
André Müller
geboren 1946 in Michendorf (Brandenburg), 1950 Übersiedlung nach Wien, ab 1967 Gerichtsreporter bei der »Kronenzeitung«, später Theaterkritiker, seit 1970 in München, Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften, u.a. »Stern«, »Die Zeit«, »Der Spiegel«. Gestorben 2011.
Siehe auch Eintrag bei Wikipedia: (☞).
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Der Standard im Gespräch mit André Müller 1992
Am Anfang sah André Müller die Welt noch aus einer besonderen Perspektive: „Ich bin nur ein armes Würstchen, völlig sinnlos, genauso wie Sie. Ich bin ein Arschloch, genauso wie Sie.“ Man ging also von gleichen Positionen aus.
André Müller: Haben Sie das Interview mit meiner Mutter gelesen?
Standard: Habe ich.
Müller: Gut. Das erleichtert die Sache. Da steht alles drinnen, was man über mich wissen muß.
Standard: Was muß man wissen? Wie verlief das Gespräch mit ihrer Mutter?
Müller: Meine Mutter hat pausenlos geheult. Die ist ja Alkoholikerin. Das Ergebnis habe ich verkürzt und eine Kunstform daraus gemacht.
Standard: Eine Kunstform?
Müller: Ja, das Interview ist in Holland sogar als Theaterstück aufgeführt worden. Dafür habe ich immerhin 1500 Mark bekommen.
Standard: Warum machen Sie so etwas?
Müller: Ich? Das haben die gemacht, die haben das Interview mit verteilten Rollen aufgeführt.
Standard: Sie wollen mir jetzt vermutlich sagen, man hätte nicht ihre Einwilligung gebraucht, um aus dem Interview ein Stück zu machen.
Müller: Das habe ich nicht beeinflußt. Die haben das in der Zeit gelesen …
Standard: Ist ihnen diese absolute Entäußerung nicht peinlich gewesen?
Müller: Mir ist wirklich nichts peinlich. Was soll mir peinlich sein? Schon Berhard hat gesagt: „Wenn man an den Tod denkt, ist alles lächerlich.“ Ich habe keine Scham, ich habe keine Grenzen. Ich kann nicht beurteilen, wann jetzt etwas entäußert und wann es verschlossen ist. Mir ist das in in Wirklichkeit vollkommen gleichgültig. Ich überlege nicht, ich habe keinen Platz, im Kopf zu überlegen, was Entäußerung ist und wann sie beginnt.
Standard: Wenn Ihnen alles so egal ist, warum interviewen sie dann Peymann, Bernhard und Loriot?
Müller: (aufbrausend) Um Geld zu verdienen. Glauben Sie, daß ich mit meiner Prosa eine müde Mark verdiene? Ich will aber meine Prosa schreiben, unbedingt, weil mir dieser Scheißjournalismus auf die Nerven geht. Ich bin kein Bestsellerautor, also muß ich irgendwie mein Geld verdienen. Und ich bin froh, über die Runden zu kommen. Was glauben Sie, wieviele Aufträge ich eigentlich ablehne? Ich könnte bei Playboy, Penthouse, Spiegel, Tempo oder der Bunten arbeiten. Aber ich will nicht, weil ich dazwischen auch Luft holen will, eben um meine Prosa zu schreiben.
Standard: Auch wenn es Sie nicht interessiert: Verraten Sie uns, wie Sie arbeiten?
Müller: Ich versuche, schon im Gespräch die Sätze zu kriegen, die ich haben will. Beim Loriot war es zum Beispiel so, daß ich ihn getrieben habe. Ich wollte von ihm etwas über „das verzweifelte Lachen“ hören – und dann habe ich so lange geredet, bis er darauf einging. Ich wende grundsätzlich alle Mittel an, um die Leute zu dem Dialog zu bringen, den ich mir vorstelle. Leider passiert es allzu oft, daß mein vorgestellter Dialog gehaltvoller ist, als der tatsächliche. Hans Henny Jahnn hat einmal gesagt: „Ein Genie kann nicht weniger geben als er hat.“ Wahrscheinlich glauben Sie jetzt, ich bin größenwahnsinnig. Jahnns Satz bedeutet aber, daß nicht die Lust, der Spaß, das Interesse die Voraussetzung für Qualität ist. Mich muß nicht wirklich interessieren, was Peymann oder Bernhard zu mir sagen oder gesagt haben. Oder Hans-Dietrich Genscher, der sich, wie ich höre, darum bemüht, von mir interviewt zu werden.
Standard: Was interessiert Sie überhaupt noch?
Müller: Ich stelle keine Fragen mehr, wenn ich nicht dafür bezahlt werde. Die einzige Frage, die noch wesentlich ist, ist die einer Geliebten, ob ich sie wirklich liebe.
Standard: Ihnen ist vermutlich auch egal, was morgen bei uns in der Zeitung steht?
Müller: Vollkommen egal.
(Peter Illetschko, Der Standard, 7./8. März 1992)