
Arnulf Neuwirth – Und grün des Lebens goldener Baum
Arnulf Neuwirth, Wolfgang Krug
ISBN: 978-3-85252-858-8
26 x 21 cm, 220 S., zahlr. Abb., Hardcover
34,00 €
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Kurzbeschreibung
Wenn es stimmt, dass das Gesamtwerk eines Künstlers durch das thematische und formale Begehren der einzelnen Werke konstituiert wird, dann ist dies bei Arnulf Neuwirth einerseits das Phänomen Reise, andererseits die bildnerische Verfahrensweise der Collage.
Die Collage ermöglicht Neuwirth, verschiedenste formale und thematische Aspekte zu verflechten, vielschichtigste Elemente zu vernetzen und so aus Vorhandenem, Vorgefundenem eine Anreicherung und Amalgamierung differenzierendster Aussageweisen zu erzielen. Die einzelnen Collage-Fragmente, die vielfältigste Materialien umfassen, erlauben in der Art und Weise ihrer Bezüge nicht nur, einen Kosmos an Motiven wie eine Partitur zu kombinieren und zu komponieren, sondern auch gegensätzlichste Zeit-valeurs einzubringen. Mit deren Hilfe gelingt es dem Künstler, inhaltlich-formal das zu erreichen, was bildgeschichtlich die Impressionisten mit ihren valeurs realisierten.
(Carl Aigner)
Rezensionen
Franz Krahberger: [Wolfgang Krug, „Arnulf Neuwirth – Und grün des Lebens goldener Baum“]Wolfgang Krug hat im Verlag Bibliothek der Provinz ein gewohnt von Richard Pils sorgfältig ediertes und gedrucktes Buch herausgegeben.
Darin vereinen sich mehrere Sicht- und Darstellungsweisen. Einerseits ist eine gut wie kompetent geschriebene Lebensgeschichte Arnulf Neuwirths und seiner Frau Helana. 1980 haben ich ihn selbst kennen gelernt. Ich lud ihn ein zu meinem ersten Ost_West Symposion GRENZZEICHEN, das ich in Litschau veranstaltet habe, in der Nähe von Radschin, der Ort in dem sein Grünes Haus steht. Das war die Zeit, in der er an den Wandbildern der Propstei in Eisgarn gearbeitet hat. Ich habe ihn vorher und nachher in Radschin besucht und er hat mir einiges erzählt. Das Wachstumspotential der Veranstaltung in Litschau, die 1984 mit Neue Kunst aus Österreich und Ungarn zu einem wirksamen Projekt der Ostöffnung gediehen ist, hat der vormalige Kunst- Staatskommissär gut erkannt.
Neuwirth, der einen guten Draht nach Paris hatte und während des Krieges eine Zeitlang im nordafrikanischen Exil lebte, begann nach 1945 unter dem Pseudonym Abu Nif Kunstkritiken in dem von Otto Basil herausgegegebenen Avantegardeheften Der Plan, in Grösse und Coverfarbe der Fackel von Karl Kraus nach empfunden, zu veröffentlichen. Basil, Neuwirth und das ganze Team später prominent gewordener Maler und SchriftstellerInnen, die weitgehend ident mit den Begründern und Besuchernd des Art Clubs, auch bekannt als Strohkoffer in der Loosischen Americaine Bar in einer Seitenstrasse zur Kärntnerstrasse, gewesen ist, bemühten sich vor allem um das Verständnis der Moderne, nach der Niederlage der Nazis, die die schärfsten und brutalsten Gegner der Moderne und der Aufklärung und die Katastrophe für das österreichische Kulturleben gewesen sind, nicht nur …
Neuwirth fühlte sich gemeinsam mit Edgar Jené den Surrealisten nahe und versuchte dies seinen Lesern nahe zu bringen bzw. richtete seine persönlichen Arbeiten und Empfehlungen danach aus.
Das Buch kann man ebenso als breit gespannte Werkmonographie Arnulfs Neuwirths ansehen, in der alle charakteristischen Werkphasen von den frühen Collagen, über die lateinamerikanischen Flugbilder hin bis zu den heiteren und erzählenden Aquarellen des Alterswerkes, die immer noch die Technik des Collagierenden beibehalten, vertreten sind. Neuwirth, der u.a. an der Modeschule in Hetzendorf unterrichtet hat, Elfi Semotan war eine seiner Schülerinnen, ist ein Meister des kleinen Formats, in dem er Meisterschaft und sensible poetische Qualität entwickelt hat. Der weitgereiste und weltoffene Mann bringt so sein mündliches Erzähltalent in seine unverwechselbare Bildwelt ein.
Seine theoretischen Exkursionen ergänzen das bildnerische Werk. Neuwirth ist eine der seltenen Begabungen, die über ihr bildnerisches Werk selbst reflektierend und ergänzend schreiben können.
Mit Tempi passati I gestaltete er 1956 sein erstes ernst zu nehmendes Collagenwerk und wusste sich dabei durchaus in der Tradition von Max Ernst.
Beginn meiner lebenslangen Collagearbeit, erscheint zunächst wie reine Abstraktion. Doch die Schicht darunter stellt sich als eine Art Selbstbiografie heraus. Wie der Titel Tempi Passati verrät, ein Rückblick auf das bisher vergangene Leben in Gestalt von kleinen angeschwemmten Papierstücken auf bräunlichem Grund. Für mich trugen sie Symbolgehalt, wie Reliquien in einem Sumpf teils ungenauer, teils präziser Erinnerungsbilder. In diese Komposition wurde das Altern der Papiere, ihr Verblassen und Vergfärben einkalkuliert. Die Collage sollte die Mumie eines Lebens zeigen. Das ist eine etwas andere Lesart von Nature morde.
In ihrem Nachruf auf Robert Rauschenberg schreibt Anne Katrin Fessler Mit dieser Form dreidimensionaler Malerei erreichte Rauschenberg die angestrebte Gleichrangigkeit aller Bildelemente. Die Basis dazu lag in den künstlerischen Prinzipien von Collage und Ready-made, im Dadaismus und der Kunst von Kurt Schwitters und Marcel Duchamp. Was scherte Rauschenberg der Sinn, zu dem sich Farbe, Fundstücke, Holz, Zeitungen, Stoff zusammenfügten, es waren Zufallsarchive, aufgeklaubt auf den Mistplätzen der Konsumgesellschaft.
Dem hingegen versuchte Neuwirth der Collage noch immer tieferen Sinn, changierend zwischen Abstraktion und sichtbarer Gestalt zu verleihen. Das ist mir ebenso legitim wie Rauschenberg, von dem ich Werke kenne, die wirklich nicht mehr ansehnlich sind, ebenso wie man die radikale Atonalität von John Cage meist nur bei guter Konstitution zu hören vermag.
Im Collagenwerk habe ich selbst einige Erfahrungen in der Entwicklung meiner Scanoagen Serie machen können, kleine Strassenfundstücke in einem radikalen Random Verfahren auf dem Scanner aufgelegt und digitalisiert. Mich hat dabei erstaunt, dass man die Ästhetik des industriellen Massendesigns dabei nicht völlig zerstören konnte. Es hatte auch noch in der völligen Zersplitterung seine bildhafte wie ästhetische Wirkung.
Den Ruhm und die Weltbekanntheit von Rauschenberg hat Neuwirth nie erlangt, aber seine Form der Kunst ist doch eine beständige, in sich geschlossene authentische Leistung, die nach wie vor, wenn auch im kleinen Rahmen, Beachtung findet.
Eine Collagenserie von Neuwirth möchte ich besonders hervorheben. Sie ist auf Löschpapieren von Gottfried von Einem, mit der der Kompositore seine Notaten getrocknet und auf Bitte hin dem Freund geschenkt hat. Zwei davon finden sie nach dem Text , das Amazonasbild und die Waldviertler Eisenbahn, im weiteren zwei Stoffahnen aus der Serie für den Österreichpavillon zur Weltausstellung in Montreal 1967 und das späte Ölbild des grünen Hauses haben sie bereits eingangs des Dokumentes gesehen, das in seiner Schlichtheit an ein Bild von Margritte erinnert. Neuwirth setzt es in seinem blühenden Garten hinter Bäume. Das lässt daran erinnern, dass es Neuwirth gewesen ist, der Hundertwasser zu allererst gefördert hat und über Jahrzehnte hinweg mit ihm befreundet geblieben ist.
Als weiteres kann man das Buch über und mit Werken von Arnulf Neuwirth als liebenswürdiges Österreich-Lesebuch anschauen und lesen. Landschaftsbilder, vor allem aus Niederösterrreich, im Besonderen des Waldviertels in seiner romantisch mythischen Abgeschiedenheit, dessen Bilder er mit Figuren aus der griechischen Mythologie anreicherte und Bilderbögen und Tablaeus aus der Serie 1000 Jahre Österreich über die verschiedenen Zeiten und Epochen bis in die Jetztzeit, die thematisch gestalteten Fahnen zur Weltaustellung in Toronto erzählen die österreichische Geschichte und über deren herausragenden Persönlichkeiten. Er lässt die dunklen Seiten, abgesehen vom Holocaust, nicht aus und verfällt selten in überschiessendes Pathos. Dem Dilemma der Künstler- , Wissenschaftler-, PolitikerInnen der Nachkriegszeit, die der Kulturpolitik des Kalten Krieges unterworfen waren, konnte oder wollte auch er nicht entgehen. Neuwirth war einer der ersten, die zu Beginn der 50 er Jahre eine dreimonatige Besuchsreise in den USA absolvieren durften, dies, um seine Position zu verdeutlichen. Politisch gesehen gehörte er eher dem konservativen Lager an, war aber eher liberaler Humanist.
Das Dilemma zeigt sich am besten wie explizit an seinem Kommentar Die Donau von Passau bis Hainburg.
Neuwirth: So, wie in Erinnerung an eine Reise zunächst im Unterbewusstsein ungewisse Flecken und Farben schwimmen, später dann Bilder sich genauer abzeichnen, so ist diese Collage des Donaustromes aufgebaut. Beginnend am Zusammenfluss mit dem Inn in Passau. Herausgehoben die Greinsburg bei Grein, mit dem Andenken an einen dort längeren Dichters Strindberg, um nicht das benachbarte Mauthausen mit allen seinen Greueln zeigen zu müssen.
Arnulf Neuwirth war weder Antisemit noch Kryptofaschist noch Nazimitläufer, er stand der Moderne und der Aufklärung in ihrer französischen Quellform nahe und war einer der Wegbereiter modernen Denkens in Österreich nach der nationalsozialistischen Katastrophe. Ich habe zuallererst von jüdischen Freunden gut über ihn reden gehört.
Aber an den Usancen des verordneten staatlichen Fassadenbaus der 2. Republik konnte oder wollte auch er nicht vorbei. Er sparte aus, Arnulf Rainer übermalte, überdeckte, verzeichnete und verdrängte, Hundertwasser drehte wundersame Spiralen, mit ihnen viele andere österreichische KünstlerInnen, die sich bis auf wenige Ausnahmen der notwendigen geschichtlichen Auseinandersetzung nicht gestellt haben. Heile, heile Entchen, ist alles wieder gut. Das dem nicht so war und im Ausland nie so gesehen worden ist, wurde endgültig mit der Affaire Waldheim, die auch eine der Waldheimat gewesen ist, klar und deutlich.
Hier zeigte sich für alle Zeiten, dass die Tendenz Weltberühmt in Österreich ein zu dünnes Eis für den Ritt über den verstörten Waldsee gewesen ist.
Mit dem Grün des Lebens goldenen Baumes (siehe Cover des Buches) lässt sich halt nicht alles vergessen machen, und Kunst kann nicht allein der Behübschung dienen. Immerhin, die Begründung spart Neuwirth in seinem Buch nicht aus. Niemanden wäre es aufgefallen, dass er Mauthausen in seiner Collage nicht berücksichtigt hat.
Die Begegnungen mit Arnulf Neuwirth sind interessant gewesen und ebenso dieses Buch aus der Bibliothek der Provinz, das in mir viele Erinnerungen, auch an das Waldviertel, ausgelöst hat.
Eines verstehe ich jedoch nicht ganz. Die Umstände, warum und wie Neuwirth aus dem Exil in Francos Spanien, der im Bürgerkrieg von 1937–1939 die Republik zerstört hat, auf Gran Canaria 1942 ins Reich zurückgekehrt ist, um als überzeugter Pazifist den Wehrdienst leisten zu müssen, sind mir von Wolfgang Krug zu unschlüssig erzählt und Ungewissheit ist da nach Lektüre hängen geblieben. Ich erinnere mich an die Beschreibungen der Flucht Franz Werfels, des tragischen Geschicks Walter Benjamins an der Pyrenäen Grenze des Vichy Regimes und an die dramatischen Erzählungen H.C.Artmanns, der als Deserteur im Untergrund gelebt hat, mehrmals verhaftet worden ist und mehrmals fliehen konnte, bis er in Wien endgültig gefasst worden und zum Tod verurteilt worden ist. Vor der Hinrichtung bewahrt hat ihn die Einnahme Wiens durch die Rote Armee. Das hat H.C. aber nicht gehindert, sich sechs Wochen später in der amerikanischen Zone Wiens anzusiedeln. Ein Posten im öffentlichen Dienst im Gegensatz zu Arnulf Neuwirth war ihm nicht beschieden. Anfang der 50er bewarb sich H.C. auf Drängen seiner Mutter bei der Post. Drei Wochen später wurde ihm Bescheid gegeben, man könne ihn nicht einstellen. Die ebenso mitgeteilte Begründung: Er sei vorbestraft. Die Vorstrafen – Eintragung ins Strafregister der 2. Republik: Das Todesurteil des Kriegsgerichtes der deutschen Wehrmacht im Namen des 1945 gestürzten Führers!
(Franz Krahberger, Rezension für das Electronic Journal Literatur Primär)
http://www.ejournal.at/ArtSite/neuwirth/neuwirth.html