Tauber, mein Tauber
24 Annäherungen an den weltberühmten Linzer Tenor Richard Tauber · [mit CD]
Heide Stockinger, Kai-Uwe Garrels
ISBN: 978-3-99028-650-0
25 x 17 cm, 316 Seiten, m. vielen unveröffentl. u. wiederentd. Bildern: schwarz-weiß, Hardcover + 1 CD
28,00 €
Momentan nicht lieferbar
Leseprobe (PDF)
Kurzbeschreibung
Richard Tauber, der in Linz geborene Weltstar unter den Tenören, war viel mehr als eine Stimme: ernster Opernliebling und angeschwärmtes Operettenidol, beneideter Millionär und mittelloser Vertriebener, leidenschaftlicher Liebhaber und treuer Freund, Schallplatten-, Radio- und Filmstar. „Ein großartiger Dirigent… und auch kein schlechter Komponist“, ergänzte Sir Malcolm Arnold, unter Taubers Taktstock Trompeter bei den Londoner Philharmonikern (und „auch kein schlechter“ Filmkomponist, der für seine Musik für »Die Brücke am Kwai« mit dem Oscar® ausgezeichnet wurde). Diese menschliche, biografische und künstlerische Vielfalt zwischen zwei Buchdeckeln einzufangen, konnten die Autoren – 30 Jahre auseinander, doch beide gleichermaßen betaubert – sich nur zu zweit getrauen.
Als der Autor Kai-Uwe Garrels zum ersten Mal die Stimme Richard Taubers hörte, war er zwölf und der Sänger seit 35 Jahren verstorben. Die Stimme war weniger Tenor als die übrigen, die er kannte, und viele andere, denen er noch begegnen sollte – doch hat Tauber sie so viel musikalischer und intelligenter eingesetzt, außerdem in einem schier unermesslichen Repertoire. Taubers Aufnahmen auf LP, recht bald dann auch auf Schellack, später noch auf CD, vermehrten sich bei ihm wie gutgelaunte Kaninchen. Über 30 Jahre später lebt und arbeitet der Autor im oberösterreichischen Bad Ischl, wo am Ufer der Traun Richard Tauber und sein enger Freund, der Operettenkomponist Franz Lehár, ihre Villen hatten.
Hierher reiste zu Jahresbeginn 2016 die Linzer Autorin Heide Stockinger, mit einer gut 600-seitigen Biographie Taubers unter dem Arm, in der Dutzende von kleinen gelben Merkzetteln klebten – sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht! Gleich beim ersten Zusammentreffen tauberten die Autoren nach Herzenslust; ein spontanes Wunschkonzert, bestritten ausschließlich von Richard Tauber, erklang bis spät in die Nacht. Darunter war zum Beispiel die Arie „Zu Straßburg auf der Schanz“ aus Wilhelm Kienzls Oper »Der Kuhreigen«. Tauber sang die Hauptrolle im »Kuhreigen« an der Wiener Staatsoper Anfang 1938, kurz vor seinem Gang ins englische Exil. Er war der Schweizer Gardist Primus Thaller, der am Vorabend der französischen Revolution fast hingerichtet worden wäre, nur für das Summen seines Heimatliedes. So nah an der Wirklichkeit kann Oper sein! …
Heide Stockinger liest eine Passage aus „Tauber, mein Tauber“.
Rezensionen
Gottfried Franz Kasparek: Mehr als nur von einer Stimme verzaubertEin neues Buch über den Jahrhundert-Tenor Richard Tauber kommt gerade recht für den weihnachtlichen Gabentisch und zum 70. Todestag am 8. Jänner. Heide Stockinger und Kai-Uwe-Garrels, beide „vertaubert“, legen mit „Tauber, mein Tauber“ eine Essaysammlung vor, die gottlob keine Hagiographie ist, sondern eine kritische Liebeserklärung.
Richard Tauber, das Theaterkind aus Linz, der „Mann mit dem Monokel“, der Lehár-Tenor, der Opernstar, der Filmheld, der Schlagersänger, das lebenslange große Kind – vor allem: ein Mann mit goldener Stimme und souveräner Musikalität. 24 Kapitel, je 12 von der Linzer Literaturredakteurin Heide Stockinger und vom Lübecker, zum Wahl-Österreicher gewordenen langjährigen Dramaturgen des Lehár-Festivals Bad Ischl und Medienspezialisten Kai-Uwe Garrels, umkreisen ein Phänomen, dessen Faszination bis heute wirkt. Geschrieben ist das mit Liebe zum Detail, mit Witz und Laune und dennoch mit Tiefgang. Es ist keine chronologische Biographie – die gibt es in Kurzform im Anhang –, sondern eine Sammlung von „Annäherungen“. Gespickt mit vielen, teilweise zum ersten Mal veröffentlichten Bildern. Die beiliegende CD bringt weniger die üblichen „Tauberiana“, sondern rare Aufnahmen mit des Sängers Lebenspartnerinnen im Duett, mit Vergleichen mit Freunden. Denn Tauber war ein neidloser Künstler, der mit einem Joseph Schmidt, einem Tino Pattiera als Dirigent arbeitete. Ein Meister des Taktstocks war er nämlich auch, nicht nur in der leichten Muse. Auch der Komponist Tauber kommt vor, mit einigen gediegenen Schlagern – auf eine nähere Beschäftigung mit seiner Jugendoper „Die Sühne“ zum Beispiel muss man noch warten. Dafür entschädigt etwa eine „Gralserzählung“, live aufgenommen in Dänemark 1939 (!), die Gänsehaut erzeugt. Schöner kann man Wagner nicht singen.
Kai-Uwe Garrels hat eine bewundernswerte Menge an Fakten zusammengetragen, blendend recherchiert, elegant nacherzählt. Heide Stockinger steht für den „weiblichen Blick“, der in Anbetracht eines Textes wie „Gern hab ich die Frau’n geküsst, hab nicht gefragt, ob es gestattet ist…“ auch irritiert sein kann. Aber das Objekt immer mit Achtung vor der künstlerischen Leistung anschaut. Die Texte hinterfragen oft im besten Sinne und rücken Legenden zurecht. So ist Tauber nie völlig zur Operette abgewandert, sondern hat seine Karriere als exemplarischer Mozart-Interpret und stilbildender Liedsänger immer weiter verfolgt.
Und was der Mann alles gesungen hat! Vom Paul in Korngolds „Die Tote Stadt“ und vielen Uraufführungen heute vergessener Opern bis zu „Ich küsse ihre Hand, Madame“ oder „La Paloma“. Und alles, was er singt, ist veredelt durch eine innere Ehrlichkeit, eine sagenhafte Stimmtechnik und eine Fähigkeit zur Kantilene, die bis heute ihresgleichen suchen. Sein Don Ottavio in Mozarts „Don Giovanni“ und sein Octavio in Lehárs „Giuditta“ wären auch heute noch in jedem Opernhaus ein Triumph. Obwohl er kein „Ritter vom hohen C“ war, sondern ein König der Ausdruckskraft, gesegnet mit einem nach zwei Tönen unverkennbaren Timbre von Samt und Seide.
Stockinger und Garrels beleuchten die sogar die Nazizeit überdauernde Freundschaft Taubers mit Franz Lehár, der ein Kind seiner Zeit und eben doch ein genialer Melodiker war. Das Politische kommt nicht zu kurz, ein „garstig Lied“, vor dem der Tenorliebling Deutschlands als „Halbjude“ nach London flüchten musste. Und dort – Lehár sang und Wagner dirigierte. Man liest dieses Buch mit Genuss und Gewinn, als Liebhaber großer Stimmen und Mensch mit zeitgeschichtlichem Interesse.
(Gottfried Franz Kasparek, Rezension für: DrehPunktKultur. Die Salzburger Kulturzeitung im Internet, 13. Dezember 2017)
http://www.drehpunktkultur.at/index.php/literatur/buchbesprechungen/11504-mehr-als-nur-von-einer-stimme-verzaubert
Michael Wruss: Richard Tauber durch die oberösterreichische Brille betrachtet
Zum 70. Todestag des Tenors ist ein neues Buch erschienen, das in 24 Annäherungen seine Persönlichkeit einzufangen versucht.
Heute vor 70 Jahren ist einer der bemerkenswertesten Sänger seiner Zeit in seiner Londoner Wahlheimat gestorben. Für manche ist Richard Tauber sogar der allerbeste Sänger neben Caruso – das ist allerdings eine Frage des Standpunkts.
Tauber ist ein Zufallskind und wie viele Künstlerkinder auch zufällig an einem Ort des gerade Geld einbringenden Engagements zur Welt gekommen – am 16. Mai 1891 zwar gerade nicht auf der Bühne des Linzer Theaters, aber unmittelbar nach einer Vorstellung in einem kleinen Zimmer im Hotel zum Bären – Mutterschutz war damals ein Fremdwort, wie auch das Familienleben, das Tauber eigentlich nie kannte.
Dennoch entwickelte sich das Kind, das bei Zieheltern und im Internat groß geworden ist, zu einem der bedeutendsten und prägendsten Künstler seiner Zeit. Eine Zeit, in der die Grenzen zwischen Unterhaltungs- und ernster Musik noch nicht so weit auseinanderklafften wie heute, und für gutes Geld sang nicht nur Tauber, sondern auch viele seiner Kollegen beinahe alles.
Doch die Karriere des lyrischen Tenors, der dann über die Operette und den Schlager auch in zahlreichen Filmen mitwirkte, verlief nur bis 1933 reibungslos, und plötzlich sollte den politisch ziemlich unbedarften Weltkünstler und Lebemann die Familiengeschichte – einer Familie, die nur auf dem Papier bestand – einholen.
Er war der NS-Diktion entsprechend „Halbjude“ und bekam zunächst in Deutschland und ab 1938 auch in Österreich Auftrittsverbot. Im englischen Exil war Tauber nicht mehr in gleicher Weise als Sänger gefragt, sondern auch als Dirigent und Komponist, gestaltete aber weiterhin Liederabende und widmete sich auch in London der leichten Muse vor allem in seiner eigenen Radiosendung. Der Erfolg war aber bei weitem nicht mehr so groß wie einst als Sänger der Dresdner Hof-/ Staatsoper und wie in Berlin oder Wien.
1947 wurde bei ihm infolge jahrzehntelangen Rauchens Lungenkrebs festgestellt. Eine Entfernung eines Lungenflügels kurz nach seinem letzten Auftritt als Mozartsänger hatte nur wenig Erfolg – drei Monate später starb Richard Tauber, dessen Stimme so manche Komponisten – allen voran Franz Lehár – mehr als nur inspirierte.
Passend zum Gedenkjahr erschien ein neues Buch, in dem Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels 24 Annäherungen an die Persönlichkeit Taubers skizzieren.
Verzückte Sichtweise
Die beiden gehen abwechselnd auf Spurensuche und zeichnen ein Tauber-Bild aus dem eigenen, sehr persönlichen Blickwinkel. Das hat zur Folge, dass sich manches wiederholt und manche Details bloß oberflächlich behandelt werden. Gerade so, als wollte man die eigene, vielleicht etwas verzückte Sichtweise nicht trüben und kritische Aspekte oder auch die Dramatik von Auftrittsverbot und Exil, wodurch Tauber immerhin zweimal um sein ganzes Vermögen gebracht wurde, was ihn zum Lebensende zum Bittsteller machte, beiseitestellen. Es ist ein feines Buch von Tauber-Enthusiasten für Tauber-Fans, das viele Geschichten bereithält und so erzählt, wie man sie kennt und gerne hört, ergänzt um eine CD mit den legendärsten Aufnahmen des Plattenstars von einst.
Als belletristisches Lesebuch verzichtet der Band auf die manchmal dann doch gebotene auktoriale Distanz als auch auf konkrete Quellenangaben, was ein Weiterlesen oder das Herstellen von Querverbindungen schwer macht. Der Band unterscheidet sich insofern von den anderen Tauber-Biographien, als ein sehr lokaler linzerischer bzw. oberösterreichischer Blickwinkel gewählt wird. Und das hat allemal seine Berechtigung.
(Michael Wruss, Rezension in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 8. Januar 2018)
https://www.nachrichten.at/kultur/Richard-Tauber-durch-die-oberoesterreichische-Brille-betrachtet;art16,2780227
Wilhelm Sinkovicz: Franz Lehárs Lieblingstenor und sein bewegtes Leben
Eine Buchneuerscheinung gibt Einblicke in das Musikleben der Silbernen Operettenära, Sängertriumphe und -nöte in der NS-Zeit und danach.
Der heutige Montag ist ein Gedenktag für Musikfreunde: Vor 70 Jahren starb Richard Tauber, der Weltstar aus Linz. Er starb in London, weil ihn die Heimat vertrieben hatte, obwohl er für Opern- und Operettenliebhaber einer der absoluten Favoriten unter den Sängern seiner Zeit war.
Nicht nur diese Vertreibung aus sattsam bekannten „rassischen“ Gründen, sondern auch viele andere Facetten von Taubers Lebenslauf sorgten für eine Legendenbildung schon zu Lebzeiten. Erst recht die tragischen Umständen seiner letzten Lebensmonate: Der an Lungenkrebs erkrankte Tenor gab dem Ensemble der Wiener Staatsoper anlässlich von deren erstem Nachkriegsgastspiel in England am 27. September 1947 noch einmal die Ehre. Mit den wiedergefundenen Kollegen aus Glanzzeiten sang der schon vom Nahen des Todes gezeichnete noch einmal Mozarts „Don Giovanni“ – tags darauf zeichnete er die letzte seiner populären Shows für die BBC auf, am 2. Oktober wurde ihm im Guy's Hospital der linke Lungenflügel entfernt …
Die abenteuerlich glanzvolle, dann wieder tief erschütternde Geschichte des Mannes mit der Traumstimme, die trotz lyrischer Qualitäten auch zu heldischen Höhenflügen begabt war, ist oft erzählt worden. Und sie ist – apropos Legendenbildung – immer wieder nicht ganz korrekt oder in gewissen Passagen schlicht und einfach falsch erzählt worden.
Damit machen zwei Autoren nun Schluss, die gerade aufgrund ihrer offenkundig fanatischen Tauber-Verehrung nicht der Fanpoetik auf den Leim gegangen sind, sondern es genau wissen wollten. Sie haben zusammengetragen, was an Dokumenten zu finden war, sie nehmen den Leser in lebhaften Schilderungen ihrer eigenen Erlebnisse quasi auf die Recherchearbeit mit und erklären offen, wo die Beweise enden, wo die Vermutungen beginnen und wo sie zuletzt immer wieder zu falschen Schlüssen geführt haben.
Das liest sich hie und da wie ein Märchenbuch – vor allem dort, wo es darum geht, die ersten Jahre eines echten Theaterkindes nachzuzeichnen –, hie und da wie ein Krimi und verschafft uns zwischendurch Einblicke in die wienerische Theatergeschichte der Zwischenkriegszeit, in die Blütezeit der Silbernen Operettenära, ins Ränkespiel der Komponisten aus dem populären und dem ernsten Genre und in die Hochzeit des Musikfilmbusiness.
Und in die Welt der Schallplatte (und deren Sammler): Was alles Richard Tauber für Schellack gesungen hat – und sogar ob in Originaltonhöhe oder nicht – lässt sich hier nachlesen, und dass auch heute noch nicht alle Aufnahmen digitalisiert greifbar sind.
Detailversessenheit und die Ehrlichkeit, mit der Autorin und Autor ans Werk gegangen sind, haben eminente Früchte getragen und erlaubten sogar einen augenzwinkernden imaginären Dialog mit dem Porträtierten – ohne Peinlichkeit.
(Wilhelm Sinkovicz, Rezension in der Presse vom 8. Jänner 2018)
https://www.diepresse.com/5349415/franz-lehars-lieblingstenor-und-sein-bewegtes-leben
Neues Volksblatt: 70. Todestag: Gedenken an „König des Belcanto“
Er gilt als „Pavarotti der Zwanziger- und Dreißiger- Jahre“ oder „erster Popstar des 20. Jahrhunderts“, von der Presse wurde ihm der Name „König des Belcanto“ verliehen: Tenor Richard Tauber. […] [A]nlässlich des 70. Todestages erschien „Tauber, mein Tauber“ der Linzer Literaturredakteurin Heide Stockinger und des Lübecker Wahl-Österreichers und langjährigen Dramaturgen des Lehár-Festivals in Bad Ischl, Kai-Uwe Garrels. […]
Freundschaft zu Lehár
Am 16. Mai 1891 in Linz als Sohn eines Schauspielerpaars geboren, besuchte er später in Prag, Salzburg und Wiesbaden die Schule. Nach dem Abbruch seines Studiums wollte er unbedingt Sänger werden, obwohl ein Vorsingen in der Wiener Hofoper in einem Fiasko endete. Tauber ließ aber nicht locker, absolvierte das Konservatorium in Frankfurt/Main und wurde vom Gesangspädagogen Carl Beines in Freiburg ausgebildet.
1913 debütierte Tauber in Chemnitz, kam nach Dresden und 1919 nach Berlin. Ab 1925 war er Mitglied der Wiener Staatsoper und begeisterte als Mozart-Interpret bei den Salzburger Festspielen. Er sang alle großen Tenorpartien der Opern- und Operettenliteratur und wurde in den Musikzentren der Welt gefeiert. Seine Freundschaft zu Franz Lehár veranlasste den Komponisten, die Tenorpartien seiner Werke dem begnadeten Sänger auf den Leib zu schneidern. Mit dem Lied „Dein ist mein ganzes Herz“ aus der Lehár-Operette „Das Land des Lächelns“ wurde Tauber quasi über Nacht zum Weltstar.
1933, als „Judenlümmel“ beschimpft, verließ Tauber Deutschland und trat auf Tourneen vorwiegend in den USA und Australien auf. 1938 emigrierte er nach London, wurde 1940 britischer Staatsbürger. Am 27. September 1947 stand er zum letzten Mal auf der Bühne: Im Gastspiel der Wiener Staatsoper in der Covent Garden Opera London verkörperte er Ottavio in Mozarts „Don Giovanni“. Am 8. Jänner 1948 erlag Tauber 56-jährig einem Krebsleiden. Beerdigt ist er in London, Bromton Cemetery. Ein Gedenkstein findet sich auf dem Friedhof in Bad Ischl. In Linz, Herrenstraße 11, ist eine Erinnerungstafel angebracht. Linz konnte einen Großteil seines Nachlasses erwerben, der 1991 in der Ausstellung „Dein ist mein ganzes Herz“ im Nordico gezeigt wurde.
(Rezension im Neuen Volksblatt vom 7. Januar 2018)
Operetten-Boulevard/BR-Klassik: [Rezension zu: Heide Stockinger/Kai-Uwe Garrels, „Tauber, mein Tauber“]
„Hinreißend, faszinierend war die Schönheit dieser Stimme… Dieses unglaubliche Pianissimo, diese bestechende Atemtechnik.“ (Dame Elisabeth Schwarzkopf)
Der Tenor ohne hohes C, der Mann hinter dem Monokel: Opernstar und Emigrant, »der deutsche Caruso« und »der König von Berlin«. Tauber, mein Tauber ist viel mehr als eine Biografie – es verbindet historische Forschung und Literatur, die Faszination für eine einzigartige Stimme mit einer Spurensuche im Damals und Heute, in Linz und Bad Ischl, Wien und Berlin. Richard Tauber hat die unglaubliche Anzahl von 735 Schallplattenaufnahmen hinterlassen – und eine Menge Geschichten, die bis heute nicht alle erzählt sind. Die Linzer Autorin Heide Stockinger, neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit jahrelang Literaturredakteurin bei ORF Radio OÖ, und der Tauber-Fan und -Sammler Kai-Uwe Garrels aus Bad Ischl haben sich auf die Suche gemacht: 24 essayistische Annäherungen an den bewunderten Sänger und vielseitigen Musiker öffnen den Zugang für den Tauber-Neuling und dürften auch dem engagierten Musikkenner noch Interessantes über die Zeit von Taubers Wirken, die Facetten seiner Persönlichkeit und die Frage »Was blieb von ihm?« vermitteln.
(Buch-Tipp der BR-Klassik-Sendung «Operetten-Boulevard» vom 7. Januar 2018)
Kai-Uwe Garrels: [Richard Tauber – Das letzte Kapitel]
Vor 70 Jahren starb einer der vielseitigsten Tenöre seiner Zeit. Als Uraufführungssänger mehrerer Operetten von Franz Lehár war er mit dem Erkennungslied »Dein ist mein ganzes Herz« zum Weltstar geworden. Kai-Uwe Garrels gibt einen Einblick in Taubers letzte Lebensjahre.
Während des Zweiten Weltkrieges verließ Richard Tauber Großbritannien nicht mehr, seit er im März 1940 von einer Tournee durch Südafrika und die Schweiz nach London zurückgekehrt war. Am 21. März desselben Jahres wurde Tauber die britische Staatsbürgerschaft verliehen; seine Gattin Diana hatte den mit dem »Anschluss« Österreichs staatenlos Gewordenen mit ihren Kontakten unter anderem zu Sir George Harvie-Watt, dem persönlichen Referenten Winston Churchills, unterstützt. In Opernrollen konnte er während des Krieges nicht auftreten – das Royal Opera House Covent Garden zum Beispiel wurde als Tanzpalast genutzt. So musste er sich auf landesweite Tourneen mit Lieder- und Konzertabenden konzentrieren, vorrangig mit Percy B. Kahn am Klavier. Mit den Operetten »The Land of Smiles« (Lehárs »Das Land des Lächelns«), »Blossom Time« (Bertés »Das Dreimäderlhaus«, das Tauber mit George Howard Clutsam musikalisch bearbeitet hatte) bereiste er ganz Großbritannien. Sein eigenes Musical »Old Chelsea«, welches das Leben im Londoner Stadtteil Chelsea des ausgehenden 18. Jahrhunderts schildert, führte ihn auf einer ausgedehnten, knapp zwei Jahre dauernden Tournee, von September 1942 bis Juli 1944, zu einem doppelten Erfolg als Komponist und Hauptdarsteller.
Franz Lehár, dessen Gesundheit sich nach einem Zusammenbruch in Budapest 1943 stark verschlechtert hatte, verbrachte mit seiner schwer herzkranken Frau Sophie die letzten Kriegsmonate in Bad Ischl. In die österreichische Hauptstadt, wo »seine Wiener« das Schlössl in der Hackhofergasse geplündert hatten und »augenblickliche Aufführungen« seiner Werke »nicht wünschenswert« waren, kehrte er nicht mehr zurück. Nach dem Krieg ging er nach Zürich, wo er sich eine bessere Behandlung seiner Gallen-, Nieren- und Drüsenprobleme sowie der Folgen einer Lungenentzündung erhoffte, zumindest sein gefährdetes Augenlicht konnte gerettet werden. Taubers Reise nach Zürich, nur zwei Monate, nachdem der Londoner Flughafen wieder für zivile Flüge freigegeben war, war auch eine geschäftliche: Er wollte mit Franz Lehár die New Yorker Erstaufführung von »Das Land des Lächelns« besprechen, in der er auftreten sollte.
Mit einer List überzeugte Lehár Tauber in Zürich, als Sänger bei dem bereits länger geplanten Orchesterkonzert aufzutreten: »Ich hab‘ ihm erzählt, am Kontinent seien Gerüchte über seine Stimme im Umlauf: Sie habe nachgelassen, ihren Glanz verloren. Und Schnappula fiel mir prompt darauf herein – es wurde eines unserer schönsten Konzerte!« Dem Zürcher Mitschnitt verdanken wir neben der »Rückkehr« des Sängers auch einen Eindruck der Variationen, mit denen er seine Tauber-Lieder veredelte: »Dein ist mein ganzes Herz« singt er in vier Sprachen. In New York erkannte Tauber erst bei Probenbeginn am 12. August 1946, wie stark die Autoren Ira Cobb und Karl Farkas »Das Land des Lächelns« »amerikanisiert« hatten: Aus den ursprünglich sechs Hauptdarstellern waren 19 geworden, statt in China spielte die Handlung in Paris, sodass er sein »Dein ist mein ganzes Herz« vor der Silhouette des Eiffelturmes singen musste. Taubers oberflächlich-positives Telegramm an Lehár nach der Premiere am 5. September ließ diesen das Schlimmste befürchten: »Musik fabelhaft gewirkt STOP Ich habe großartig gefallen STOP«.
Richard Tauber klagte gegenüber seiner Frau Diana: »Franz wird mir das niemals verzeihen, niemals!« Auch der rauschende Applaus, der ihn – vor allem nach seinem »You are my heart’s delight« – abends umbrandete, konnte ihn über das künstlerische Desaster und die zurückgehenden Kartenverkäufe nicht hinwegtrösten. Bereits drei Tage nach der Premiere musste Tauber sein Auftreten wegen Heiserkeit absagen; die schmerzhafte Erkenntnis, einem mehr als anderthalb Jahrzehnte alten Phantom nachgejagt zu sein, mag dabei eine Rolle gespielt haben. Der Berliner Tenor John Hendrik (der wie Tauber nach Großbritannien ins Exil gegangen war und 30 Jahre später das Weihnachtslied »Rudolf, das rote Rentier« nach Deutschland brachte) übernahm als Taubers Zweitbesetzung. Jetzt bewahrheitete sich die Kritik der New York Times: »Gegen Mitte des zweiten der drei Akte habe ich mir gewünscht, der Abendspielleiter würde das Ensemble nach Hause schicken, Tauber alleine an die Rampe stellen und seine romantischen deutschen und österreichischen Lieder singen lassen, beginnend mit ›Wien, Wien …‹» Ohne Tauber fielen die Besucherzahlen ins Bodenlose.
Tauber hatte für Verluste von 14.000 Dollar aufzukommen, dazu kamen die Schulden für seine alltäglichen Ausgaben in New York, die er lange nicht eingeschränkt hatte. Insgesamt dreimal ließ er sich röntgen und wies darauf hin, dass er seit mindestens zwei Jahren Atembeschwerden bei manchen Gesangspassagen habe – er, der für seinen unendlichen Atem bekannt war! –, doch es wurde nichts gefunden. Es dauerte noch zwei Wochen, bis er sich soweit erholt hatte, dass er mit den Proben für eine eilig zusammengestellte Konzerttournee durch Nord- und Südamerika beginnen konnte, die am 12. November in der kanadischen Bundeshauptstadt Ottawa begann. Bereits das für den 16. Dezember in der New Yorker Carnegie Hall angesetzte Konzert musste Tauber wiederum wegen Halsproblemen absagen und holte es am 4. Januar 1947 nach. Erst Mitte des Monats hatte er genügend Geld beisammen, um seiner Frau Diana die Überfahrt zurück nach London zahlen zu können, er selbst flog nach einem letzten Konzert in der New Yorker Town Hall am 20. Januar nach Panama und konzertierte bis Anfang März in Trinidad, Venezuela, Aruba, Kolumbien, Puerto Rico, Honduras, Kuba und Jamaica.
Als Richard Tauber nach weiteren Liederabenden in den Vereinigten Staaten, darunter das Abschlusskonzert in der ausverkauften Carnegie Hall, am 11. April am Londoner Flughafen ankam, war er zwar braungebrannt, wirkte aber abgezehrt. Irene Ambrus, die ihn gemeinsam mit Esther Moncrieff abholte, war schockiert: »Er hatte viel Gewicht verloren, und ich sagte zu Esther: ›Der Mann ist ja schwer krank.‹» Gemeinsam mit Ambrus war Tauber ab Ende Mai für »The Bird Seller« (die englische Fassung von Carl Zellers »Der Vogelhändler«) wiederum im Palace Theatre engagiert, sie als Christl von der Post, er als Dirigent. Esther Moncrieff erinnerte sich, dass er die Treppe zum Orchestergraben kaum bewältigen konnte: »Er bekam sehr schlecht Luft, deshalb ließ ich den Raum beim Inspizientenpult, der sonst für schnelle Umzüge der Solisten diente, als Garderobe für ihn einrichten. Von dort konnte er den Fahrstuhl zum Orchestergraben leichter erreichen.«
Als Dirigent verdiente Richard Tauber deutlich weniger, doch mehr als ein paar gelegentliche Konzerte konnte er wegen der ständigen Hustenanfälle seiner Stimme nicht zumuten; auch Schallplattenaufnahmen, für die ursprünglich 24 Titel vorgesehen waren, waren ihm nicht möglich. Zu seinen Schulden aus dem Durchfall am Broadway kamen Steuernachzahlungen, die für sein höheres Einkommen der Vorjahre fällig wurden. So kündigte Richard Tauber am 20. Juni 1947 seine Suite im Fünfsterne-Hotel Grosvenor House und mietete ein Appartement in 297 Park West, das weniger als ein Viertel kostete. Seine gewohnte Großzügigkeit behielt Tauber auch unter diesen Umständen bei: Seine Sekretärin Alexa Weir und seine Geliebte Esther Moncrieff zogen mit ihm um; er trug die Mietkosten und unterstützte auch die Sängerin und Schauspielerin Mary Losseff wie gewohnt finanziell.
Unglücklicherweise fiel der Londoner »Vogelhändler« einer ungewöhnlich früh einsetzenden Hitzewelle zum Opfer. Bereits nach fünfeinhalb Wochen musste nach 44 Vorstellungen der Vorhang fallen: Das schwitzende Publikum blieb aus, sodass Richard Tauber am Abend des 5. Juli das letzte Mal als Dirigent auftrat. Enttäuscht schrieb er am Tag zuvor an Diana, die sich in Deutschland aufhielt: »Naja, es ist vorbei. ›Der Vogelhändler‹ und ein weiterer Traum sind gestorben. […] Ich bin in einer Art Depression und weiß nicht, warum ich ins Bett gehe und warum ich wieder aufstehe.« Zweieinhalb Wochen später, am 23. Juli, klagte er: »[M]ein Leben ist so leer, wie es nur sein kann. Ich schlafe schlecht, weil der Husten mich quält, sobald ich mich hinlege. […] Ich singe ordentlich, aber ich leide die ganze Zeit!«
Dieses Leiden brachte ihn am 25. Juli dazu, einen weiteren Arzt zu konsultieren, der eine Röntgenuntersuchung der Lunge empfahl. Vorerst setzte Richard Tauber aber seine Konzerttournee fort, die ihn abwechselnd an die britische Süd- und Ostküste sowie bis hinauf nach Blackpool und Morecambe, nördlich von Liverpool, führte, mit teilweise zwei Auftritten pro Abend. Das Abschlusskonzert in Bournemouth am 31. August war zugleich sein letzter öffentlicher Auftritt mit seinem Pianisten Percy B. Kahn, der ihn nurmehr bei den verbleibenden Rundfunkauftritten begleitete – die dritte Staffel seiner »Richard Tauber Half Hour« lief wöchentlich seit 20. Juli und wurde bis 5. Oktober 1947 teils live, teils als Aufzeichnung ausgestrahlt.
Bevor sich Richard Tauber ganz in die Hände der Ärzte begab, wartete ein musikalisches Wiedersehen, eine künstlerische Erfüllung auf ihn. Die Wiener Staatsoper sollte im September 1947 in London gastieren. Tauber hatte wohl zur Kenntnis genommen, dass nach dem Krieg weder aus Berlin noch aus Wien Anfragen an ihn eingetroffen waren; er mag sich das Gleichnis vom Berg und dem Propheten zum Vorbild genommen haben und bemühte sich um einen Gastauftritt als Don Ottavio in Mozarts »Don Giovanni«, der für den 27. September in Covent Garden angesetzt war. Aus heutiger Sicht scheint es kaum anders möglich, fast schicksalhaft gewesen zu sein, dass Tauber die Rolle übernahm – als der gefeierte Mozart-Tenor, der aus der Fast-Randfigur mit den verflixt schwierigen Arien (von denen Mozart selbst nur die eine oder die andere vorgesehen hatte) eine Persönlichkeit gemacht hatte; in dem Ensemble, dem er bis 1938 16 Jahre lang fest oder als Gast angehört hatte. Anton Dermota, der eigentlich als Don Ottavio vorgesehen war, musste die Rolle freigeben.
Am 15. September schließlich ließ Richard Tauber seine Lunge röntgen; die Ärzte behielten ihn zur Beobachtung über Nacht im Guy’s Hospital. Die tragische Diagnose: Lungenkrebs, eine Operation war dringend erforderlich. Diana Napier-Tauber hatte vor, ihrem Mann das Untersuchungsergebnis zu verschweigen – es sollte heißen, ein Abszess auf der Lunge müsse behandelt werden. »Richard wurde gesagt, er müsse operiert werden. Aber er fragte gar nicht nach Einzelheiten, dabei musste ein Lungenflügel entfernt werden. Auf gewisse Weise fürchtete er sich vor der Wahrheit.« Wichtig war ihm der Abend mit der Wiener Staatsoper: »Ich muss und ich werde diese Vorstellung singen, und Nichts in der Welt kann mich aufhalten. Danach können die Ärzte mit mir tun, was sie wollen.« So wurde die Operation aufgeschoben.
Richard Tauber sang am 27. September 1947 zum letzten Mal in der Royal Opera Covent Garden den Don Ottavio in »Don Giovanni«. Außer seiner Frau Diana, seiner Geliebten Esther Moncrieff und den Ärzten wusste niemand, wie es gesundheitlich um ihn stand – auch er selbst nicht. Seine einzigartige Interpretation ließ niemanden vermuten, dass hier ein Sänger mit nur einem Lungenflügel sang, getragen von seiner Professionalität, seinem unbeugsamen Willen – und seiner Kunst. »Achte auf meine große Arie«, hatte er Diana kurz vor dem ersten Vorhang gebeten: »Normalerweise mache ich keine Pause, um zu atmen, aber ich glaube, dieses Mal werde ich müssen. Bitte pass‘ auf, und sage mir, ob Du etwas merkst.« Das Publikum war begeistert; Otto Schneidereit schreibt: »Er sang, wie Ohrenzeugen berichteten, schöner als je zuvor, musikalisch mit traumwandlerischer Sicherheit, mit einer zu Herzen gehenden Intensität.« Josef Krips war von der Aufführung so beeindruckt, dass er Tauber den Tamino in der »Zauberflöte« im Januar 1948 in Wien anbot. An der folgenden Premierenfeier konnte Tauber nicht teilnehmen. Diana Napier-Tauber fand ihn in seiner Garderobe, schwer atmend und erschöpft, aber glücklich: »Ich habe es geschafft, Diana«, flüsterte er.
(Stark gekürzte Fassung des 22. Kapitels aus dem Buch »Tauber, mein Tauber. 24 Annäherungen an den weltberühmten Linzer Tenor Richard Tauber« von Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels, erschienen in: Orpheus – das MusikTheatermagazin #01/18, Januar/Februar 2018, S. 78 ff.)
Dominik Lepuschitz: Schnappula – Auf den Spuren des C. Richard Denemy
Eine Wortkreation dient künstlerisch begnadeten Menschen bisweilen dazu, ihrem innersten Wesen prägnant Ausdruck zu verleihen. Wer nun vermutet, daß es sich bei „Schnappula“ um derartiges handelt, liegt ganz richtig. Wer aber verbirgt sich hinter C. Richard Denemy?
Diese Frage werden wohl nur intimste Kenner der Opern- und Operettengeschichte des frühen 20. Jahrhunderts ohne Mühe beantworten können. Unter seinem Künstlernamen, mit dem er Weltruhm erlangte, ist es einfacher – denn Richard Tauber ist Musikfreunden, insbesondere jenen, die die Werke Franz Lehars schätzen, nach wie vor ein Begriff, wenn auch nicht so sehr wie einst. Doch könnte sich das demnächst ändern, sind doch zwei per Eigendefinition „Betauberte“ angetreten, dem großen Tenor jene Würdigung zu verschaffen, die ihm zweifellos zusteht.
Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels haben mit „Tauber, mein Tauber“ ein Werk geschaffen, das Tauber-Archäologie betreibt. In 22 Essays, in schöner Abwechslung sich entfaltend, entsteht aus unterschiedlichsten Perspektiven, die schon für sich faszinieren, ein umfassendes Bild des Künstlers wie des Menschen Tauber, und Schritt für Schritt – teilweise im Sinne des Wortes, wenn Garrels sich auf Spurensuche in Wien oder Berlin begibt – erschließt sich, warum Tauber auch 70 Jahre nach seinem Tod noch noch neue „Fans“ findet – Betauberte eben.
Wenn man Tauber auch heute primär mit Lehar , dessen „Leibtenor“ er wurde, in Zusammenhang bringt, war er doch ein überaus vielseitiger Musiker. Als Sänger in allen Fächern – von der Oper bis zum Volkslied – zuhause, war er zudem ausgebildeter und praktizierender Dirigent und als Pianist gut genug, daß er keinen Korrepetitor benötigte, um seine Rollen zu studieren und fand daneben noch Zeit, einige Abstecher als Filmschauspieler zu machen. Er sang Opern von Richard Strauss unter dessen Leitung, spielte in der „Fledermaus“ den Eisenstein mit Hans Moser als Frosch und hinterließ gezählte 735 Tonaufnahmen auf Schellack. Norbert Noritz, einen Sammler, der bis auf 10 alle besitzt, hat Garrels in das Buch eingebracht.
So interessant die historischen Fakten sind, die Heide Stockinger in akribischer Kleinarbeit zusammengetragen hat – ein Sänger muß gehört werden. Mittlerweile besteht kein Mangel an CDs und anderen Möglichkeiten, sich einen Eindruck von Taubers Stimme, die sich vor allem durch ein unnachahmliches Piano definierte, zu verschaffen. Dem Leser wird diese Mühe erspart, liegt dem Buch doch eine CD bei, die, dem Buch entsprechend, einen repräsentativen Querschnitt von Wagner und Verdi, Strauss und Leoncavallo bis Kalman und Lehar (und noch einiges mehr) enthält, sodaß eine umfassende Annäherung an Richard Tauber unmittelbar möglich wird.
Was aber ist jetzt eine „Schnappula“? Tauber bezeichnete damit alles, was ihm Vergnügen, in selteneren Fällen auch Mißvergnügen, bereitete. Eine schöne Frau, ein gutes Essen, ein angenehmer Abend – das war eine „Schnappula“.
(Dominik Lepuschitz, Rezension für die European News Agency vom 20. Dezember 2017)
Christoph Vratz: Wohltuend kritische Distanz
24 essayartige Texte zur Bedeutung von Richard Tauber
Er war einer der besten Mozart-Tenöre im frühen 20. Jahrhundert, und er war Muse für Franz Lehár, der zahlreiche Operetten nur für ihn geschrieben hat; er sprang als Dirigent für Thomas Beecham ein, komponierte, war Schallplattenstar und populärer Entertainer – Richard Tauber war eine Art Rundum-Künstler. Ende September 1947 stand der gebürtige Linzer und eingebürgerte Brite letztmalig auf einer Opernbühne, in London als Don Ottavio in Mozarts „Don Giovanni“. Rund drei Monate später war er tot. Die Verklärung seiner Person war da bereits in vollem Gange.
„Die Legendenbildung zu Richards ersten Lebensjahren werden auch Tauber-Forscher – deren gibt es noch einige – nicht verhindern können, zumal auch der Sänger Richard Tauber, als er noch lebte, Dichtung und Wahrheit gern vermischte.“
Nun kann man auch Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels zu diesen Tauber-Forschern zählen. Die beiden Verfasser schreiben aus teils sehr persönlicher Sicht, wie sie zu Tauber gefunden und sich als Autoren-Duo schließlich zusammengetan haben.
„24 Annäherungen an den bewunderten Sänger und vielseitigen Musiker sollen den Zugang für den Tauber-Neuling öffnen und dürften auch dem engagierten Musikkenner noch Interessantes über die Zeit von Taubers Wirken, die Facetten seiner Persönlichkeit und die Frage: „Was blieb von ihm?“ vermitteln.“
Entstanden ist keine streng chronologische Biografie. Es sind vielmehr 24 essayartige Texte. Sie schildern etwa einen Gedenk-Spaziergang durch Berlin an Taubers 125. Geburtstag, ein Treffen mit einem passionierten Tauber-Sammler und Betrachtungen zu Taubers Selbststilisierung mit Monokel und Filmeheld-Lächeln.
„Schon früh lernte er zwischen seiner Person und seinem Bild in der Öffentlichkeit zu unterscheiden: Sein Dresdner Intendant Nikolaus Graf von Seebach hatte Tauber geraten, auf seine Nickelbrille zu verzichten und […] ein Monokel zu tragen: ‚Mein Tenor darf ruhig etwas eitel aussehen, aber nicht wie ein Lohnbuchhalter aus Kötzschenbroda!‘“
Dieses Buch besteht im besten Sinne aus „Annäherungen“, je zwölf von jedem Autor. Stockinger (lange Zeit Literatur-Redakteurin beim ORF) und Garrels (der fast zehn Jahre als Dramaturg für das Lehár-Festival in Bad Ischl tätig war) haben Orte aufgesucht, an denen Tauber gelebt und gesungen hat, sie haben eine Fülle von Dokumenten gesichtet und reichlich Bildmaterial zusammengetragen – Tauber in allen Facetten, strahlend im Auto, lachend auf Autogrammkarten, kokett im Bühnenkostüm. Trotz deutlicher Tauber-Verehrung der Autoren: Es gelingt durch die vielen Texte und Dokumente, Legendenhaftes zu entzaubern und wieder in eine Welt der Fakten zu überführen, wobei auch Taubers Zeit in Berlin und im englischen Exil beleuchtet wird.
Die beigefügte CD ist weit mehr als ein simples „Best of“. So werden etwa Arien aus „Lohengrin“ oder „Rigoletto“ im Vergleich angeboten, mit Tauber – und anderen Tenören seiner Zeit. Die CD schlägt dabei auch historische Bögen. Man hört zum Beispiel Ausschnitte aus Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ aus dem Uraufführungsjahr 1911. Da sang Tauber noch gar nicht mit. Erst zwei Jahre später wurde er in Dresden Königlicher Hofopernsänger und prägte das dortige Musiktheater.
„Tauber, mein Tauber“ – dieser Band ist ein Verweil-Buch, geprägt von Tauber-Verehrung, aber auch von wohltuend kritischer Distanz, ein Band, der von vielen unterschiedlichen Blickwinkeln lebt und die Bedeutung des Sängers geschickt in unsere Gegenwart transferiert.
(Christoph Vratz, Rezension für die Sendung «SWR2 Cluster» vom 11. April 2018)
Jan Emendörfer: „Dein ist mein ganzes Herz“
In Österreich sind „24 Annäherungen an den weltberühmten Linzer Tenor Richard Tauber“ erschienen
Er war einer der größten Sänger des 20. Jahrhunderts und der Lieblingstenor von Operettenkönig Franz Lehár. „Dein ist mein ganzes Herz“ aus dem „Land des Lächelns“ ist ein Evergreen geworden, der auch heute noch gecovert wird. Er hat in knapp 30 Jahren 750 Schallplatten-Aufnahmen gemacht, neben unzähligen Live-Auftritten geschauspielert, dirigiert und komponiert. Er besaß eine eigene Filmproduktion, die pleite ging, und er fuhr einen riesigen offenen Mercedes Benz Typ 630 („Tauber-Spezial“), den jeder Verkehrspolizist in Berlin durchwinkte, wenn der Mann mit Monokel, Zylinder und wehendem weißen Schal vom Nobelhotel Adlon zum Theater fuhr.
Am 16. Mai 1891 in Linz als uneheliches Kind der Operettensoubrette Elisabeth Seyffert und des 14 Jahre jüngeren Schauspielers Richard Anton Tauber geboren, begann seine Sängerkarriere am 1. Februar 1913 in Chemnitz, wohin der Vater ein halbes Jahr zuvor als Theaterdirektor verpflichtet worden war. Dort gab der junge Richard sein Operndebüt als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“, die bald schon von Kritikern scherzhaft auch „Tauberflöte“ genannt wird, weil der Tenor als bester Mozartinterpret seiner Zeit gilt.
Als Vater Tauber begonnen hatte, den Sohn in Frankfurt am Main gesanglich ausbilden zu lassen, hatte der erfolgreiche Wiener Bariton Leopold Demuth abgeraten: „Lass deinen Sohn bloß nicht Sänger werden. Das ist keine Stimme, das ist ein Zwirnsfaden.“ In Chemnitz hörte Graf Nikolaus Seebach, Intendant der Dresdener Hofoper (heute Semperoper), den „Zwirnsfaden“ und verpflichtete ihn vom Platz weg. Am 1. August 1913 begann Taubers Fünf-Jahres-Vertrag in Dresden, der 1918 um weitere fünf Jahre bis 31. Juli 1923 verlängert wurde. Taubers große Fähigkeit, sich blitzschnell in eine neue Rolle einzuarbeiten, eröffnet ihm bald auch erste Ersatzauftritte in den großen Häusern von Wien und Berlin. Im August 1922 wechselt er vor Vertragsende in Dresden vorzeitig an die Staatsoper nach Wien.
Das spannende Leben dieses großen Sängers, der riesige Erfolge feierte, politisch eher unbekümmert ganz seiner Kunst lebte und dann, als „Operettenjude“ diffamiert, vor den Nazis nach London fliehen musste, ist schon oft porträtiert worden. Es gibt einige Tauber-Biographien – von Otto Schneidereit „Ein Leben, eine Stimme“ (Ostberlin 1974) über Michael Jürgs’ „Gern hab’ ich die Frau’n geküßt“ (München 2000) bis hin zu „Morgen muss ich fort von hier“ von Evelyn Sternthaler (Wien 2011). Doch echte Fans können nicht genug bekommen, und so haben Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels anlässlich von Taubers 70. Todestag in Österreich mit „Tauber, mein Tauber“ einen weiteren 300-Seiten-Wälzer auf den Markt gebracht, der sich gut liest und auch Neues zu Tage fördert.
Die Autoren versuchen gar nicht erst, das Leben Taubers an einem Handlungsstrang erneut lückenlos nachzuerzählen, sondern sie wollen mit „24 Annäherungen an den weltberühmten Linzer Tenor Richard Tauber“ eher episodenhaft und oft auch sehr persönlich bezogen den Star für den Leser erschließen und begreifbar machen. Und das gelingt ihnen sehr gut, etwa wenn der gebürtige Lübecker Garrels (47) beschreibt, wie er als Junge in der ostholsteinischen Provinz aufwächst, über Großmutters Musikschrank mit Schallplatten („Imperial“) in Berührung kommt, dann zum Schellackplattsammler wird, der schließlich in Hamburg über ein Zeitungsinserat 150 Richard-Tauber-Scheiben auf einen Schlag erwirbt. Quasi nebenher liefert Garrels nicht nur für den Sammler interessante Details, was wann wo von Tauber auf Platten gepresst wurde, wie viele Scheiben es weltweit gibt und so weiter und so fort.
Da sich beide Autoren ihrem Helden schon im Untertitel als „Linzer Tenor“ nähern, ist klar, dass es irgendwie auch um oberösterreichisches Lokalkolorit gehen muss. Aber wenn Heide Stockinger (77) sich in 100 Jahre alte Ausgaben der Linzer „Tages-Post“ oder Texte des „Linzer Volksblattes“ aus den 50ern vergräbt, dann geht es keineswegs nur heimatkundlich zu, sondern auch kritisch. Etwa wenn die Autorin zitiert, der „Kammersänger habe bis zu seiner Übersiedlung (!) nach England im Jahr 1938 gute Beziehungen zu seinem Geburtsland Oberösterreich unterhalten“. Stockinger: „Gewisse historisch belegte, aber für Österreich unangenehme Tatbestände zu ignorieren, war bis in die achtziger Jahre in Österreich Usus.“
In der sorgfältig gearbeiteten biographischen Übersicht im Anhang des Buches ist schon über das Jahr 1932 zu lesen: „Zwischen zwei Grazer Aufführungen von ,Das Land des Lächelns’ demonstrieren pöbelnde Nazis gegen Richard Tauber.“ Für den 12. März 1933 in Berlin ist vermerkt, dass Tauber nach einer Vorstellung am späten Abend vor dem Weinlokal Kempinski am Kurfürstendamm unter den Rufen „Judenlümmel! Raus aus Deutschland“ zusammengeschlagen wurde. Und Stockinger zitiert Kritiker, die es schmerzt, dass Linz bei der „Aufarbeitung seiner Vergangenheit als Hitler-Stadt“ nicht die Kraft gefunden hat, „unseren weltberühmten Sohn“, der von den Nazis als „Juden-Tenor“ verunglimpft wurde, eine „adäquate Würdigung“ erfahren zu lassen, etwa durch Nennung einer Straße oder eines Platzes nach ihm …
Tauber kehrt Ende der 30er schweren Herzens Berlin und schließlich auch seinem geliebten Wien den Rücken, emigriert nach England und wird 1940 britischer Staatsbürger. Fortan singt er auch für die britische Truppenbetreuung und für Wohltätigkeitsorganisationen des Vereinigten Königsreichs. Davor und danach Tourneen in die USA, nach Skandinavien und Südafrika und immer wieder Schallplatten-Aufnahmen – jetzt für das Label Parlophone, die letzte übrigens am 12. September 1947 im Londoner Abbey Road Studio. Der letzte Titel: „There Is No End“.
Richard Tauber hatte manche Liebschaft („Gern hab’ ich die Frau’n geküßt“), war zweimal verheiratet, verlor mindestens einmal in Deutschland sein Vermögen, hatte Millionen Fans und wurde nicht von allen Kritikern geliebt: Karl Kraus, ohnehin kein Operettenfreund, schrieb über Lehárs „Zarewitsch“ in der Zeitschrift „Die Fackel“, er habe nichts „Kotzenswürdigeres“ gesehen – mit dem „Schmalztenor“. Erich Kästner ätzte in der „Neuen Leipziger Zeitung“ über „Friederike“, niemand könne etwas dafür, wenn er aussähe wie Tauber. Auch Tauber selbst nicht. Aber unter solchen Umständen Goethe darstellen zu wollen, das sei eine „bodenlose Vermessenheit“. Und Kurt Tucholsky arbeitete sich 1930 am Inhalt der Operette „Schön ist die Welt“ ab, ohne allerdings Tauber direkt anzugehen: „Ein männlicher Kritiker sollte niemals etwas über Tenöre aussagen – wir sind da nicht kompetent. Wenn die Frauen so leise zerfließen, weil der Tenor im Falsett haucht: davon verstehen wir nichts, das ist ein physiologischer Vorgang, und Männer haben ja nur ganz selten einen Uterus.“
In England fand Richard Tauber eine zweite Heimat, Schutz vor Verunglimpfung und Diffamierung – und am Ende auch seine letzte Ruhe. Nach Kriegsende plagten ihn immer wieder längere Perioden von Heiserkeit und Unwohlsein, 1947 diagnostizierten die Ärzte Lungenkrebs. Bei einer Operation wird der linke Lungenflügel entfernt. Der Sänger hofft an Englands Seeküste bei guter Luft auf Erholung, und es geht ihm auch kurze Zeit besser. Doch dann wirft ihn ein Rückfall erneut aufs Krankenlager. Am 8. Januar 1948 stirbt Richard Tauber im Alter von 56 Jahren. Auf seinem Grabstein auf dem Brompton-Friedhof in London West Kensington legen noch heute Verehrer aus aller Welt Blumen ab.
(Jan Emendörfer, Rezension in der Leipziger Volkszeitung vom 4. Dezember 2018, S. 9)