Ausnahmezustand
Jura Soyfers Transit
Alexander Emanuely
edition seidengasse: Enzyklopädie des Wiener WissensISBN: 978-3-99028-184-0
21×15 cm, 280 Seiten, Hardcover
24,00 €
Lieferbar
In den Warenkorb
Leseprobe (PDF)
Kurzbeschreibung
Tragisch genug, dass Jura Soyfer als einer der bedeutendsten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts kaum bekannt, verlegt und gespielt wird, noch tragischer ist der Verlust des Wissens und des Bewusstseins um das Neo-Mittelalter, wie Jura Soyfer seine Zeit in „Geschichtsstunde im Jahre 2035“ nannte, und um jenen Widerstand, dem auch Jura angehört hat, der gegen das mörderisch Mittelaltertümelnde angekämpft hat. Was weiß man noch oder schon über Viktor Grünbaum? Über Marika Szecsi? Über Erich Hubmann, Nikolos Tschcheidse, Grete Groß, John LaTouche, Herbert Berghof, Erich Meller, Georg Weissel? Es geht um ein verlorenes Alltagswissen, welches Grundlage für ein Alltagsdenken und -handeln von heute sein könnte, gerade wenn man im Post-Neo-Mittelalter, in der Welt nach 1945 lebt, einer alles andere als heilen Welt, in der nach wie vor, bzw. erst recht, unzählige „Astorias“ und „Vinetas“, bevölkert von „Lechner Edis“ und von Gedanken an „Weltuntergänge“, das Geschehen prägen …
„Ausnahmezustand – Jura Soyfers Transit“ ist neben Biografie ein kulturhistorischer Abriss jener Zeit, in der Jura Soyfer gelebt hat, ist eine Spurensuche, ein Herantasten an Ereignisse, an Menschen und ihr Handeln, die seiner und unserer Gegenwart angehören und zugleich scheinbar schon längst vergessen worden sind.
Wenn man Jura Soyfers Spuren folgt, findet man welche in Charkow, wo er am 8. Dezember 1912 geboren wurde, findet man die eines kleinen Jungen von sieben, acht Jahren, der mitten in einem brutalen Bürgerkrieg 4.000 Kilometer Flucht zurücklegen musste, findet man Spuren in Georgien, Konstantinopel, und folgt man ihnen weiter, findet man die Spuren eines großen Schriftstellers in Wien, findet man die Spuren eines jungen Mannes, der am 16. Februar 1939 in Buchenwald sterben musste. „Ausnahmezustand – Jura Soyfers Transit“ ist neben Biografie ein kulturhistorischer Abriss jener Zeit, in der Jura Soyfer gelebt hat, ist eine Spurensuche, ein Herantasten an Ereignisse, an Menschen und ihr Handeln, die seiner und unserer Gegenwart angehören und zugleich scheinbar schon längst vergessen worden sind.
Tragisch genug, dass Jura Soyfer als einer der bedeutendsten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts kaum bekannt, verlegt und gespielt wird, noch tragischer ist der Verlust des Wissens und des Bewusstseins um das Neo-Mittelalter, wie Jura Soyfer seine Zeit in „Geschichtsstunde im Jahre 2035“ nannte, und um jenen Widerstand, dem auch Jura angehört hat, der gegen das mörderisch Mittelaltertümelnde angekämpft hat. Was weiß man noch oder schon über die Sozialistischen MittelschülerInnen? Über Viktor Grünbaum? Über Marika Szecsi? Über Erich Hubmann, Nikolos Tschcheidse, Grete Groß, John LaTouche, Herbert Berghof, Erich Meller, Georg Weissel? Und wenn hier von Wissen geschrieben wird, dann nicht vom wissenschaftlichen oder akademischen, sondern vom selbstverständlichen, von einem allgemein verbreiteten Alltagswissen, vergleichbar mit jenem um die Mondlandung oder um den Fall der Berliner Mauer oder um irgendwelche HabsburgerInnen oder Lady Di. Es geht um ein verlorenes Alltagswissen, welches Grundlage für ein Alltagsdenken und -handeln von heute sein könnte, gerade wenn man im Post-Neo-Mittelalter, in der Welt nach 1945 lebt, einer alles andere als heilen Welt, in der nach wie vor, bzw. erst recht, unzählige „Astorias“ und „Vinetas“, bevölkert von „Lechner Edis“ und von Gedanken an „Weltuntergänge“, das Geschehen prägen …
[Enzyklopädisches Stichwort]
[edition seidengasse · Enzyklopädie des Wiener Wissens, Bd. XVIII \
Begründet 2003 und herausgegeben von Hubert Christian Ehalt für die Wiener Vorlesungen, Dialogforum der Stadt Wien]
Rezensionen
Evelyn Adunka: Jura Soyfer gestern und heuteJura Soyfer, der bedeutendste Dramatiker und Lyriker der österreichischen Linken in der Zwischenkriegszeit, starb mit nur 26 Jahren an Typhus im KZ Buchenwald. Er hat ein umfangreiches Werk hinterlassen und blieb auch im Österreich der Nachkriegszeit nicht vergessen. 20 Jahre lang gab es das Jura Soyfer Theater, es gibt eine bis heute aktive Jura Soyfer Gesellschaft; neben Werkausgaben erschien 1987 auch eine umfangreiche Biographie von Horst Jarka.
Heute wird Soyfer aber nur wenig verlegt, gespielt und erinnert, findet Alexander Emanuely, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter der Theodor Kramer Gesellschaft und vorher Mitarbeiter der psychosozialen Ambulanz Esra. Sein eindrucksvolles Buch sollte diesem Umstand wieder Abhilfe verschaffen.
Emanuely stellt in vielen biographischen Skizzen nicht nur Soyfers vergessene Freunde und Mitstreiter vor, über die es, wie er schreibt, noch vieles zu entdecken gab und weiterhin gäbe. Mit Empathie und Akribie rekonstruierte er weiters die Lebenswelt und Lebensumstände der Familie in Charkow in der Ukraine, Juras Geburtsstadt. Der Vater Wladimir Soyfer gehörte zur kommerziellen Elite der Stadt über 200 000 Einwohnern, in der in den zwanziger Jahren 65 000 Juden lebten. Mittelpunkt der Gemeinde war die prunkvolle Choralsynagoge, die als Gebäude überlebte und seit 2003 wieder ihrem ursprünglichen Zweck dient. Vor der russischen Revolution, vor Pogrome und Bürgerkrieg floh die Familie 4000 Kilometer über Georgien und Konstantinopel nach Wien. Hier wurde Wladimir Soyfer wieder kommerziell tätig und 1925 einer der Gründer des Hilfsvereins für russische Juden, der Wohltätigkeitsbälle mit prominenten Künstlern veranstaltete. Der Familie gelang die Flucht in die USA, wo Juras Schwester Tamara 1983 starb.
Das Buch ist in einem wunderbar originellen, komplexen, manchmal ironischen und doch leserfreundlichen Stil geschrieben; assoziationsreich mit Verbindungslinien oft bis zur Gegenwart, ihren Problemen und Zuständen. Die wissenschaftliche Zitierweise, auch der Internetquellen, ist vorbildlich. Ergänzt wird das Buch von einer Chronik. Unter den 18 Bänden der Enzyklopädie des Wiener Wissens, herausgegeben von Hubert Christian Ehalt, ist es sicher eines der gelungensten.
(Evelyn Adunka, Rezension in: David. Jüdische Kulturzeitschrift, Ausgabe 100, 04/2014, S. 100)
https://davidkultur.at/buchrezensionen/jura-soyfer-gestern-und-heute
Konrad Holzer: Ein bemerkenswerter junger Mann
Weil Jura Soyfer kaum oder gar nicht bekannt ist, weil das Wissen und das Bewusstsein um seine Zeit – die 20er- und 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts – verloren gegangen sind, darum hat Alexander Emanuely in seinem Buch „Ausnahmezustand“ versucht, diesen Soyfer, der für ihn zu den bedeutendsten österreichischen Autoren gehört, seine Sprachwut und seinen Sprachwitz noch einmal und wieder einmal in Erinnerung zu rufen und diese Zeit als Verflechtung vieler einzelner Lebensläufe darzustellen.
Emanuely meint, dass es unnötig wäre, nach Horst Jarkas Buch „Jura Soyfer. Leben, Werk, Zeit“ (Löcker 1987) noch eine Biografie zu schreiben. Somit ist „Ausnahmezustand“ ein Gewebe, in dem „Jura Soyfers Transit“ – der Untertitel des Buches – den roten Faden darstellt. Emanuely behauptet und assoziiert, er möchte lieber zu viel aus der Kiste der Geschichte auspacken als zu wenig und weiß selbstironisch, dass er sehr oft vom Hundertsten ins Tausendste kommt. Er gibt das ungebremst weiter, was er den „Effekt des Entdeckens“ nennt, er spürt auf und stellt Verbindungen her, die bis in unsere Zeit reichen. Ganz besonders zeigt der Autor den Antisemitismus auf, wo der überall Soyfer und schon früher seiner Familie begegnet ist. Es hat ihn interessiert, Soyfers Literatur zu dechiffrieren, muss sich daher hin und wieder mit einem „Vielleicht“ oder „Wahrscheinlich“ begnügen, legt ihm auch sein Engagement in den Mund: „So, als wolle der Autor sagen …“ Aus dem breit angelegten, vielfältig gestimmten Zeitbild blitzt dann natürlich auch immer wieder das Werk Soyfers auf. Diese so klug und sorgfältig ausgewählten Zitate – nicht zuletzt die aus den „Liebesstreitbriefwechseln“ – sind es, die dann letztlich auch die Lust wecken, das Ganze kennenzulernen.
Fazit: Ein gelungener Versuch, Jura Soyfer vom akademisch-wissenschaftlichen ins selbstverständliche, allgemein verbreitete Wissen zu bringen.
(Konrad Holzer, Rezension in: Buchkultur, Ausgabe 150A: Österreich Spezial, Herbst 2013, S. 21)