Emmerich
Roman
Norbert Kaip
ISBN: 978-3-85252-268-5
21 x 15 cm, 118 S.
15,00 €
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Kurzbeschreibung
Nach einer durcharbeiteten Nacht liegt Emmerich wie immer allein in seinem Bett. Dieses Bett wäre groß genug für zwei, aber Emmerich zieht es vor, allein zu leben und allein zu schlafen. Allein in seinem kleinen gemieteten Haus, sehr bescheidene neunzig Quadratmeter, sehr unbescheidene achttausend Schilling Miete monatlich, aber ruhig gelegen, am Ortsrand, wo der Blick frei über die Felder schweifen kann, hin zum Wald, dessen Geräusche und Überraschungen Emmerich über alles liebt. Ist es nicht herrlich, abends, kurz bevor die Sonne untergeht, auf der kleinen Terrasse zu sitzen, dem Rauschen der Bäume, dem Vogelgezwitscher zuzuhören, entspannt, ruhig, kein Computer, kein Telefon stört, und plötzlich teilt sich das Unterholz, einige Hasen, manchmal sogar ein kleines Rudel Rehe, verlassen den Wald, hungrig, vorsichtig, um im Feld ihren Hunger zu stillen. Das sind die Momente, die Emmerich genießt, und ein Glas Rotwein, eine gute Pfeife machen den Abend perfekt.
Leider gibt es, findet Emmerich, nicht genügend ruhige Abende. Emmerich verdient seinen Lebensunterhalt damit, in einer großen Firma den Computern mitzuteilen, was sie wann wie zu tun haben. Er nennt sich selbst Programmierer – Computerheini sagen die Kollegen, die nichts mit Computern zu tun haben, abfällig zu ihm. Sie haben leicht lachen, die Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen: Sie sind wer, sie sind angesehen beim Chef. Die Verkäufer bringen das Geschäft und somit den Gewinn, sagt der Chef, die Einkäufer helfen der Firma sparen, sagt der Chef, die Sekretärin bringt Ruhe und Ordnung und Glanz in die Direktionsetage, die Buchhalter bescheißen das Finanzamt, und das ist gut so, nur die EDV-Fritzen, sagt der Chef, leisten nichts, im Gegenteil, sie kosten nur, aber man braucht sie eben, weil eine Firma ohne EDV nicht mehr modern ist, und außerdem, das bißchen Buchhaltung, das bißchen Statistik, das bißchen Korrespondenz, das hat doch vorher auch geklappt, ohne den Blechtrottel, der vor sich hin surrt und keinesfalls Arbeit erspart, sagt der Chef. Ein Prestige-Objekt, großer Monitor auf dem Chef-Schreibtisch, es schaut ja keiner hinein in den Kasten, aber dekorativ ist er schon, besonders, wenn Geschäftspartner oder die Leute von seiner Hausbank mal persönlich zum Chef kommen.
Gestern hat Emmerich einen Koffer voll Arbeit mit nach Hause genommen, Arbeit, die während der normalen Dienstzeit einfach nicht gemacht werden kann, wenn ununterbrochen dieses blöde Telefon läutet, wie kann man sich da konzentrieren? Und so ist Emmerich statt auf seiner geliebten Terrasse in seinem Wohnzimmer gesessen und die Hex-Dumps des letzten Programms durchgegangen, um diesen winzig kleinen Fehler zu finden, der zu einem Dauerloop führt, so daß das Programm nur mit Gewalt beendet werden kann. Mit brennenden Augen und rauchendem Schädel hat Emmerich kurz nach zwei Uhr morgens die Suche aufgegeben. Er braucht seine fünf Stunden Schlaf, besser sechs, aber wenn sich Emmerich in ein Problem verbeißt, kann er ja doch nicht schlafen. Er hat sein Diktaphon griffbereit neben das Bett gelegt – falls er in der Nacht aufwacht, weil er glaubt, im Schlaf eine Lösung gefunden zu haben, dann kann er die Idee einfach aufnehmen, ohne das Licht aufdrehen zu müssen. Im Moment jedoch schläft Emmerich noch tief und fest und träumt irgendwas, woran er sich später nicht mehr erinnert, was ihn aber nicht weiter stört, denn Träume sind Schäume, und wer zuviel träumt, den bestraft das wirkliche Leben.
Das wirkliche Leben meldet sich in Form eines ekelhaften elektronisch erzeugten Piepstones, den der Wecker von sich gibt, und Emmerich tastet schlaftrunken nach dem Knopf, der dieses Geräusch zum Schweigen bringt. Es ist schön, jetzt noch einige Minuten dahindösen zu können, der Wecker ist um zehn Minuten zu früh gestellt, schließlich muß man sich nicht schon morgens unnötig stressen, findet Emmerich und hat zur Vorsicht einen zweiten Wecker, ein altertümliches mechanisches Ungeheuer mit Doppel-Läutwerk, aufgestellt, auf einen alten Porzellanteller außerhalb seiner Reichweite, um gezwungen zu sein, auch wirklich aufzustehen, um dieses infernalische Gebimmel abzustellen. Heute hat der zweite Wecker keine Chance, Emmerichs Ohr zu terrorisieren, denn Emmerich steht schon auf. Sein Körper bewegt sich Richtung Küche. Der Wecker mit dem Doppel-Läutwerk bekommt im Vorbeigehen einen Schlag mit der flachen Hand, damit er nicht in Versuchung gerät, doch noch zu läuten, schließlich werden seine Dienste heute nicht mehr benötigt. Emmerichs Geist, seine Gedanken versuchen seinen Körper einzuholen, während er in die Küche trottet.