel: Hinterher haben sie den Acker bebaut, der Adam und die Eva. Das Paradies war davor.
Ja, da sagt man, man soll das nicht verklären, dieses Leben, die Menschen waren arm und krank und voller Läus zu der Zeit. Aber sogar in der Kalahariwüste, wo nichts wächst und wo die Menschen sich manchmal in die Erde eingraben müssen, damit sie nicht vertrocknen, dort brauchen die Buschleut nicht mehr als drei Tag in der Wochen, um ihre Nahrung zu erwerben. Sie finden sich eine Wurzel, die voller Wasser ist, die zutzeln sie aus, und die feuchten Schalen schmeißen sie in ein Loch. Da schiffen sie dann drauf, und setzen sich rein, und da haben sie's kühl. Ja lacht's nur. Wie lebt ein Mensch, der nur drei Tag in der Woch arbeiten muss, und den Rescht der Zeit mit Singen und Geschichtn erzählen verbringt, mit Witze machen und mit den Kindern spielen? Ich sag euch, wie der lebt: Der lebt im Luxus! Vielleicht nicht grad im Paradies, aber im Luxus.
Aber wie lebt ein Mensch, der gar keinen Unterschied macht zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Erwerb und Verzehr? Der lebt doch wohl im Paradies, der lebt doch wohl im Schlaraffenland!
Lest nur nach beim Ovid. Ihr habt es müssen in der Schule lernen, aber verstanden hat es koaner:
Zuerst war das goldene Zeitalter.
Die wilden Frauen schenken gern etwas und sie bitten auch manchmal um Geschenke. Aber man hört nia nicht, dass sie Handel treiben oder Schätze horten, wie die Nörggelen oder die Venedigermandln. Die sein ständig hinter Gold und Schätzen her, handeln und tauschen und gehorchen einem König, der übr ein unterirdisches Reich regiert und Schatzkammern voller Gold und Edelsteine hat. Die Saligen haben kein Reich und auch keine Königin, davon ischt nirgend die Red. Manchmal kommen sie von den Bergen herunter und helfen den Bauern bei der Arbeit. Sie kommen bei Nacht und schneiden den Weizen oder sie helfen beim Heumachen.
Rezensionen
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2003, Ehrenliste: [Rezension zu: Martin Auer/Linda Wolfsgruber, „Von den wilden Frauen“]Präsentiert als Erzählung eines reichlich verschrobenen Natur-Faktotums werden die Südtiroler Sagen von den „Saligen“ in außergewöhnlicher künstlerischer Aufmachung präsentiert: Das Unbestimmte als Handlungsraum dieser besonderen Frauen findet seine Entsprechung in assoziativ gestalteten, transparent-erdigen Lithografien.
(Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2003, Ehrenliste)
https://www.biblio.at/rezonline/ajax.php?action=rezension&medid=13234&rezid=15091
Angela Maria Pieta: Von wilden Weibern
„So, und jetzt lost amol, Madlen, das isch jetzt besonders wichtig für euch. Ich werd enk von einem Volk erzählen, das einmal hier glebt hat, von den Saligen.“ Die Vilen, Feen, die Bethen, die Weißen Frauen. Es gab einmal eine Zeit, in der sie die Ärmel ihrer weißen Gewänder hochkrempelten und dem Menschenvolk bei der Aussaat, beim Bestellen der Felder und bei der Ernte halfen. Mit nichts zum Lohn als bestenfalls einer Schale Milch. Mehr hätte sie vertrieben.
In frühchristlicher Anbiederung wurden dann Namen wie Ambeth, Borbeth und Wilbetan zu Anna, Barbara und Katharina. Man zog ihnen Heiligengewänder über, stellte sie auf Altäre, von denen aus sie wächsern in ferne Leeren blicken. Schickte die urigen wilden Saligen über die Fluren, Wiesen und Wälder zurück in Gebirgshöhlen, in die Nebel der Vergangenheit und von da in das unbefriedete Reich der Sagen.
Aus eben diesem scheinen Linda Wolfsgruber die Gestalten zugeflogen zu sein, die ihr schönes, starkes Buch Von den wilden Frauen beseelen – Ur-Bilder aus Urzeiten. Schatten, Symbole, gehörnte Gottheiten, Frauen, Schlangen. Entrisch wie die Geschichten die der Hutzler Matthiesl, ein Tiroler Faktotum, selbst schon zu Lebzeiten mit allem Zeug zur Sagengestalt ausstaffiert, erzählte. Und eben diese sind, transkribiert von Martin Auer und liebevoll eingebettet in der „Bibliothek der Provinz“ des Buchästheten Richard Pils – um ein bisschen mehr als eine Schale Milch, um € 22,-, zu haben.
(Angela Maria Pieta, Rezension im Standard vom 28. Juni 2003)
https://www.derstandard.at/story/1344355/von-wilden-weibern