Erlkönig
Johann Wolfgang von Goethe, Jens Thiele
ISBN: 978-3-85252-827-4
21,5×30,5 cm, [24] Seiten, zahlr. vierfärbig gedr. Abb., Hardcover
15,00 €
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Kurzbeschreibung
KOLLEKTION ÖSTERREICHISCHER KINDER- UND JUGENDBUCHPREIS 2008 – »DIE BESTEN BÜCHER DES JAHRES«
Johann Wolfgang Goethes Ballade »Erlkönig« gehört auch heute noch zum Bildungskanon der heranwachsenden Generation. Hier stellen wir eine ungewöhnliche Ausgabe dieses klassischen Textes vor. Der Bilderbuchkünstler Jens Thiele hat Goethes Ballade durchgehend illustriert und damit neue Wege der Textinterpretation eröffnet. Im Spannungsfeld zwischen dem Text von 1782 und den expressiven Collagen ergeben sich vielfältige Zugänge zum Inhalt der Ballade, die sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene (Eltern, LehrerInnen, …) neue Impulse zur Auseinandersetzung mit einem klassischen Stoff bieten.
Mit diesem Bilder-Buch liegt zum ersten Mal eine durchgehend illustrierte Ausgabe des »Erlkönigs« vor.
Rezensionen
Sarah Wildeisen: Ballade über das UnheimlicheMit hintersinnigen Illustrationen setzt Jens Thiele Goethes „Erlkönig“ in Szene
Alter: ab 6
Inhalt: Ob in Gedichtsammlungen oder in der Schule, jeder ist ihm schon begegnet: Johann Wolfgang Goethes „Erlkönig“. Die Ballade erzählt vom nächtlichen Ritt eines Vaters mit seinem Sohn. Im Fieber sieht der Junge seltsame Gestalten. Während der Vater seinen Sohn mit Erklärungen zu beruhigen versucht, steigert sich die Angst des Jungen zur tatsächlichen Bedrohung.
Leserausch: Balladen erzählen bildreich und bewegt Geschichten. Deshalb eignen sie sich, um Kinder mit Dichtung vertraut zu machen. Balladen muss man vorlesen. Wer aber liest Kindern heute noch Gedichte vor? Viel eher greifen Eltern zum Bilderbuch. Über Inhalt und Bilder kann man schließlich reden. Dass Eltern und Kinder oft aneinander vorbeireden, ist Thema des „Erlkönigs“. Jens Thiele setzt die unterschiedlichen Wahrnehmungen von Vater und Sohn mit expressiven Collagen in Szene. Aus gerissenen Fotos und bunten Papierfetzen bastelt er Nebelschleier und alte Bäume, die zum Erlkönig und seinen tanzenden Töchtern werden. Diese Materialien regen die Fantasie an und wirken oft gruselig. Indem Thiele auf seinen Bildern dünne Wände wie Kulissen arrangiert und des Erlkönigs Mutter in der Pose einer Diva zeigt, wird das Unheimliche performativ: alles bloß Theater!? Nach dem Schrecken der letzten Gedichtzeile – „In seinen Armen das Kind war tot“ – hat Thiele noch ein Schlussbild angefügt: Der Junge steht am Strand, vor ihm ein azurblaues Meer mit Wolken, auf denen fröhliche Kinder sitzen. Ein Mädchen in Rüschenkleid wirft ihm einen Ball zu. Potter-Faktor: 4
Wissensdurst: Ob der Junge am Ende im Himmel oder im Reich der Fantasie angekommen ist, wissen wir nicht. Aber Thieles Schlussbild lässt mehr Hoffnung zu als Goethes Ballade. Goethe hat in der Gestalt des Jungen die Welt der Fantasie gegen die nüchterne Vernunft des Vaters gesetzt. Auf die Folie der 225 Jahre alten Ballade zeichnet Thiele seine Botschaft: Bilderbücher sollten keine künstliche Welt fernab jeder Lebensrealität vorgaukeln, sondern auf symbolische Weise Konflikte ansprechen. Das Potenzial von Bilderbüchern besteht darin, dass Erwachsene mit Kindern ins Gespräch kommen können. Gelingt es einem Illustrator, kindliche Vorstellungswelten und Gefühle zu berühren, können Gespräche zwischen Erwachsenen und Kindern möglich werden, für die sonst Zeit und Worte fehlen. Pisa-Faktor: 4
Ein besonderes Bilderbuch für Kinder und Erwachsene! Wildeisen-Punkte: 4
(Sarah Wildeisen, Rezension in der taz Nr. 8516 vom 27. Februar 2008, S. 18)
https://taz.de/!855976/
Lukas Bärwald: In seinen Armen
Goethes Erlkönig in fantastischen Konturen.
In einem Vortrag aus dem Jahr 1994 forderte der Bilderbuchforscher und seit einigen Jahren auch selbst als Autor und Illustrator tätige Jens Thiele „gebrochene ästhetische Formen“, um glaubhaft Realität im Bilderbuch vermitteln zu können. Eine gebrochene Naturwahrnehmung von Vater und Sohn führt dagegen in Goethes Ballade ins Zentrum der Katastrophe. Zwei Brüche in der sonstigen Harmonie und Einheit des Erzählens, die im Zusammenspiel einen Einblick in die Tiefen einer fantastischen Realität ermöglichen.
Risskanten und Konturen collagierter Foto- und Zeichnungselemente durchziehen und umrahmen eine nächtliche Landschaft, durch die sich Vater und Sohn bewegen. Und schon bricht in schemenhaften Formen das Unheil mit brennender Krone und Augen aus verschlungenen Erlenästen in die Szenerie: „Siehst Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? – Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“
Fragmentarische Stilmittel
Während der Junge nach und nach den Verführungen des dämonischen Naturgeists ausgesetzt ist, stoßen seine Hilfe suchenden Rufe auf verständnislose Ohren. In den Versprechungen des Erlkönigs vermeint der Vater das Säuseln der Blätter im Wind zu erkennen und auch die tanzenden Töchter des Verführers scheinen nichts anderes als alte Weiden zu sein. Die einzelnen Seiten setzen sich aus bruchstückhaft einander überlappenden Zeichnungselementen und wie Projektionsflächen verwendeten Fotoausschnitten zusammen. Jens Thiele stellt diese fragmentarischen Stilmittel unmittelbar nebeneinander und verwendet sie als Symbol des aufgebrochenen Verhältnisses von Fiktion und Realität, von Einbildungskraft und einem vernunftgeleiteten Verständnis der Wirklichkeit. Das Ende des gegenseitigen Missverstehens ist bekannt und tragisch: „Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind, Er hält in den Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.“
Doch Thiele setzt diesem düsteren Ende ein textfreies Bild der Hoffnung entgegen. Ein Ausblick, was den Jungen nach dem Übergang in das Reich des Erlkönigs erwartet, illustriert mit erkennbar harmonischerer Farb- und Flächengestaltung, die eine Beruhigung nach der getriebenen Flucht vor den zunehmenden Verführungsversuchen bedeutet.
Text und Bild verzahnen sich und schaffen ein bewusst irritierendes Bilderbuch, an dessen Ecken und Kanten sich die Gedanken von literarisch interessierten Jugendlichen und Sammler/inne/n außergewöhnlicher Bücher brechen sollen, um dadurch in dessen inhaltliche Tiefen vorzudringen.
(Lukas Bärwald, Rezension erschienen in der Furche #46/2007)
Christina Gastager-Repolust: Ein Klassiker wird durch kunstvolle Montagen wieder aktuell.
„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ – kaum hört man den Beginn dieser Ballade, ist die Geschichte des Vaters mit seinem Kind auf dem Pferde als kleines Kino im Kopf sofort präsent. Der Verlag Bibliothek der Provinz stellt den eigenen Phantasien die Collagen von Jens Thiele zur Seite und macht damit den Text beinahe zur Nebensache. Fasziniert folgt man dem Muster- und Materialienmix, der Reiter, Pferd, Umgebung und das zu schützende Kind ins Zentrum stellt.
Allen Bibliotheken – besonders auch Schulbibliotheken – sehr zu empfehlen: Hier zeigt die Illustration, welche Andeutungen und Leerstellen in Goethes Ballade aus dem Jahre 1782 versteckt sind. Das Bilderbuch gibt Anregungen, die Ballade mehrmals zu lesen, zu interpretieren und die Grenze zwischen Sicherheit, Geborgenheit und Gefahr neu zu definieren: über den Text, über die Illustration und über die eigene Kreativität.
(Christina Gastager-Repolust, Rezension für: bn.bibliotheksnachrichten)
https://www.biblio.at/rezonline/ajax.php?action=rezension&medid=55372&rezid=28227
Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur: [Rezension]
Das auf der berühmten Ballade basierende Bilderbuch wählt einen freien und künstlerisch ambitionierten Zugang, der sich weit ab von den üblichen Vermittlungsbemühungen bewegt. An die Stelle gelangweilter Deklamation im schulischen Kontext setzt der deutsche Künstler Jens Thiele in seiner bildnerischen Inszenierung des unheilvollen Textes auf einen opulenten Muster- und Materialmix. Seine düster wirkenden Collagen, deren Fokus auf den Gesichtern der Reisenden liegt, wirken durch den Kontrast von hellen und dunklen Flächen gespenstisch bis bedrohlich und greifen in ihrer materiellen Beschaffenheit die innere Zerrissenheit der in der Ballade auftretenden Figuren auf.
Angst, Schmerz, Begehren, Abscheu und Hilflosigkeit sind den Gesichtern deutlich eingeschrieben; Erschütterung und zunehmende Verzweiflung treiben die Verse ebenso wie die Bilder Doppelseite für Doppelseite voran und steuern damit unausweichlich auf das brutale Ende des Textes zu: „In seinen Armen das Kind war tot.“
(Rezension für: STUBE. Studien- und Beratungsstelle für Kinder- Jugendliteratur)