Völlig dazwischen
Roman
R.J. Helscher
ISBN: 978-3-85252-121-3
21 x 15 cm, 134 S., Hardcover
15,00 €
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Kurzbeschreibung
Die Namen der Personen und die Orte der Handlung sind rein zufällig gewählt. Sollte jemand frappante Ähnlichkeiten zwischen sich und so manchen ekeligen Charakterzügen der handelnden Personen entdecken, so tut es mir trotzdem aufrichtig leid. …
Wer nicht auf die hohen Berge steigt, kennt die Ebene nicht.
The Fool on the Hill
Ich betrachtete das Schwarz-Weiß-Foto in meiner Hand: hustend, gut gekleidet wie üblich, mit Papillon, in der rechten Hand eine Sektflöte, in der linken eine dicke, stark qualmende Zigarre, die mir damals eine Spur zu stark gewesen sein dürfte, … darum hustend … und natürlich die blaue Sonnenbrille mit der Silberfassung, die ich zu jeder Jahreszeit trug, bevorzuge im Winter, und vor allem nachts, wenn ich unterwegs war … wegen der blendenden Aussichten. Ich drehte die alte Photographie um. Auf der Rückseite fand ich in verwischter Tinte mein eigenes Glaubensbekenntnis geschrieben: »Meiner Person und dem zunehmenden Glauben an mich gewidmet.« Wie wohl tat das bißchen Selbstvertrauen, das ich mir mühsam im Umgang mit meinen Mitmenschen erworben hatte!
Mein CD-Player spielte »The Fool on The Hill«; ich mußte unmittelbar an das Krankenhaus denken, in dem ich arbeitete, und an meine Kollegen: nichts verächtlicher, als wenn Kollegen Kollegen Kollegen nennen. Ich war bereits zum Fortgehen angezogen – always being a little bit overdressed – so stand ich in meinem Arbeitszimmer und trank den letzten Schluck aus meiner muffeligen Morgentasse, die mit ihrer Aufschrift »Munter-Macher« auch nicht ganz die Wirkung beschrieb, die ihr ehemaliger und mein jetziger Inhalt in mir auslöste. Der kleine Keramikhund auf dem Henkel der Tasse bestätigte mit seinen herabhängenden Ohren und den müde wirkenden Augen wie ein Spiegel meiner Seele mein allmorgendliches Zustandsbild. Mein Arbeitszimmer erschien im Morgengrau der stets halbgeschlossenen Jalousien ebenso verdämmert wie alle jene Menschen, denen ich nun auf der Fahrt und im Krankenhaus begegnen würde. Ich blickte wie zum Abschied in die Ecke des Zimmers, wo zwischen mehreren hochgewachsenen Palmen und Gummibäumen die Aluminiumsäule mit dem Totenkopf stand. Der Totenkopf erinnerte mich an die Vergänglichkeit des Lebens und an die Tatsache, daß auch dieser Arbeitstag irgendwann zu Ende gehen würde. Ich nahm meine Jacke vom Fauteuil und verließ den Raum.
Das verwahrloste landschloßartige Gebäude am Fuß des Kahlenberges, in dem ich wohnte, warf seinen langen morgendlichen Schatten auf die Wiese und auf das Gestrüpp, von dem das Grundstück umgrenzt war. Ich ging über die Stiegen, die vom Haustor in den Garten führten, und legte wie gewohnt den Haustorschlüssel unter den Blumentopf, der am steinernen Geländer stand. Der grantige Hausmeister erwiderte meinen Guten-Morgen-Gruß mit einem unfreundlichen Kopfnicken aus dem Souterrainfenster. Ich ging zu meinem Fahrzeug, einem alten roten Sport-Volvo 1800S, immerhin Bertone, vorbei an der Luxuskarosse des Hausmeisters, einem hochgehteten Sportwagen mit dick-verchromtem Auspuffs extrabreiten Rallyereifen, die ihn in den glücklichen Stand versetzten, nach getaner Arbeit rascher bei den anderen Hausmeistern zu sein. Auf der Motorhaube meines Fahrzeuges lag die graue Perserkatze meiner Nachbarin, einer älteren Dame, die ihrem Haustier im Zug der Jahre ähnlicher wurde, nicht ausgenommen das graue Barthaar, das seit einigen Monaten besonders perioral dicht zu stoppeln begann. Ich deutete der Katze mit einiger Bestimmtheit, im Hinblick auf den unversehrten Lack meiner Motorhaube jedoch freundlich, durch Fingerzeig, Gestik und Pfiff, ihre Schlafstelle zu verlassen. Da wir dieses Spiel in der warmen Jahreszeit fast täglich wiederholten, kam die Katze meiner Aufforderung auch heute prompt nach, streifte im Vorbeigehen anstelle eines Morgengrußes mein schurwollenes Hosenbein und machte sich aus dem Staub des Schotterweges, der zum Haustor führte. Ich stieg in mein Auto und verließ die Gartenanlage über den Sandweg, der zum oberen Schreiberweg führte, dort wo seinerzeit die Zahnradbahn auf den Kahlenberg fuhr.