Du musst verstehen
Eine Kriegsehe · Roman
Marion Jerschowa
ISBN: 978-3-85252-818-2
21,5×12,5 cm, 224 Seiten, Hardcover
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Kurzbeschreibung
»Die Vergangenheit ist ein weites Feld, und je tiefer du darin schürfst, um so mehr wird zur Gewißheit, auf welch trügerischem Grund der Mensch das Haus seiner Überzeugung baut – ob in der Liebe oder in der Politik …«
Am Ende ihres von Kriegs- und Nachkriegszeit überschatteten, von kurzer Euphorie und langer Enttäuschung geprägten gemeinsamen Weges versuchen zwei Menschen, noch einmal das Gespräch aufzunehmen. Sie eine selbstbewußte alte Dame, die hartnäckig gegen ihre schwere Krankheit kämpft, er ein ehemaliger Offizier der deutschen Luftwaffe. Aus dieser Konstellation ergibt sich eine vielschichtige Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, in deren Mittelpunkt durchgehend die Frage steht: Wie weit trägt der einzelne selbst die Verantwortung für das, was geschah und damit auch für das, was sich daraus entwickelt hat? Was war Verfehlung, was Mißverständnis?
Rezensionen
Anton Hiersche: Eine kriegsversehrte EheMarion Jerschowa und die Forderung „Du musst verstehen“
Das ist das Leben Sophies und Xavers, zweier junger Menschen im Österreich nach 1930: Sie verlieben sich, hei raten kurz vor Kriegsausbruch, werden durch Krieg und Gefangenschaft für lange Jahre getrennt, finden endlich wieder zusammen, doch da, als Frieden und bescheidener Wohlstand ihr Glück vollkommen machen könnte, wird durch eine plötzliche Erkrankung der jungen Frau und eine im Krieg erlebte flüchtige Liebesaffäre des Mannes die Ehe auf Dauer schwer erschüttert. Das zunächst nicht außergewöhnlich erscheinende Schicksal der beiden, durchweg in der Rückblende, die immer vom Wissen um das Vorgefallene überschattet ist, dargeboten, entwickelt sich vor dem Leser nach und nach als eine bittere, auch tragische Geschichte. Xaver lässt vom Sterbebett aus sein Leben Revue passieren, während Sophie, von einer Kinderlähmung zur Bewegungsunfähigkeit verdammt, dadurch extrem misstrauisch geworden, versucht, ihre tiefe Kränkung endlich zu verwinden. Erlebte Rede, innere Monologe und Brieftexte wechseln einander ab, machen das Lesen spannend, vermitteln Authentizität.
Beide erleben in der Erinnerung so noch einmal die glücklichen wie schwierigen Phasen ihrer Ehe, beide bemühen sich, den anderen besser zu erkennen, jeder versucht, die Mahnung, dass man auch das Unerwartete, zutiefst Verletzende verstehen müsse, endlich zu beherzigen. Wiewohl die Erzählerin beiden Figuren Gerechtigkeit widerfahren lassen möchte, um Verständnis für beider Haltung wirbt, geht für den Leser von Sophie die stärkere Wirkung aus. Sie wird anfangs als junge, kapriziöse Person geschildert, die wie ein Wirbelwind durch die Welt fegt, ihren Spott mit den Leuten treibt, mit erstaunlicher Leichtigkeit Sprachen lernt und sich in französisch, englisch und italienisch gewählt ausdrücken kann. Ihren Liebsten treibt sie durch ihren Charme wie durch ihre Launenhaftigkeit an den Rand der Verzweiflung. Dann erleben wir sie als Mutter, allein mit ihren zwei kleinen Mädchen im Krieg, nachher als Angestellte bei der britischen Besatzungsmacht, als deren Inhaftierte auch, und schließlich erschüttert sie uns als »vierbeinige Frau», als eine Beingelähmte mit zwei Krücken, im Ringen um ihre Selbstbehauptung – jeder Schritt ein Kampf wider die physische Erdschwere wie auch das psychische Niedergedrücktsein.
Die Handlung ist, wie es der Untertitel des Romans »Eine Kriegsehe« andeutet, mit dem Zeitgeschehen eng verwoben, ja, der Konflikt der Hauptakteure resultiert letztlich aus dem Krieg. Ihre Ehe ist, um es mit einem etwas altmodisch wirkenden Adjektiv auszudrücken, kriegsversehrt. Die Autorin erspart in ihren Bildern von dieser Zeit uns wie vor allem den Lesern in Österreich nichts. Die an Hysterie grenzende Begeisterung für den Mann aus Braunau, die das Land an der Donau 1938 erfasste, fegte alle Bedenken und Warnungen buchstäblich hinweg: Auch Sophie und Xaver werden von diesem Sog erfasst. Xaver wird ein hoher Offizier der Luftwaffe. Viele Szenen des Krieges sind aus seiner Perspektive geschildert, wobei mitunter die kritische Distanz der Erzählerin zu dieser personalen Sicht kaum noch auszumachen ist. Am Ende dann für alle die Ernüchterung. Im April 1945 wusste man im Lande nicht, wie man sich verhalten sollte – »nochdeutsch oder schonwiederösterreichisch«, doch kaum hatte sich »die Kapitulation herumgesprochen, schlug das Herz der Einheimischen auch schon im rotweißroten Dreivierteltakt«.
Marion Jerschowa, promovierte Slawistin, Kulturpreisträgerin der Stadt Linz, hat mit ihren in den 90er Jahren im Styria-Verlag edierten Werken »Honigland-Bitterland« und »Wind aus Ost«, worin sie Erfahrungen aus elf Jahren Aufenthalt im Moskau der Sowjetzeit literarisch verarbeitet, erstmals auf sich aufmerksam gemacht. Ihr neues Buch weist sie wiederum als Künstlerin aus, deren Prosa durch einen dramatischem Duktus, aber auch durch ihren untergründigen Humor den Leser in ihren Bann zieht.
(Anton Hiersche, Rezension in Neues Deutschland vom 12. Juni 2008)
Svetová literatúra: [Rezension]
Je mehr Zeit seit Kriegsende vergangen ist, umso größere Aufmerksamkeit widmet die Literatur individuellen menschlichen Schicksalen, die sich im Hintergrund ereignet haben. Seit kurzem bemühen sich deutsche Schriftsteller, ihre Familiengeschichte zu rekonstruieren, besonders die Fronterlebnisse der Väter, und das sogar mit dem Risiko, daß sie dabei auf unangenehme Wahrheiten stoßen (natürlich erscheinen diese Werke nicht zufällig erst nach dem Tod der Protagonisten). Im Roman „Du musst verstehen“ (2007) mit dem Untertitel „Eine Kriegsehe“ unternahm es die österreichische Schriftstellerin und Russisch-Übersetzerin Marion Jerschowa (1943) darzustellen, wie sich das Zusammenleben ihrer Eltern entwickelte und welche Peripetien es durchmachte. Den Rahmen bilden die unruhevollen historischen Ereignisse, den Inhalt jedoch die Darstellung der Beziehung der beiden, der es allerdings nicht beschieden war, sich voll zu entfalten, sie entwickelt sich vielmehr vorwiegend auf der Ebene der individuellen Reflexion.
Zwischen den Protagonisten mit den Roman-Namen Sophie und Xaver entflammt zu Beginn eine Leidenschaft, die sich, wenn man die Zeit, die Mitte der 30er Jahre, bedenkt, dazu noch das konservative Österreich, nahezu am Rande kleinbürgerlicher Konventionen und des gerade noch Erlaubten bewegt. Trotz des vielversprechenden Anfangs gönnen ihnen die Umstände jedoch nicht, ihre Pläne Wirklichkeit werden zu lassen. Als sie kurz vor Ausbruch des Krieges heiraten, ahnen sie nicht, in welchem Maße ihr weiters Geschick von den auf sie zukommenden Ereignissen und den langen Jahren der Trennung bestimmt wird.
Sophie ist entschlossen, ein interessantes Leben zu führen, konsequent nach ihren eigenen Vorstellungen, sie will darüber eigenständig entscheiden, Xaver, beherrscht von der Leidenschaft zu fliegen, konzentriert sich hingegen stark auf seine militärische Karriere. Als eher unpolitischer Mensch hat er keine Gewissensbisse, obwohl er seine Fähigkeiten in den Dienst eines verbrecherischen Regimes stellt, er bedenkt nicht, welches Verderben die Bomben anrichten, die aus seinem Flugzeug abgeworfen werden.
Einfacher wird das Leben auch nach dem Krieg nicht, als Xaver sich in amerikanischer Kriegsgefangenschaft befindet, während seine Frau von den Engländern wegen einer Sache verhaftet wird, die unserer Auffassung nach höchst geringfügig ist. Im weiteren wird ihr Zusammenleben gründlich von einer Krise geprägt, zu der es infolge der Untreue des Mannes und dessen unehelichen Kindes kommt.
Schließlich verlief auch das Leben der Schriftstellerin (1943) nicht in normalen Bahnen. Im heimatlichen Wien begann sie Slawistik zu studieren, um dann 1967 nach Moskau zu gehen. Aus dem ursprünglich einjährigen Aufenthalt kehrte sie jedoch erst 1978 zurück, als auch ihr russischer Gatte und ihre Familie die Ausreiseerlaubnis erhalten hatten. In der Sowjetunion hatte sie russische Literatur übersetzt und für westliche Firmen gearbeitet, nach der Rückkehr in die Heimat gab sie Russischunterricht an der Universität in Linz und übersetzte für Firmen, die mit dem Osten Handel trieben. Sie schreibt Literatur (die Rezension des Romans „Luftschlösser und Eispaläste“ erschien in der „Revue der Weltliteratur“ in Nr. 3/1997), daneben entwickelt sie verschiedene Projekte in Zusammenarbeit mit Künstlern der ehemaligen kommunistischen Länder, 1995 würdigte die Stadt Linz ihre künstlerische Leistung.
Gemäß den Regeln des gewählten Genres hält sich die Autorin nicht streng an die Realität, so daß sie den Figuren, besser den Protagonisten, wie sie im Nachwort äußert, „so manche Wesenszüge und Motivationen unterstellt, die nicht den Tatsachen entsprechen“. Trotz der zahlreichen Zitate aus der Korrespondenz und den Tagebüchern ist das Ergebnis nicht etwa dokumentarische Prosa. Das emotionale Engagement für das Schicksal der Protagonisten, besonders der Sophie, die Kenntnis der Details verbietet von Anfang an nachgerade die Annahme, daß die Erzählerin zu ihnen keinerlei Beziehungen hätte. Ziemlich bald identifizieren wir sie mit der Figur der Melanie, so wie wir sie auch bewundern wegen ihrer erstaunlichen Kenntnisse der Fliegerei und des Militärs, die sie sich durch gründliche Recherchen angeeignet hat.
Am Ende ihres gemeinsamen Weges versuchen Sophie und Xaver schließlich, die Spannungen zu überwinden, die beide gleichermaßen bedrücken, ein Gespräch zu beginnen, aber auch eine Antwort auf die Frage zu finden, inwieweit das Individuum Verantwortung für das trägt, was geschehen ist, und auch für das, was daraus folgte. „Die Vergangenheit ist ein weites Feld, und je tiefer man darin gräbt, um so größer wird die Gewissheit, auf welch unsicherem Fundament der Mensch das Haus seiner Überzeugungen baut – sowohl in der Liebe als auch in der Politik.“ Aber auch jetzt vermögen sie keine ehrliche Haltung zur Vergangenheit einzunehmen, obgleich davon ihre weitere Existenz abhängen könnte. Sie hätten auch über die unterschiedlichen Forderungen sprechen müssen, die sie an das Leben stellen, über die verschiedenen Erwartungen.
Der Roman der Jerschowa zeigt, wie die Epoche, der Krieg und die Rücksicht auf die Konventionen, aber auch die Unfähigkeit zur Selbstreflexion und zur Kommunikation bis in die intime Sphäre hinein wirkt. Eine private Geschichte von hoher Allgemeingültigkeit – wie schließlich aus dem Mosaik menschlicher Einzelschicksale ein großartiges Zeugnis der Geschichte entsteht.
(Rezension in: Svetová literatúra #4/2008. Dte. Übersetzung: Ľudovít Petraško)