
Stragula
Erzählung
Maria Linschinger (Eliskases)
edition linzISBN: 978-3-85252-442-9
17 x 13 cm, 96 Seiten, Hardcover
€ 13,00 €
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Kurzbeschreibung
Stragula wurde in Notzeiten, als Leinöl und Jute für die Linoleum-Herstellung Mangelware wurden, aus den Grundmaterialien verpresster Wollfilz und Pappe angefertigt. Um den Belag wasserabweisend zu machen, wurde er imprägniert.
Durch das Aufdrucken eines Ölfarbenmusters und mit einem Überzug aus Lack kann man eine Oberflächenschicht erreichen, die mindestens so haltbar ist wie ein auf den Fußboden aufgetragener Anstrich, der zum Schluss lackiert wird.
Solange der Lackanstrich durch entsprechende Pflege erhalten bleibt, ist das Stragula ansehnlich. Tritt man den Lack ab, verschwindet das Druckmuster und die schwarze Filzschicht des Untergrundes erscheint. Durch unsachgemäße Behandlung konnte die Lackschicht bereits auf der Rolle oder beim Verlegen Sprünge bekommen und brechen, dann saugte der Bodenbelag die Feuchtigkeit auf wie Pappendeckel.
Der Alte lehnte die beiden Stöcke an die Regenrinne und trat auf den hölzernen Rost vor der Haustür. Er griff unter den Lederlappen neben dem Türstock und fingerte nach dem Schlüssel. Mit einem leisen Fluch, der ihm half, seine Ungeduld zu meistern, traf er das Schlüsselloch. Gleich hinter der Tür zog er den Hut vom Kopf und warf ihn auf die Ablage. Die Kunstlederjacke hängte er an einen Haken. Sein Blick streifte den Einkaufskorb, in dem ein Zettel lag: BROT HOLEN, die Buchstaben schwungvoll mit Seriphen verziert – seine eigene Schrift. Hatte er bereits Brot geholt? Was war heute für ein Tag? Wie spät war es? Er konnte keine der Fragen beantworten und vergaß sie gleich wieder. Langsam begann der Alte die Wendeltreppe hinaufzusteigen.
Im Erdgeschoß des Hauses, das er allein bewohnte, lag die Werkstatt mit drei Meter fünfzig Raumhöhe. Daher führte eine außergewöhnlich steile Treppe zur Wohnung im ersten Stock. Die Stufen im Zentrum der Treppe waren knapp fünf Zentimeter breit, er achtete darauf, nur außen aufzutreten, wo er mit der ganzen Sohle Platz fand. Der hölzerne Handlauf knarrte, wenn er sich aufstützte. Hatte er hinter sich zugesperrt? Er blieb stehen. Noch einmal hinuntersteigen, um das nachzuprüfen? Nein.
Endlich stand er auf dem Absatz vor der Wohnungstür. Der Drehgriff der Klingel in der Mitte des Türblattes glänzte. Ob die Glocke noch funktionierte? Der Alte berührte den Griff, dann sank seine Hand wieder nach unten. Es hatte keinen Sinn, an der eigenen Tür zu läuten. Er schnaubte durch die Nase und ließ seine Faust auf die Klinke fallen. Das war seine Art, eine Tür zu öffnen. Es knallte, und sie sprang auf. Die Fußgelenke des Alten waren so steif wie seine Knie, er hob die Füße kaum höher als eine Schuhsohle dick war. Das linke Bein zog er ein wenig nach, alle paar Schritte musste er sich an der Wand abstützen, um das Gleichgewicht zu halten. Mit seinem Gehör war auch das Gefühl für die Balance geschwunden. Seine Räume waren still, nur ein nie endendes Sirren, Grillengezirp ähnlich, füllte das Schweigen. Manchmal nahm er es wahr und schüttelte den Kopf, als wollte er ein lästiges Insekt verjagen, manchmal vertrieb er es mit lautem Reden.
Rezensionen
Eva Riebler-Uebleis: Großvaters letzte DingeAus dem Roman „Winterkind“ kennen wir das autobiographische Leben Maria Linschingers der Nachkriegsjahre in der Kesselgasse in einem kleinen Ort Nordtirols. Hier knüpft die Erzählung über den Großvater Heinrich, der Züge ihres 90-jährigen Vaters aus dem Pustertal trägt, an. Der Großvater heiratete eine Ladinische des Gadertales aus der Familie Eliskases, daher das Pseudonym, das Maria Linschinger bis zu diesem Roman für Publikationen verwendete.
„Stragula“ ist nicht nur der bekannte robuste, trittfeste und gemusterte Bodenbelag der Vor- und Nachkriegszeit, sondern auch Handlungsträger. Sprengstoff, der für Terroranschläge der Widerständler der Kriegszeit gedacht war, wird verpackt in eine Rolle Stragula. Da sein Sohn Leo ihn ins Altersheim abschieben und das Haus verkaufen möchte, will der Großvater sich ins Jenseits befördern. Er lässt sein Leben Revue passieren und fragt sich, ob der Mensch denn eine Seele habe. „Manche fanden ihre Seele im Gebetbuch, andere in der Geldtasche. Und er? Hatte er eine Seele? Er hatte sie nie gesucht. was ihm wertvoll erschien, das waren die Berge im Süden, die Täler, die Almen, die Wälder, das Vieh auf der Weide. Wenn er je eine Seele besessen hatte, dann hatte er sie dort zurückgelassen, als er fort musste. Einen verhinderten Bauern hatte ihn Agnes oft genannt. Und es stimmte. hätte er genug Geld beisammen gehabt, damals….“ S. 66.
Stragula ist außerdem ein Synonym für „allgemeingültig“. Jeder hatte damals diesen Belag, auch mein Großvater, genauso wie er Sprengstoff in kleinen Kisten verwahrte, wozu? Für unbestimmte Ziele mit bestimmtem Effekt! Das Leben Heinrichs hat Allgemeingültigkeit, steht für viele Schicksale. Seine Gedanken tauchen dicht und konkret vor den Augen des Lesers auf, erinnern an die Welt unserer Väter und Großväter. Daher hätte ich gerne den nächsten und übernächsten Generationen die Lektüre empfohlen, weil das Buch uns frisch und lebhaft zeigt, wo wir herkommen und damit auch, wo wir hingehen und was aus uns geworden ist.
Laut Maria Linschinger alias Eliskases soll Literatur helfen, sich zu verwirklichen. Eliskases heißt „außerhalb des Dorfes gelegen“ und wir nehmen mit diesem Buch auch etwas außerhalb unseres Lebenskreises Gelegenes wahr, sei es in der Vergangenheit oder in der Gegenwart.
(Eva Riebler, Rezension für die Webseite der LitGes. Literarische Gesellschaft St. Pölten)
Sabine Eidenberger: Eine Erzählung über das Altwerden, das Altsein, und was in der Vergangenheit war.
Der alte Heinrich lebt allein in seinem feuchten Haus. Er braucht zwei Stöcke zum Gehen und das mit dem Wasserlassen klappt auch nicht mehr so wie es soll. Er ist sparsam, einsam und stur. Die auch nicht mehr ganz jungen Kinder wollen helfen, wissen aber nicht so recht wie, so sehr haben sie sich innerlich von ihrem Vater distanziert. Die Nachbarn sind teils besorgt, teils ärgerlich über den wunderlichen Eigenbrötler.
„Stragula“ ist ein Buch voller Erinnerungen zweier Generationen. Auch die Vergangenheit der eigenen Familie arbeitet die Autorin in das dichte Netz aus Gedanken und Handlung ein. Sie schreibt unter Pseudonym, dem Namen ihrer Großmutter, die einer ladinischen Sprachinsel entstammte. „Stragula“ ist eine Alltagsgeschichte, wie sie jedermann kennt, so spannend erzählt, dass man sich darin verliert. Wer erinnert sich nicht an die „Würstln mit Senf und Almdudler nach der Fronleichnamsprozession“? – Eine kurze, aber unglaublich dichte und packende Erzählung!
(Sabine Eidenberger, Rezension für: bn.bibliotheksnachrichten)
https://www.biblio.at/rezonline/ajax.php?action=rezension&medid=14250&rezid=16332