Schriftbilder
Portraits und Texte aus dem Burgenland
Hans Wetzelsdorfer
ISBN: 978-3-85252-322-4
24 x 17 cm, 108 S., zahlr. Ill.
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Kurzbeschreibung
Hrsg.: Literaturhaus Mattersburg. Fotos: Hans Wetzelsdorfer. Red.: Susanne Winkler-Klement
Lisa Srromszky : Schriftbilder
Irgendwann - wer vermöchte zu sagen, wann - hat der Mensch das Bedürfnis verspürt oder es als Notwendigkeit empfunden, es vielleicht nicht nur vage empfunden, sondern mit der Klarheit seines Intellekts erkannt, daß er sich nicht allein durch sein Sprechen, durch Laute, durch das Hörbare mitteilen müßte oder könnte, sondern durch etwas, das nicht so flüchtig-vergänglich, nicht von einem Luftzug schon wegtragbar, auslöschbar war.
Irgendwann hatte der Mensch eine Vision: Er sah das Sehbare, das Greifbare, das Bewegliche, das Lebendige, das, was auf ihn zukam, ihn aber auch floh, dem er nachjagen, das er erjagen, erlegen, töten und essen konnte, er sah all dieses überaus Konkrete, Alltägliche (ebenso unbegreiflich Wunderbare) nicht nur als Nahrung, als Kleidung, als Genossen im Kreislauf von Leben und Tod. Der Mensch hatte die Vision: Es mußte möglich sein, dem Flüchtigen, Entweichenden, dem Wandelbaren in einem Bild Dauer und Bestand zu geben. Es mußte ein großartiges Erlebnis gewesen sein, das zu denken.
Es hatte aus dem Mitgeschöpf, aus dem Geschaffenen, aus dem Unbeholfenen einen Schaffenden, einen, der sich behelfen konnte, einen Künstler gemacht. Der Mensch hatte aus dem Konkreten eine Idee destilliert, er konnte abstrahieren. Eine fundamentale geistige Leistung, ein atemberaubendes Ereignis! Wahrscheinlich dachte der Mensch nicht nur über die Tiere nach, die er aufzeichnen, aufschreiben konnte, sondern auch über sich selbst, denn: Wer war das Geschöpf, das über seine Geschöpflichkeit hinausgreifen, das sich Bewegende festhalten, im Bild einfangen konnte? Auch der Künstler damals hat auf die Frage keine Antwort gefunden. Hätte er sie gefunden, wäre er kein Mensch gewesen, kein aus dem Paradies Vertriebener. Er hätte den unzähligen Generationen nach ihm die Basis ihres Suchens und damit ihres potentiellen Künstlerrums genommen.
Irgendwann schuf der Mensch das erste Bild, er zeichnete auf, er zwang seine Vorstellungen in seine Hände, in seine Werkzeuge, in seinen Stein hinein. Er erkannte, daß er ein Ganzes war: Idee, Vision, Geist und ebenso Hand, Leib, Werkzeug. Während er schuf, war er ganz mit seinem Werk verbunden. Erst wenn es vollendet war, war es ein Losgelöstes mit eigener Substanz, eine Aufzeichnung auf einem Stein.
Wir wissen nicht, wem der Mensch das Aufgezeichnete mitteilen wollte: der Allmacht der Gottheit, die das tausendfältige Leben gab und nahm, oder wollte er vielleicht die Tiere, die Mitgeschöpfe, die er tötete, versöhnen, indem er sie - auf ein Bild gebannt - unrötbar machte? Wollte er einem Geisrerkult dienen, Geistern in Tier- oder Pflanzengestalt huldigen, sie gnädig stimmen? Oder frönten die Künst¬ler einfach ihrer schöpferischen Lust, ihrer Freude am Gestalten, ihrer Freude am geschriebenen Zeichen? Wir wissen es nicht.
Als der Mensch vor unendlich langer Zeit anfing zu schreiben, schrieb er in Bildern. Er tat es mit Farben, die bis heute ihre Kraft behalten haben, wie wir staunend in den nach und nach entdeckten Höhlen unserer unbekannten Vorfahren feststellen können. Beweisen diese Entdeckungen nicht die Meisterschaft jener Künstler?
Wir wissen auch nicht, aus welchen Traditionen sie schon schöpften, nach welchen Vorbildern sie arbeiteten, sich entfalteten und weiterenrwickelten. Hatten sie bereits in ihrer Kulturepoche den Höhepunkt erreicht, dem der Abstieg folgte?
Ich leihe mir diese Frage aus dem Buch von Oswald Spengler »Der Untergang des Abendlandes«, in dem der Autor darlegt, daß alle Epochen und Kulturen ihre Frühzeit, ihre hohe Zeit, ihren Höhepunkt und ihren Abstieg und somit ihren Untergang durchlebten.
Lassen Sie uns - angeregt durch Spengler - sowohl einen großen zeitlichen als auch räumlichen Sprung machen, lassen Sie uns ein wenig bei jenen Kulturen verweilen, deren Bilderschriften wir zu deuten, zu lesen verstehen, bei den Kulturen an Euphrat und Tigris und am Nil.
Jahrtausende trennen sie von der Epoche der Höhlenmaler im westlichen Europa und Afrika, aber vielleicht nicht nur Jahrtausende, sondern der Unterschied ihrer kulturellen Welten.
Wie wir in den historisch überschaubaren Jahrtausenden erkennen, hat der Mensch sehr unterschiedliche Kulturen entwickelt, wurde vielmehr von ihren Religionen geprägt und entwickelt. Bedenken wir, daß die Wurzel jeder Kultur Kult ist, Dienst an und Ehrerweisung, Opfer für die Gottheit. Doch so sehr sich Kulturen auch unterscheiden, ihre Träger drängt es zu Zeichen und Schrift, dazu, dem Allzu-flüchtigen Dauer zu geben.
»Schrift ist die Darstellung der Sprache mittels Zeichen«, diese Definition aus dem Lexikon trifft bereits genau auf die Bilderschriften zu, die sowohl real Existierendes durch typisierte Bildzeichen darstellten als auch Gedankenabläufe. Der Schreibende und der das Geschriebene Deutende (von Lesen möchte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen) begegnen einander im Bereich der Phantasie ebenso wie in der Fähigkeit, aus der Phantasie ins Reale zu transformieren.
2000 v. Chr. sind parallel zur Bilderschrift Zeichen für Laute geschrieben worden, vorwiegend in der Hieroglyphenschrift Ägyptens. Die Bildzeichen erhielten nach und nach Lautwert, d. h. sie standen für Konsonanten. Diese Entwicklung beschleunigte sich, als auch Semiten sich der Hieroglyphen bedienten. Beides, Ägyptisches und Semitisches, blieb insofern Bilderschrift, als eben Bildzeichen für das Schreiben von Konsonanten verwendet wurden. Ungeachtet der Art der Zeichen waren die Konsonanten nun aber Träger des Wortsinnes. Durch das bloße Aufzeichnen der Konsonanten war es möglich, ja notwendig, daß zwischen die Konsonanten unterschiedliche Vokale geschoben und gelesen wurden (N-e-B-u-K-a-D-N-e-S-a-R,N-a-B-u-CH-o-D-o-N-o-S-o-R) ...