Die Wiener Schule der Nationalökonomie
Eine Geschichte ihrer Ideen, Vertreter und Institutionen
Eugen Maria Schulak, Herbert Unterköfler
edition seidengasse: Enzyklopädie des Wiener WissensISBN: 978-3-902416-17-9
21×15 cm, 256 Seiten, Hardcover
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Kurzbeschreibung
Die Wiener Schule der Nationalökonomie wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von Carl Menger in Wien begründet und stellt eine bis heute lebendige Lehrtradition dar. Sie nahm maßgeblichen Einfluss auf die Ausbildung und Entwicklung der modernen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Europa, Japan und in den USA. Ihr Forschungsprogramm war von einer erstaunlichen Vielfalt und von durchaus unterschiedlichen Schlussfolgerungen geprägt. Geeint wurden etwa 40 Ökonomen vor allem durch die Überzeugung, dass hinter dem wirtschaftlichen Geschehen als maßgebender Akteur ein subjektiv empfindendes, wertendes und handelndes Individuum steht. Im Rahmen der Wiener Schule wurden bahnbrechende Studien zu wirtschaftlichen Phänomenen wie Wert, Tausch, Preis, Unternehmergewinn oder Zins entwickelt und nach und nach zu einer umfassenden Geld- und Konjunkturtheorie ausgebaut. Die subjektivistische und individualistische Perspektive der Schule führte zu engagierten Kontroversen mit den Marxisten, der deutschen Historischen Schule und den Vertretern der Planwirtschaft bzw. des Staatsinterventionismus. Bis heute wird diese Tradition – weitgehend als Alternative zum Mainstream – unter dem Namen Modern Austrian School of Economics fortgeführt, unter anderem mit markanten Beiträgen zur Theorie des Geldes, des Kredites und der Finanzmärkte. Ebenso rückten Fragen zum Marktprozess, zum Informations- und Wissensmanagement, zur Rolle des Unternehmertums, zur Wettbewerbs- und Monopoltheorie, zum institutionellen Zwang sowie zu spontanen Ordnungen in den Vordergrund. Der vorliegende Band spürt dieser facettenreichen Tradition, ihren Ideen, ihren Menschen und ihren Institutionen nach.
[edition seidengasse | Enzyklopädie des Wiener Wissens, Bd. VII.
Begründet 2003 u. hrsg. von Hubert Christian Ehalt für die Wiener Vorlesungen, Dialogforum der Stadt Wien.]
Rezensionen
Gérard Bökenkamp: [Rezension]Neben den dominanten neoklassischen Strömungen der Wirtschaftswissenschaft hält sich zäh eine Schule mit großer wissenschaftsgeschichtlicher Tradition, deren Vertreter die staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ablehnen und sich gegen Inflation und das Zentralbank-System aussprechen. Gerade die jüngste Finanzkrise scheint viele ihrer Positionen bestätigt zu haben. Eugen Maria Schulak und Herbert Unterköfler haben eine sehr gut lesbare und für ein breites Publikum verständliche Darstellung der Geschichte und der zentralen Ideen dieser „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ vorgelegt.
Die Kapitel stellen entweder eine Person oder eine Personengruppe oder eine theoretische Position der Wiener Nationalökonomen in den Mittelpunkt. Diese Mischung aus Sammelbiographie und Ideengeschichte ist für ein Einführungswerk glücklich gewählt. Es handelt sich nicht um eine trockene Dogmengeschichte, sondern um ein Buch das Einblicke in Leben und wissenschaftlichen Werdegang der Ökonomen, ihre Ideen und die Abhängigkeit ihres akademischen Erfolgs vom Wissenschaftsbetrieb und historischen Umständen ermöglicht.
Der Band beginnt mit der Beschreibung Wiens im 19. Jahrhunderts, der Entstehung der Nationalökonomie als eigenständiger Disziplin zu dieser Zeit und mit Carl Menger, der vor diesem Hintergrund zum Begründer der neuen ökonomischen Schule wurde. Mengers Revolution des ökonomischen Denkens liegt in der Entdeckung des „subjektiven“ Wertes, die er in seinem 1871 veröffentlichten Buch „Die Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ ausarbeitete. Danach sind Preise nicht der Ausdruck von Produktions- und Arbeitskosten, wie bis dahin allgemein angenommen, sondern des subjektiven Nutzens, den der einzelne diesem Gut zuschreibt.
Menger gewann mit seinen Schülern großen Einfluss auf die Nationalökonomie in der Donaumonarchie, wodurch sich ein Graben zur Nationalökonomie im Deutschen Reich auftat. Diese wurde von Gustav Schmollers „Historischer Schule“ bestimmt, die die Suche nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten in der Wirtschaft zu Gunsten einzelhistorischer Forschungen und der Erarbeitung sozialpolitischer Programme ablehnte. Zwischen Schmoller und Menger kam es aufgrund dieses Gegensatzes zum sogenannten „Methodenstreit“, der neben der inhaltlichen Debatte auch persönliche Polemik zwischen den Protagonisten einschloss.
Mengers Schüler wandten den Ansatz auf andere Bereiche an. Der Ökonom Böhm-Bawerk, der österreichischer Finanzminister wurde, übertrug die subjektive Wertlehre auf die Zinstheorie. Der Zins sei der Ausdruck unterschiedlicher subjektiver Zeitpräferenzen. Ludwig von Mises erarbeitete ein Konjunkturmodell, das in der inflationären Ausweitung der Geldmenge die Ursache von Boomphasen und der anschließenden Depression erfasste. Die Kritik am Marxismus, Sozialismus und zentraler Lenkung war ebenfalls eines der wichtigen Themenfelder, die von der Österreichischen Schule bearbeitet wurden. Nach Böhm-Bawerks Kritik am Marxismus, wies von Mises in seiner „Gemeinwirtschaft“ auf das Kalkulationsproblem im Sozialismus hin: Wo der freie Markt fehle, gäbe es keine Preisbildung und ohne Preisbildung keine Wirtschaftsrechnung.
Die Österreicher standen auch der von der Neoklassik entwickelten Vorstellung eines „Gleichgewichts“ auf dem Markt skeptisch gegenüber und lehnten in ihrer Mehrheit statisch-mathematische Modelle ab. Sie betonten hingegen die Bedeutung der Faktoren Zeit und Unsicherheit und die zentrale Rolle des Unternehmers als Antreiber wirtschaftlicher Dynamik. Joseph Schumpeter stand mit seiner Vorstellung von der „schöpferischen Zerstörung“ und seiner berühmten Beschreibung der Unternehmerpersönlichkeit in der Tradition der Österreichischen Schule, auch wenn er sonst einen sehr individuellen Weg mit Berührungspunkten zum Sozialismus beschritt.
Während einige Vertreter der Schule, wie Ludwig von Mises, die subjektive Wertlehre eng mit den Prinzipien des Liberalismus in Verbindung brachte, lehnten andere diese politischen Konsequenzen ab. Wohl auch deshalb, weil die Menger-Schule eine enge Verbindung mit den Institutionen der Habsburger Monarchie eingegangen war, was zu viel Staatskritik nicht unbedingt als opportun erscheinen ließ. Ihre Vertreter waren leitende Beamte, sogar Minister und dominierten am Vorabend des Ersten Weltkrieges die akademische Lehre. Es gehört zu den Ironien der Geschichte, dass die Subjektive Ökonomie den Höhepunkt ihres Einflusses erreichte, als der Erste Weltkrieg ausbrach, und die Protagonisten dezentraler Märkte Positionen in der Zentralplanung der Kriegswirtschaft einnehmen mussten.
Ludwig von Mises wurde nach dem Ersten Weltkrieg durch sein Privatseminar in der Handelskammer in Wien zur zentralen Figur und zum Motor der Erneuerung der Österreichischen Schule. Gemeinsam mit Friedrich August von Hayek gründete er das Institut für Konjunkturforschung. Die Konzentration auf außeruniversitäre Aktivitäten war notwendig geworden, weil die Menger-Schule nach dem Zusammenbruch der Habsburgmonarchie im universitären Bereich Boden verloren hatte. Unter den neuen Bedingungen erreichte die Schule neuen Glanz. In den dreißiger Jahren geriet die Schule dann in Folge der politischen Umwälzungen in Österreich und des schließlichen Anschlusses 1938 an Hitler-Deutschland unter die Räder der Geschichte. Für die meisten Vertreter hieß dies Lehrverbot oder Exil.
Während eine größere Zahl von österreichischen Ökonomen sich im Ausland auf den neoklassischen Trend hin bewegte, blieben Ludwig von Mises und von Hayek ihrer Linie treu. Hayek verließ allerdings mit seinem Buch „Der Weg in die Knechtschaft“ den eng gesteckten Rahmen der Ökonomie und erweiterte sein Themenspektrum um Rechtsphilosophie, Kulturgeschichte und Psychologie und führte mit dem Begriff der „spontanen Ordnung“ die kulturelle Evolution in das Österreichische Gedankengebäude ein. Durch die Gründung der Mont Pelerin Society, brachte Hayek führende liberale Denker verschiedner Strömungen zusammen. Im Jahr 1974 erhielt er zusammen mit dem schwedischen Ökonomen Gunnar Myrdal den Wirtschafts-Nobelpreis.
In den USA erlebte die Österreichische Schule seit den siebziger Jahren eine Wiederauferstehung. Ludwig von Mises hatte in New York erneut einen Kreis von Schülern um sich gesammelt, zu denen Israel Kirzner und vor allem Murray Rothbard gehörten. Sein Buch „Human Action“, das er 1949 publizierte, wurde ein großer Erfolg. Obwohl Ludwig von Mises den Anarchismus ablehnte, wurde er im Amerika zum Idol der mit dem Anarchismus sympathisierenden staatskritischen „Libertarians“. In vielen anderen Ländern gibt es Lehrstühle oder wenigstens Anhänger im akademischen und publizistischen Bereich.
Die Autoren beschreiben die aktuelle Lage der Österreichischen Schule so: „An der Wende zum dritten Jahrtausend sind die Austrians stärker denn je zuvor bemüht, den Dialog mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream zu intensivieren, Verbündete über Grenzen hinweg zu suchen, sowie sich öffentlichkeitswirksam an ein interessiertes Fachpublikum zu wenden.“ Mit diesem Buch haben Schulak und Unterköfler den Zugang zum Denken der Österreichischen Schule für viele Leser ein wenig leichter gemacht.
(Gérard Bökenkamp, Rezension in: Denken für die Freiheit. Blog des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, online veröffentlicht am 21. April 2010)