Es muss was geben
Die Anfänge der alternativen Musikszene in Linz
Andreas Kump
ISBN: 978-3-85252-840-3
24×17 cm, 336 Seiten, zahlr. Abb.: Duplexdr., Klappenbroschur | 3., erw. Aufl.
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Kurzbeschreibung
„Eine grandiose Chronik im Zeichen von Selbstermächtigung, bunten Haaren – und dem Mut der Verzweiflung.“ – Der Standard
„Ein gefährliches, aufrührerisches Buch – und eines, das Mut macht.“ – Profil
„Das beste Buch, das es über Linz gibt.“ – Süddeutsche Zeitung Magazin
In Linz an der Donau gehen Mainstream und Musik nicht zusammen. Seit 1977, abgetörnt vom Austropop und aufgestachelt vom englischen Punk, die Band Willi Warma das Café Landgraf zum Linzer Marquee Club umfunktionierte, ist stattdessen eine höchst aktive Musikszene in Bewegung, die alternativen Spielarten und Strukturen hohen Stellenwert beimisst.
„Es muss was geben“ geht den Entwicklungslinien dieser Szene nach. Als Erzählung der Protagonisten selbst. Zu Wort kommen dabei u.a. Linzer Bands wie Willi Warma, Miss Molly‘s Favourites, Fuckhead, Attwenger, Musiker von Texta und Shy, genauso wie die Schauspielerin Sophie Rois.
Und so kann ich behaupten, dass ich damals den Gedanken an eine Dokumentation der Linzer Musikszene wieder aufgriff. Diesmal nicht als Stammbaum, sondern als Buch. Und nicht etwa um knietief in Nostalgie zu waten oder wild herumzuinterpretieren, sondern um (eine) Geschichte aufzuzeichnen, die sonst bestenfalls aus Fußnoten und unzulässigen Beiträgen in Zeitungen und Magazinen zusammengetragen werden könnte.
Wie ich die Geschichte erzählen würde, wusste ich sofort. Das verdankte ich „Bill Graham Presents“ von Robert Greenfield. In diesem 1992 im Verlag Zweitausendeins auf Deutsch erschienenen Buch über den „erfolgreichsten Rock-Impresario der USA“ kommen die Protagonisten ausnahmslos selbst zu Wort. Teils einhellig, teils widersprüchlich schildern sie Erlebnisse mit Bill Graham aus ihrer jeweiligen Perspektive. Ich hielt das für die beste Methode, um den verschiedenen Ansichten und Motivationen, aber letztendlich auch den Gemeinsamkeiten der Linzer Musikszene gerecht zu werden.
(Andreas Kump)
Peter Arlt, Wolfgang Fadi Dorninger, Paul Fischnaller und Peter Donke lesen aus „Es muss was geben“, Video von Nnnn NaNatascha via dorf tv
Rezensionen
Karl Fluch: Das Gefühl des AufbruchsIn dem Buch „Es muss was geben“ erzählt der Linzer Musiker Andreas Kump die Entstehungsgeschichte der alternativen Musikszene seiner Heimatstadt
Eine grandiose Chronik im Zeichen von Selbstermächtigung, bunten Haaren – und dem Mut der Verzweiflung.
Die Aneignung von Popkultur war und ist in Österreich ein problematisches Thema. Bis heute wird – mit wenigen Ausnahmen – nachgestellt, was in den Popmetropolen vorgemacht wird. Das ist insofern legitim, als Popkultur ihrem Wesen nach eine Mischung aus Reflexion und Einfluss ist.
Nur ist Reflexion hierzulande keine besonders beliebte Disziplin, was erklärt, warum es meist beim Kopieren bleibt. Das eigene Zutun beschränkt sich auf das Angleichen des Ausgangsmaterials und der Fremdideen auf „heimische Verhältnisse“, was fälschlicherweise als eigene Identität und Leistung verhandelt wird. 95 Prozent des sich deshalb zu Recht als klein empfindenden Austro-Pop – Stichwort: „Weltberühmt in Österreich“ – sind so entstanden. Andreas Kump erzählt in seinem Buch Es muss was geben – Die Anfänge der Alternativen Musikszene in Linz eine andere Geschichte, eine der Selbstermächtigung. Mit einer chronologischen Komposition von Gesprächsprotokollen mit den Protagonisten der in den späten 70er-Jahren in Linz unter dem Eindruck von Punk entstandenen Szene entwickelt er die Geschichte einer Kultur, die buchstäblich aus dem Nichts kam.
Daraus etablierte sich die neben Wien wichtigste Subkultur-Zelle Österreichs, die mit Bands wie Attwenger, den experimentellen Grenzgängern Fuckhead, dem Elektronikmusiker Fadi Dorninger, den Hardcorlern Valina, den HipHoppern Texta und auch Kumps eigener Band Shy längst auch international bekannte Aushängeschilder besitzt.
Soziales Modell
Was war damals das Besondere an Linz? Andreas Kump: „Es bestand für junge Menschen überhaupt kein kulturelles Angebot. Also gab es die Notwendigkeit, eigene Strukturen zu schaffen. Die Geburt der Szene war dazu von Einzelpersonen geprägt, die stark aufklärerisch veranlagt waren und ein Bewusstsein hatten, wie man Sachen verwirklicht. Dabei ist es nicht nur um Musik gegangen, sondern auch darum, ein soziales Modell zu errichten.“ Diese Geburtshelfer, darunter die Schauspielerin Sophie Rois, kommen in Es muss was geben zu Wort. Entstanden ist so die stark anekdotische Chronik einer Szene, die sich auch als Dokumentation großer Naivität und sympathischer Irrtümer erweist.
Kump: „Es geht um das Einfangen des Gefühls einer Aufbruchsstimmung, die heute kaum mehr möglich ist, weil es derlei hermetische Szenen mit so geringem Informationspotenzial wie damals nicht mehr gibt. Während man heute mittels Mausklick Zugang zu fast allen Informationen hat, tappten viele damals vollkommen im Dunkeln.“
Dieses permanent leicht ohnmächtige „Es muss was geben“-Gefühl bringt eine Aussage des jungen Musikers Rainer Krispel auf den Punkt: „Ich wollte unbedingt Punk sein – was immer das auch bedeutete.“
Ein ähnliches Buch veröffentlichte 2002 der deutsche Autor Jürgen Teipel: die mittlerweile sogar verfilmte Rekonstruktion Verschwende deine Jugend, die die alternative deutsche Musikszene zur selben Zeit aufarbeitete. Kump: „Der Auslöser für mich war Billy Grahams presents, ein Buch über den berühmten US-Konzertveranstalter Billy Graham. Das hat mir vorgezeigt, dass man so eine Geschichte vollkommen unkommentiert aufzeichnen kann. Mit all ihren kleinen Widersprüchen, die sich ohnehin von selbst filtern oder auch einen eigenen Charme entwickeln.“
Besteht da die Gefahr der nostalgischen Verklärung? Kump: „Die besteht absolut. Das Buch heißt aber Es muss was geben und nicht Es hat etwas gegeben. Ich sehe es als nach vorne gerichtetes Werk. Markus Binder von Attwenger sagt darin auch, dass man aufpassen müsse, dass man das Eigene nicht zu super findet. Das hab ich sehr ernst genommen.“
Entstanden ist so eine wundersame und auch so bebilderte Kultur- und Erfolgsgeschichte der Stahlstadtkinder, die ihre aus dem Nichts selbstgenerierte Kultur, ein rares Beispiel von Einfluss und Reflexion, bis heute weiterführen. Dass das erste österreichische Buch dieser Art ausgerechnet aus Linz kommt, ist da nur logisch und konsequent.
(Karl Fluch, Rezension im Standard vom 5. Dezember 2007)
https://www.derstandard.at/story/3137744/das-gefuehl-des-aufbruchs
Martin Blumenau: 80er-Jugend, part 2. Oder: sind wir nicht alle ein bisschen Linz?
Es gibt keine Zufälle. Am selben Tag, an dem ich gleich zwei Bücher (eins älter und aus dem Anlass der Verfilmung in ein neues Medium transponiert, eins ganz neu) über die 80er-Jahre-Jugend lese, gibts am Abend eine weitere Präsentation eines weiteren Buchs, das exakt dieselbe Zeit abhandelt.
Okay, es hat mich nicht total überrascht, schließlich läuft Andy Kump, Spielmacher bei „Shy“, schon seit einiger Zeit mit der Idee etwas über die Musikszene in Linz zu machen herum (und auch das Manuskript gibt es schon eine geraume Zeit). Trotzdem ist diese Ballung an Vergangenheits-Aufarbeitung erstaunlich.
Ich denke, dass es damit zu tun hat, dass man sich jetzt dieser Zeit erstmals halbwegs unverkrampft nähern kann. Auch weil selbst die Ausläufer (und das würde bis hin in die Anfangs-Neunziger reichen) bereits betrachtbar sind, ohne damit den sinnlosen Versuch einer Historisierung der Gegenwart (die ja gern oft bis zu zehn Jahre alte, sehr lebendige Wurzeln hat, deren Bearbeitung zu schmerzhaft ist) zu begehen.
Was Kumps „Es muss was geben“ (Die Anfänge der alternativen Musikszene in Linz), erschienen in der ehrenwerten Bibliothek der Provinz, verblüffenderweise bestätigt, sind die gestern erwähnten schnellen Jahre, in Wien zwischen 79 und 82 angesiedelt. Dass es im Fall von Linz die Jahre 77 bis 83 sind, hat lokale Gründe. Da in Linz vorher nichts war (denn Eela Craig und Waterloo & Robinson gelten da eher nicht) sind die Proto-Punk-Anfänge auch schon wichtig, zumindest erinnerungstechnisch. Und 83 ist deshalb eine deutliche Marke, weil sich DIE große Linzer Band, Willi Warma, da aufgelöst hat.
Ansonsten dokumentiert dieses im Cut-Up-Statement-Stil gehaltene Buch (siehe auch Jürgen Teipel und Verschwende deine Jugend) die Geschichte der Jugendkultur/en in Linz, der einzigen österreichischen Stadt neben Wien, die sowas aufzuweisen hat. Für Graz und Innsbruck, bei allem Respekt, würde ein Heft reichen, für Salzburg ein Löschblatt.
Das Interessante an dieser Linzer Szene war immer ihre Fähigkeit sich zielsicher abzuschotten, vor allem den immer wieder erfolgten Vereinnahmungsversuchen von Wien aus. Auch wenn sich aus manchen Wortmeldungen (z.B. von Chef-Willi Kurt Holzinger) herauslesen lässt, dass das auch zufällig passierte. Trotzdem wollten „die Linzer“ eigentlich wenig mit „den Wienern“ zu tun haben; auch wenn es Überschneidungen, Uni-Pendler und Kollaborationen gab.
Das hat vielleicht überhaupt mit den rigorosen Abgrenzungen zu tun, die im harten OÖ-Pflaster üblich sind. Denn auch für die internen Provinzler (egal ob aus Inn- oder Mühlviertel) galt und gilt erst einmal Vorsicht.
Es ist verblüffend wie stark in der Linzer Szene sowas wie Standesdünkel und Bezirks-Rivalitäten eine Rolle spielen – allesamt Dinge, die in der Wiener Szene (Punk, Postpunk, New Wave) genau gar keine (oder nur eine minimale) Bedeutung hatten. Dort kamen die Einflussgeber und Mitspieler aus allen Ecken des Landes und der Stadt, weshalb es wurscht war, wo einer geboren war und was sein Papa macht. Das, was in Linz (und auch im Buch) oft lange abgehandelt wird, interessierte in Wien keinen.
Diese szenische Enge hatte also eine, vorsichtig gesagt, seltsame Seite, andererseits war sie genau dadurch auch wesentlich familiärer geprägt als die vergleichsweise weltläufigere und größere Partie in Wien. Dadurch dass in Linz wirklich jeder jeden kannte, konnte sich in den Zentren, dem Cafe Landgraf, dem E-Schmid, später der Stadtwerkstatt und dem Kapu eine Menge entwickeln – weil jeder probieren und experimentieren konnte. Das wieder war in Wien, wo man schon etwas vorzeigen und leisten musste, wenn man sich auf eine Bühne traute, nicht so leicht – da lag die Latte höher, war der Wind rauer.
Aus heutiger Sicht ist es kaum vorstellbar wie man sich in zwei doch nah aneinanderliegenden Städten so effektiv voneinander abschotten konnte – dazu muss man die damals kaum existenten Kommunikationswege in Betracht ziehen. Schönes Beispiel: Didi Bruckmayr beschreibt, wie er nach einem Blümchen Blau-Konzert nicht wusste, wen er gesehen hatte. Etwas heute kaum vorstellbares, das damals durchaus vorkommen konnte. Kontakt gab es durch Konzerte und (anfangs) durch gemeinsame Label-Bemühungen (in beiden Sparten höchst aktiv: Ronnie Urini, vielleicht durch seine Wachauer Herkunft als Mittler geeignet), über das Abhören derselben Programme (Musicbox) oder Besuche bei den zentralen Plattenshops (Why Not).
Mehr war da nicht.
Möglicherweise ist dieses Beispiel das historisch letzte einer regional abgeschotteten Entwicklung von Popkultur. Denn nach den „schnellen Jahren“, also ab spätestens ’85 wurden neue Medien und Tools (Videorecorder, Kabel-TV, MTV, Anrufbeantworter…) wichtiger und begann auch so etwas wie internationale Vernetzung (Label-Kontakte…).
War es bei den Linzer Superhelden Willi Warma und ihren Gegenspielern, der in Urfahr ansässigen Gemeindebau-Band Miss Molly‘s Favourites, noch wichtig, sich nicht von außen vereinnahmen zu lassen – selbst Interviews in Wien ließ man nur durch Vertraute durchführen – war es bei den nächsten Generation, den Hardcore-Bands ab 85, bereits wichtig sich in einer weltweiten Szene Gehör zu verschaffen.
Natürlich war nichts so stringent, wie es im Überblick klingt. Die Willies spielten auch für die JVP, und Target of Demand oder Stand to Fall legten auch eine Anti-Wien-Haltung an den Tag, der in ihrem Fall aber auch gerechtfertigt war.
Denn: die Wiener Hardcore-Szene hatte nie die inhaltliche Substanz und auch die szenische Relevanz um mit den Stahlstädtern mitzuhalten. Dass all diese Strömungen in heute noch existenten und zutiefst wichtigen Projekten wie Attwenger, Wipe Out, Fuckhead oder Texta münden, unterstreicht die Langfristigkeit dieses (inexistenten) Masterplans.
Das Linzer Modell beweist, dass der biotopische Ansatz einer Szenen-Bildung der bestmögliche ist; dass ein Basis-Ethos, der aus Punk heraus entstanden ist, auch dreißig Jahre später noch eine gut funktionierende Selbstkontrolle ermöglicht; und dass Sturheit ein wichtiger Faktor ist. Und die zuletzt herumschwirrenden 80er-Jahre-Aufarbeitungen zeigen darüber hinaus, dass die 80er (zumindest in Österreich, vielleicht auch westweltweit) kein einheitliches Jahrzehnt, sondern die zentrale Bruchstelle der Entwicklung von Jugendkultur sind.
(Martin Blumenau, in: Journal ’07: KW 48, Donnerstag, online am Website von ORF Radio FM4 veröffentlicht am 29. November 2007)
https://fm4v2.orf.at/blumenau/220868/main.html