
Nötig
Eine Erzählung
Simone Schönett
ISBN: 978-3-85252-687-4
21×15 cm, 128 Seiten, Hardcover
15,00 €
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Kurzbeschreibung
Sabine sucht den Begrenzungen ihres Alltags zu entfliehen. Es zeigt sich dabei jedoch, dass Grenzüberschreitungen nur zu einer Verschiebung und Neubenennung, nicht aber zur Aufhebung der Abhängigkeit führen. Die Protagonistin tauscht ihr Leben als Mutter und Ehefrau gegen eine Existenz als Objekt sadomasochistischer Rituale ein und unterwirft sich damit neuen Vorschriften.
„Halterlose Netzstrümpfe und geschnürte, hochhackige Stiefeletten hast du gekauft, und in diesem Geruch von Leder und Synthetik, hinter dem Vorhang des Geschäftes, umgeben von Schuhkartons, die Strümpfe angelegt, die dein Fleisch halten, die Schuhe, die deine Schritte bestimmen sollten.“
Rezensionen
Helmuth Schönauer: [Rezension]Not, nötig, genötigt. – Irgendwo in diesem semantischen Umfeld spielt die Erzählung Simone Schönetts. Eine Frau, völlig unauffällig nach außen hin, übernimmt erotische Aushilfsdienste, um die eigene finanzielle Unterzuckerung und die sexuelle Not der Männer zu befriedigen. Mal sehen, heißt ihre Devise, die Kontakte werden über den Chat im Internet angebahnt.
Dann tauchen sie realiter auf, diese Phantomtiere aus dem sexuellen Netz. Wolf hat ziemlich ausgefallene Wünsche der Befriedigung, Zähmung und Erniedrigung, sein Samen liegt noch wochenlang im Magen, irgendwann gehen selbst die sexuellen Abzählreime aus dem Leim.
Dazwischen laufen die Filmrollen als Mutter und Ehefrau scheinbar unbeeindruckt auf ihren Spulen weiter, aber die Wahrnehmung hat sich geändert.
Selbst in unauffälligen kleinen Ereignissen sind sexuelle Besonderheiten verborgen, die Sprache der erotischen Ausschweifung und des tonlosen Alltags fallen irgendwann während des Tages zusammen und es entsteht ein Erlebnisbrei aus beiden Feldern, alles wird zur Nötigung.
Zwischendurch erzählt das nicht gerade übermännliche Schwanz-Ich von seinen Erlebnissen während der sexuellen Abläufe, die Sprache ist immer zu dünn für diese Rituale, die halb im Animalischen, halb im Infantilen angesiedelt sind.
Die Textteile sind denn auch mit Schlüsselwörtern wie „Handel“, „namenlos“, „gurren“, „Plastikwelten“, „der Mensch ist dem Menschen…“ überschrieben. Die Sexualität flutscht zwischen der Geschäftswelt und dem Bildungsauftrag der beteiligten Seelen hin und her. Zwischen den Inszenierungen bei einer Vernissage und den Verkaufsabläufen im Sexshop ist kein Unterschied, wenn der Konnex des Bewußtseins einmal hergestellt ist.
Und so enden scheinbar harmlose Sätze immer wieder in größter Begriffeslust und Greifsucht. „Die Eier sind längst kalt geworden. Ich esse sie trotzdem.“ (71)
Simone Schönetts Erzählung ist eine raffiniert freche Beschreibung jenes Zwischenreichs der Sexualität, in welchem die Helden hüllenlos die Szene betreten und mit einer übergroßen Rolle heraus kommen.
(Rezension: Helmuth Schönauer, veröffentlicht am 24. Oktober 2005)
https://www.biblio.at/rezonline/ajax.php?action=rezension&medid=34418&rezid=23038
Sabine Dengscherz: [Rezension]
Das Ausloten von Abgründen und Bedrohungen, der Grenzen des Erträglichen und dessen, wozu wir fähig sind, ist sicherlich eine der spannendsten Aufgaben von Literatur. Die literarische Figur geht ihren Weg konsequent bis zum bitteren Ende. Und wir folgen ihr, unbehelligt, von der warmen Stube aus. Das gibt dem Lesen zuweilen den gewissen Kick. Unter anderem.
Simone Schönetts Figuren verlangen nach härterer Kost. Sie habens „Nötig“, wie schon der Titel der Erzählung verrät. Die Restauratorin Sabine hat ihr(en) Alltag so fest im Griff, dass er sie zusehens langweilt. Mann, Kind, Geschäfte machen und das traute Heim mit dem gläsernen Anbau sind ein Alle-Tage-Mosaik, in dem kein Platz bleibt für Spannung, Herausforderung und Abenteuer. Das Leben lebt sich wie von selbst, mit ewig gleichen Ehesprüchen; was einst idyllisch war, wird farblos fade. Und ein Zwang.
Das Wilde, Andere, Ungezähmte wartet nicht weit weg im Chat, mit Sado-Maso-Spielchen, die einer zeigen, dass sie klein und unterwürfig werden kann, wenn einer es nur streng genug verlangt. Der Wolf und die Wal, so nennen sie sich und treffen einander alsbald im Kaffeehaus, wo nicht die Freiheit wartet, sondern neue Regeln. Nur von einem anderen auferlegt als der täglichen Notwendigkeit. Willkürlich statt vernünftig. Von einem Zwang zum nächsten. Nur dass an den neuen Zwängen das alte Leben zerbricht.
Schönett ist nicht nur das Kunststück gelungen, pornografische Szenen poetisch und trotzdem drastisch zu schildern, sie lässt die verzweifelte Langeweile der Protagonistin, die Gier nach Neuem und die Lust am Abseitigen lebendig werden und nachvollziehbar. Sie zieht den Leser geradezu in ihren Bann. Das geschieht vor allem durch präzise Beobachtung und freimütige Schilderung selbst kleinster Regungen, kleinster Schwächen. Es ist kein Falsch an diesem Buch.
Neben ihrem literarischen Schaffen engagiert sich Simone Schönett für die Rechte der Jenischen, ihr erster Roman „Moos“ erzählt ihre Großfamiliengeschichte. Nun hat sich ihre Literatur aber sozusagen selbstständig gemacht und widmet sich allgemeineren Themen. Die Erzählung „Nötig“ hat absolut nichts mit Jenischen zu tun. Sie spielt in Wien, das ebenso gut New York oder Berlin sein könnte.
Bei der Lust an der Erniedrigung, der Sehnsucht nach Unterwerfung, der die eigentlich recht starke Persönlichkeit Sabine nachläuft, mag bei der einen oder anderen Leserin Wut und Widerwillen brodeln – das gehört dazu. Diese Autorin quält uns gerne und gekonnt. Und unterwirft uns, damit wir spüren, wie sich's anfühlt, in Sabines Haut zu stecken. Sie fühlt sich selber schließlich auch nicht wohl darin und ist nervös.
Damit nicht genug, beschränkt sich Simone Schönett aber keineswegs auf die Sichtweise ihrer Hauptfigur. Sie zerlegt das Unaufhaltsame der Geschichte auch in die einzelnen Rollen der Beteiligten, wir schlüpfen in Peter und den Wolf, in den Ehemann und in den Fremden aus dem Chat. Sie zeigt uns, dass auch der Familie hat, ein ganz normales Leben, das auch ihm nicht reicht. Auch er sucht Kick und Abenteuer, den Sex der anderen Art, das Spiel. Simone Schönett nimmt ihm den Nimbus, holt ihn auf den Boden des Realen. Was von dem Wolf noch übrig bleibt, ist Mensch. Und der Ehemann hingegen wäre selber gerne Wolf.
Eine Reihe von Missverständnissen, unausgesprochenen Wünschen und der Wolf im Menschen als des Menschen Wolf geben sich ein Stelldichein mit Dildos, Latex, Macht und Schwäche. In uns allen schlummert die Bestie, schleudert uns der Text entgegen, nur sieht sie bei jedem anders aus. In einer Nebenhandlung heiratet Freundin Ella „ihren“ Kurden dann doch nicht, bevor er abgeschoben wird; sie scheut die Verantwortung, wenn es ernst wird. Für sie war es ein Spiel, für ihn ging es um Leben und Tod. Diese Bestie braucht kein Sado-Maso.
Beeindruckend ist nicht nur die Kompromisslosigkeit des Erzählens, sondern auch der Stil. Präzise, schlicht, poetisch, keine Floskeln, keine abgegriffenen Bilder. Die nackten Worte sprechen für sich, nichts soll verschleiert werden, das Thema Macht in der Beziehung ist kompliziert genug, die Einfachheit der Sprache steht dagegen. Aber es hilft alles nichts, Spiel und Ernst sind kaum zu trennen. Kein Wunder, dass man sich darin verstrickt.
(Sabine Dengscherz, Rezension im Buchmagazin des Literaturhaus Wien online veröffentlicht am 1. März 2006)
https://www.literaturhaus-wien.at/review/noetig/