Aurach
Roman
Judith Gruber-Rizy
ISBN: 978-3-85252-418-4
21 x 15 cm, 264 S.
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Kurzbeschreibung
Mein Großvater, sagte Rosas Großmutter, hat den Teufel gesehen. Und ich, sagt Rosa, bin ein Drache, oder richtiger gesagt, eine Drächin. Also hat Rosa Drächin einen Ururgroßvater, der den Teufel gesehen hat. Weil Rosa eine Drächin ist, kann sie sich ihrem Ururgroßvater, der den Teufel gesehen hat, nahe fühlen. Dabei, denkt Rosa, müßte sie sich doch ihrer Ururgroßmutter verbundener fühlen, weil es sich von Frau zu Frau, von Ururenkelin zu Ururgroßmutter, leichter verbindet als von Frau zu Mann, noch dazu von einer solchen Frau, wie Rosa eine ist, zu einem solchen Mann, wie ihr Ururgroßvater einer gewesen sein muß.
Das Problem aber, so jedenfalls sieht es Rosa, die Drächin, ist, daß sie über ihre Ururgroßmutter fast nichts weiß, weil sich die überliefernde Großmutter ganz und gar am teufelssichtigen Ururgroßvater verhängt hat. Erst Rosas Mutter, die zeitweise eine Neigung zum Hexischen gehabt hat, darauf auch stolz war, wenngleich alles nur in aller Heimlichkeit und leider ohne jede Konsequenz, was Rosa enorm bedauert, aber auch erst jetzt, seit sie selbst zur Drächin geworden ist und Himmel und Erde verbinden, sowie fliegen kann, diese leicht hexische Mutter also, hat als erste begonnen, den teufelssichtigen Ururgroßvater, oder von ihrer Warte aus betrachtet den Urgroßvater, etwas aus dem Vordergrund zur Seite zu verschieben, um endlich auch einmal einen, wenn auch einen kleinen und zaghaften Blick auf die hinter dem Ururgroßvater versteckte Ururgroßmutter werfen zu können. Aber es war ein ganz normaler Blick, kein hexischer und schon gar kein drächischer, daher blieben mögliche Himmel-und-Erde-verbindende Eigenschaften von Rosas Ururgroßmutter weiterhin verborgen, und damit die Faszination des teufelssichtigen Ururgroßvaters überragend, selbst für die Drächin Rosa.
Rosa, Rosa, Rosarot, sagte Rosas Mutter, der Großvater deiner Großmutter hat den Teufel gesehen, du kennst die Geschichte, und die Großmutter deiner Großmutter war eine Frau, die alle geliebt haben, vergiß das nie, Rosarot. Natürlich konnte Rosa lange Jahre, ja, viele Jahrzehnte, so tun, als gäbe es diesen, ihren Ururgroßvater nicht, doch es gab ihn, aber erst als Rosa gelernt hatte, Drächin zu sein, konnte sie es zulassen, daß er sich in Rosas Leben drängte. Da hat Rosa irgendwann einmal beschlossen, den Ururgroßvater anzunehmen und sich ihm zu stellen. Denn sich dem teufelssichtigen Ururgroßvater zu stellen, hieß auch, sich der hexischen Mutter stellen zu können, und sich der zu stellen, fiel Rosa, Rosa, Rosarot noch viel schwerer als sich einem unbekannten Ururgroßvater zu stellen. Aus einer Familie zu stammen, in der es einen teufelssichtigen Ururgroßvater gibt, bedeutet für die Drächin Rosa einen Ansatzpunkt zu haben.
Rosa fragt sich nur, wofür dieser Ururgroßvater Ansatzpunkt sein kann und sein soll, denn Rosa, die Drächin, glaubt nicht an den Teufel, glaubte daher auch lange Zeit, ihre gesamte vordrächische Zeit hindurch nämlich, nicht daran, daß dieser Ururgroßvater den Teufel gesehen haben kann, suchte also in Abständen, mit jahrzehntelangen Pausen dazwischen, aber dennoch ihr gesamtes vordrächisches Leben lang, nach Erklärungen dafür, was dieser Ururgroßvater gesehen haben könnte, fand sich dabei in immer neuen Fasterklärungen wieder, die, beeinflußt von den unhexischen Aussagen ihrer Mutter, vor Logik nur so troffen, aber dennoch, oder auch gerade deswegen, Rosa nie wirklich zufriedenstellen konnten. Diesem Ururgroßvater nämlich die Sichtung des Teufels als Produkt seiner von zuviel Schmerzen und zuviel Alkohol verwirrten Phantasie auszutreiben, hieß ja schließlich auch, dem Ururgroßvater von Rosa, Rosa, Rosarot jedwede Einmaligkeit, Unsäglichkeit und Faszination auszutreiben und damit, aber das begriff Rosa erst, als sie gelernt hatte nach ihrem Willen Drächin sein zu können, auch sich selbst die Einmaligkeit, Unsäglichkeit und Faszination zu nehmen, die eben das Wissen um einen teufelssichtigen Ururgroßvater mit sich bringen kann, wenn, ja wenn Rosa diese Art von Einmaligkeit, Unsäglichkeit und Faszination für sich überhaupt haben will. Um das zu wollen mußte Rosa erst Drächin werden, und eine richtige Drächin wiederum konnte sie erst werden, als sie bereit war, sich auf die Einmaligkeit dieses Ururgroßvaters mit seiner Teufelsbegegnung und die hexischen Seiten ihrer Mutter einzulassen. […]