Das Land der Stille
Waldviertel
Barbara Krobath, Mella Waldstein
ISBN: 978-3-85252-253-1
24,5 x 30 cm, 96 Seiten, zahlr. farb. Abb., Hardcover, Leinen m. Schutzumschl.
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Kurzbeschreibung
Die Fotografin betrachtet das Land nicht von außen. Es ist nicht der Blick eines Fremden, eines Städters, eines Voyeurs. Es ist der Blick einer Staunenden. Jeder Grashalm ist ein Wunder. Barbara Krobath will diese Wunder einfangen. Sie portraitiert Landschaftsstimmungen, die ohne Pathos sind. Es gibt viel Liebe fürs Detail, doch ohne Schnörksel. Die Menschenbilder sind keine gekünstelten Darstellungen. Es sind beiläufige Alltagsszenen, die mit Aufmerksamkeit festgehalten werden. Der begleitende Text von Mella Waldstein vermittelt Streiflichter einer Landschaft, deren Vielfältigkeit, ja Gegensätzlichkeit schwer zu fassen ist.
RAUHE STEINE, WEICHE KNÖDEL
Kirschen glühen. Die Sonne brennt die Feldwege aus und der junge Roggen riecht nach Sommer. Oben auf den Hügelkuppen stehen kleine Wälder und unten verkriechen sich die Dörfer. Herb ist die Schönheit, nicht plakativ, nicht vordergründig. Apart sind die Landschaftswellen, die gemächlich in den Horizont rollen, mit den kleinen Äckern drauf, die sich hügelauf- und hügelabwärts biegen. Die glatten, dunklen Granitsteine liegen wie Faustschläge auf weichen Wiesen.
Ich atme diese kleine Traurigkeit und den Duft des jungen Sommers tief ein. Auf der Suche nach einem Haus finde ich eines am Rande des Dorfes mit einem barocken Schwung über der Hofeinfahrt. Im Garten blühen wilde Lupinen und der Zaun lehnt sich altersschwach ins dichte Gras. Verführerisch stehen die Fenster offen und die blaue Schablonenmalerei leuchtet im Nachmittagslicht. Blind vor Liebe schaue ich auf das Sonnentor und übersehe die geborstenen Mauern, die verfaulten Fußböden und die Löcher im Dach. Die alten, verstaubten Palmbuschen, die im Gebälk hängen, sollen vor Blitz und Donner schützen, den Regen abzuhalten sind sie ungeeignet. Alljährlich kam nach der Palmweihe ein neuer Buschen hinzu. Ein lederbespannter Kinderwagen, Spinnräder, Eisenteile liegen auf dem Dachboden. In einer Kammer finde ich Bienenkästen, Rechnungen aus der Reismühle und gerahmte Photographien von Frauen in gestärkten weißen Blusen und Männern im Hochzeitsanzug. Seit Generationen blicken sie staunend in die Kamera und in die Welt.
Im Inneren des Dorfes liegen eine große Wiese und ein kleiner Löschteich. Die Wiese ist weitläufig und in der Mitte neigt sie sich zu einem kleinen Wasserlauf. Das Feuerwehrhaus steht auf diesem Dorfanger ebenso wie die sogenannte »Bude«. Hier trifft sich die Jugend. Ein Garten schießt üppig ins Kraut und die zerfetzten Netze der Fußballtore schaukeln im Wind. Die Häuser rund um die Wiese rücken weit voneinander ab. Man hält Distanz und doch wird hinter den Gardinen alles präzise beobachtet. Großmütter sitzen dahinter und klatschen Fliegen. Patsch. Patsch. Ansonsten liegt das Dorf in einer regungslosen Mittwochnachmittagsverlassenheit da. Die Männer sind zur Arbeit ausgependelt, die Kinder pendeln zwischen elektronischer Unterhaltung und Entdeckungsfahrten auf den Holzblochen. Die Frauen sitzen auf den Traktoren und bewirtschaften die Felder.
Rund um das Dorf reihen sich die dunklen, wettergegerbten Scheunen wie ein bäuerlicher Schutzwall. Hier beginnt das Hintaus, jener Teil des Gartens in dem Zwetschken- und Apfelbäume wachsen. Das Hintaus sind die sanften Übergänge von Dorf zum Feld. Die Hintausstraße führt daran vorbei. Und wenn die Hofeinfahrten oft geschlossen sind und abweisend wirken, so ist der Blick durch die Scheunentore einladend. Hier öffnet sich das Herz der Bauernhöfe, zeigt stolz seine Maschinen und die Sandkiste der Kinder und das Bankerl, auf dem die Großmutter sitzt. Auch mein Haus hat ein Hintaus. Es ist von der Natur zurückerobert worden. Waldrebe schlingt sich um die Balken und die Brennesseln reichen bis hinauf zu den Äpfeln.
Im Wirtshaus hängt an einem großen Nagel ein dicker Stapel Todesnachrichten. Der Hochstätter Heinz über der Maria Heiß, die Anna Murer vor der Ottilie Leeb, der Haslinger Franz, der Kleibicek Adolf und die Maria Manharter obenauf. Nein, die Toten werden hier nicht vergessen und sie sind in der Gaststube der einzige Wandschmuck. Ein Schmetterling fliegt verstört zwischen Plastikblumen. Als unlängst ein Fremder nach dem Menü fragte, hat die Kartenrunde neben ihm schallend gelacht. Hier wird seit Jahren nicht mehr ausgekocht. Das ist das letzte Stadium vor dem endgültigen Sterben des Gasthauses. Zuerst bleibt der Ofen kalt, dann werden auch die Zapfhähne dicht gemacht. Der Gast hat aber trotzdem zu essen bekommen. Einen Fisch aus der Dose und ein paar kräftige Schnitten Brot. Und es hat ihm geschmeckt.