Fresko ohne Blau
Roman
Ria Endres
ISBN: 978-3-99028-539-8
19,5 x 12 cm, 136 Seiten, Hardcover
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Kurzbeschreibung
Ein wundervoll restauriertes Kloster im schwäbischen Barockwinkel. Schwester Assunta, absolute Herrscherin über ihr abgekapseltes Reich, drangsaliert ihre Mitschwestern umso mehr, je näher ihr Lebensende rückt. Sie will auch nicht akzeptieren, dass sie keine Macht mehr über ihr Gymnasium und die vielen Schülerinnen hat, die ihr eigenes, verborgenes Leben führen.
Ihre Schlaflosigkeit treibt sie immer wieder hinaus in den Klostergarten, wo sie ausgerechnet bei einer Arbeitsschwester, der Bienennonne, ein wenig Ruhe findet. Doch die Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten.
Die Klostergemeinschaft mit ihren zusammenbrechenden Gesetzen rückt ganz nahe an die Leser heran und sie erfahren, was es heißt, wenn man nicht bei sich selbst ankommt.
Rezensionen
Harry Oberländer: Die Bücher, die Bienen, der TodIn einem klösterlichen Mädchengymnasium in Voralpenland entfaltet sich die Handlung von Ria Endres’ Roman „Fresko ohne Blau“. Endres erzählt von einer bewegten zweiten Hälfte der 1960er Jahre, von einer Welt, die ins Wanken gerät. Harry Oberländer hat das Buch gelesen.
Ein Kloster in Voralpenland. En passant erzählt uns Ria Endres in ihrem im Frühjahr 2016 erschienenen Roman „Fresko ohne Blau“ von seinen prachtvollen barocken Räumen, Stuckschnecken, Emblemen und Wänden aus weißem Kalk aus Blaubeuren. Das Kloster hat einen Kaisersaal mit Fresken, erbaut für einen Habsburger Herrscher, der ihn nie betreten hatte, einen Saal, der als Imitat von Rittersälen der Renaissance nacheinander auch als Getreidespeicher zur Zeit der Säkularisation, als Aussiedlerunterkunft im 2. Weltkrieg und im Jetzt der Romanhandlung als Schlafsaal der Internatsschülerinnen dient. Dieses Jetzt ist die zweite Hälfte der 1960er Jahre, das dem aufmerksamen Leser dann nicht entgeht, wenn der das Staatsbegräbnis Konrad Adenauers zu datieren weiß. So ist Ria Endres Erzählweise ebenso präzise, wie diskret. Der Titel „Fresko ohne Blau“ erschließt sich, wenn man versteht, dass Schwester Assunta, die ehemalige Direktorin des klösterlichen Mädchengymnasiums, die Welt – pars pro toto – im tiefen akanthusumrankten Himmelsblau des Kaisersaal dargestellt fand mit einem überlebensgroßen Engel, der seinen Arm auf sie richtete und sie ansah.
Für Schwester Assunta war dieser Engel der Hüter ihrer Welt, des Klosters, des Gymnasiums, das sie leitete und der Bibliothek, die sie liebte. Sie regierte als absolute Herrscherin. Ihre persönlichen Kontakte zu den Mitschwestern hatte sie immer auf das notwendigste reduziert. Immer hatte sie den Büchern näher gestanden als den Menschen, ihre Welt war die Bibliothek. Denn die Menschen waren, anders als die Gestalten der Bücher und die Wesen ihres Glaubens ihrer Bilder und ihrer intellektuellen Vorstellungskraft, aus Fleisch und Blut. Wie die Natur waren sie unrein und wenn nicht gar böse, so doch zumindest unverständig und dumm. Und so kommentiert Schwester Assunta auch die freundliche Geste einer Schülerin, die ihr eine Postkarte aus Florenz schickt. „Dieses dumme Kind schickt mir den Ausschnitt eines Freskos aus einer Mönchszelle. Ein Fresko ohne Blau.“
Schwester Assunta hatte es ihr Leben lang mit dem Satz des Thomas von Aquin gehalten: „Werde mit niemanden allzu vertraut, da zu große Vertraulichkeit Verachtung erzeugt.“ Doch nun gerät sie – ganz ohne Schuld der Anderen – in eine verzweifelte Lage, die sich mit hochmütiger Distanz nicht mehr bewältigen lässt. Es beginnt mit Schlaflosigkeit und Unruhe, mit merkwürdigen Veränderungen im Körper und dem Drang, nach draußen zu gehen. Ihrem Beichtvater gesteht sie, dass ihr jedes Gottesbild abhanden gekommen sei.
Zum ersten Mal nimmt sie Kontakt zu einer der Arbeitsschwestern auf, zur Bienennonne. Die lebt ganz im Glück der Schöpfung, in der ihre Rolle es ist, die Bienen zu betreuen, die sie zärtlich ihre Seelchen nennt, und die in blühender Natur und in ihren Honigwaben in einem endlosen Rausch leben.
Ein aberwitziger Plan
Die Ärzte, deren Untersuchungen Schwester Assunta nur widerwillig und nicht ohne abfällige und höhnische Kommentare über sich ergehen lässt, können keine organischen Gründe für ihr Leiden finden. Sie selbst weiß besser, dass es die Angst vor dem nahenden Tod ist, die sie mit Alpträumen quält und alle Glaubensgewissheiten mit denen sie gelebt hatte auffrisst. Selbst die Bücher, die ihre wahren Freunde waren und für die sie in der Nazizeit gegen einen Gauleiter und seine gestiefelten Horden einen mutigen Kampf geführt hatte, werden wertlos für sie. Die Bibliothek erscheint ihr als Grabkammer. Wenigstens aber will sie nicht in der Erde vermodern und von den Würmern gefressen werden. Sie fasst einen aberwitzigen Plan, ihre ewige Existenz selbst in die Hand zu nehmen, denn an die Auferstehung, an das leere Grab bei Golgatha, glaubt sie schon lange nicht mehr.
Mit Hilfe der Bienennonne, mit der sie sich mehr und mehr angefreundet hat, verschafft sie sich Honig. „Aus dem Grabe auferstanden. Was für ein Phantom löste sich da im Weltenstaub auf. Ein Körper, der verschwindet, was keine Lösung für sie; Schwester Assunta wollte ja gerade nicht verschwinden. Natürlich sollte jede Leiche verschwinden, je eher und gründlicher, desto besser; das war doch der Wunsch aller, die vergnügt und munter weiterlebten. In Ägypten waren Kinderleichen gefunden worden, die in Tonkrügen mit Honig hockten, und sie befanden sich in einem viel besseren Zustand als die aufwendiger präparierten Mumienfunde in ihren prächtigen Grabgemächern. Zusammengekauert, bis über den Scheitel in Honig gebettet, dem Zerfall zu trotzen, keine schlechte Idee.“
Während sie Honiggläser hortet, für die sie die Bienennonne mit Marzipanpralinen entschädigt – ganz so wie diese ihren geliebten Bienen den Honigraub mit Zuckerwasser entgilt – , gerät auch die Welt ihrer Mitschwestern aus den Fugen. Zwei Schülerinnen machen sich aus dem Internat auf und davon und hinterlassen einen Briefwechsel, der dokumentiert, dass an ihnen die leib- und lustfeindliche Erziehung der Nonnen, der Pinguine, grandios gescheitert ist. Eine der Schwestern zieht sich in den Katzenkeller zurück, lehnt jede Nahrung ab und verhungert.
„Der Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten“, schrieb Albert Camus im „Mythos des Sisyphos“. Die Bienenschwester liebte die Bienen, ihre Seelchen. Am Ende fallen sie über sie her und stechen sie zu Tode. Schwester Assunta stirbt unversöhnt mit einem Schrei. Das Absurde hat sie, ihre Taten und Gewissheiten eingeholt. Der Engel im Blau des künstlichen Himmels glotzt sie bedeutungslos an. Sie verflucht ihre Bücher: „Ehrwürdige, ich habe dieses Kloster restauriert, damit die Bibliothek nicht untergeht mit ihren nutzlosen Unsinnsbüchern! Hätte ich nur nie geglaubt, was in diesen Büchern geschrieben steht! Ich misstraue auch Ihren Worten grundsätzlich, Ehrwürdige, die Bücher haben einzig den Zweck, den Dummköpfen aufs Hirn geschlagen zu werden, den Schwätzern ins Maul gestopft zu werden, jedem, der die Zähne fletscht, wird ein Buch ins Maul gerammt, Ehrwürdige, Bücher sind gut, um Knochen zu zerschmettern. Man nimmt ein Buch und zertrümmert den Totenschädel.“
(Harry Oberländer, Rezension im Onlinemagazin Faust-Kultur.de. wwweltbühne für Autoren und Künstler, veröffentlicht am 8. August 2016)
Buchreport: Axel Ruoff empfiehlt Ria Endres
Wie die Bienennonne die wimmelnden Bienen in ihren Stöcken beobachtet der Leser die Schwestern und Schülerinnen eines Barockklosters, dem Schauplatz des Romans. Die meistens kurzen Textabschnitte mit kurzen prägnanten Sätzen gleichen filmischen Tableaus, in denen Menschen, Tiere und Geister aus dem Dunkel auftauchen und in all den verschachtelten, ineinander übergehenden Räumen wieder verschwinden: die Waben der Bienen, die Poren, Organe der Körper, die Zellen der Nonnen, die Schränke füllenden Pralinenschachteln, die (vergrabenen) Bücher der Bibliothek, der Garten, die Kellerräume und die Gräber der Toten. Wie Sonden werden Augen und Ohren des Lesers durch immer von Geräuschen erfüllte Architektur und Anatomie geschickt, die aus den Fugen zu geraten drohen. Ein Krimi, eine Geschichte über das Sterben und die Liebe, über eine Schwester, die in einem ebenso grausam wie wunderbar sinnlich wimmelnden Diesseits ihre Seele verloren hat und schließlich ihr Schweigen bricht.
Der 1971 in München geborene Schriftsteller Axel Ruoff, der für sein Buch „Apatit“ den mit 10.000 Euro dotierten Literaturpreis der A und A Kulturstiftung erhalten hat, empfiehlt den Roman „Fresko ohne Blau“ von Ria Endres.
(Buchreport-Express #15/2018 vom 11. April 2018)
https://www.buchreport.de/news/empfohlen-von-axel-ruoff/
Weitere Bücher des Autor*s im Verlag:
Am Ende angekommen
Roulett im Föhn
Schreiben zwischen Lust und Schrecken